Debatte um Zeitungsanzeige Finanzministerium muss zurückrudern
Das Finanzministerium hat mit Zeitungsanzeigen für die Schuldenbremse geworben. War das eine verdeckte Parteienfinanzierung für die FDP? Wie eng war Lindner eingebunden? Das Ministerium muss zurückrudern.
Kurz vor der Europawahl haben zwei Zeitungsanzeigen aus dem Finanzministerium für Aufregung gesorgt. Das FDP-geführte Ministerium warb in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung für das Instrument Schuldenbremse.
Die renommierte Verfassungsrechtlerin Sophie Schönberger sprach damals von unzulässiger Regierungskommunikation. Der Grund: Die Anzeige zur Schuldenbremse sei im Kern ein Meinungs- oder Debattenbeitrag. Das sei "insbesondere so kurz vor einer Wahl in der Regel unzulässig".
Auch der Verdacht auf unerlaubte Parteienfinanzierung steht seitdem im Raum. Schönberger argumentierte: In der juristischen Bewertung könne man zu dem Ergebnis kommen, dass die Werbeanzeige aus dem Finanzministerium so nahe an Parteiprogramm und Parteiauftreten der FDP komme, dass man unter Umständen von illegaler Parteienfinanzierung sprechen könne, auch wenn dies sicherlich umstritten sei.
"Wie am Dienstag mit Minister Lindner besprochen"
Dafür sei aber auch entscheidend, ob FDP-Chef Christian Lindner als Bundesfinanzminister im Vorfeld von der Anzeige wusste. Die Frage also: War die Anzeige zu nahe an FDP-Optik gehalten und war Lindner gleichzeitig in die Gestaltung involviert? Das Bundesfinanzministerium wollte nicht sagen, wie konkret der Finanzminister und FDP-Chef in die Entstehung der Anzeigen eingebunden war. Gegenüber dem ARD-Hauptstadtstudio hieß es nur: "Den Vorschlag, dass das BMF an den Jahrestag 15 Jahre Schuldenbremse im Grundgesetz erinnert, kannte er." Die Umsetzung und abschließende Auswahl der Anzeigen sei durch den Bereich Kommunikation erfolgt.
Daraus könnte man schließen, dass Lindner zwar grundsätzlich informiert war, dass es solche Anzeigen geben würde, er aber in den Entstehungsprozess nicht weiter eingebunden war.
Ein Mailverkehr, der dem ARD-Hauptstadtstudio nun gemeinsam mit Abgeordnetenwatch vorliegt, lässt aber auch eine andere Interpretation zu. Am 11. April schrieb ein Ministeriumsmitarbeiter eine Mail an die zuständige Agentur. Darin gab er den Kostenvoranschlag für die Anzeigen frei.
Interessant ist ein zusätzlicher Satz unter der Freigabe: "Bei der Gelegenheit bitte ich Sie um Übersendung der beiden neuen FAZ-Anzeige Varianten, wie am Dienstag mit Minister Lindner besprochen." War der Finanzminister und FDP-Chef etwa doch enger in den Anzeigen-Prozess eingebunden?
Lindner enger in Prozess eingebunden
Ja, gibt das Finanzministerium auf ARD-Nachfrage nun zu. Der Minister sei in den grundlegenden Strategiefragen der BMF-Öffentlichkeitsarbeit eingebunden gewesen. Entsprechend sei er bei einem Termin mit der Rahmenvertragsagentur am 9. April 2024 anwesend gewesen.
Bei diesen Terminen gehe es um die künftigen Schwerpunkte der BMF-Öffentlichkeitsarbeit, teilweise könnten auch einzelne Ideen der Agentur vorgestellt werden. Ein Sprecher sagte dem ARD-Hauptstadtstudio dazu: "Am 9. April 2024 wurde neben anderen Themen auch der Komplex Schuldenbremse besprochen. Sofern aus dem Pitch konkrete Maßnahmen umgesetzt werden, erfolgt dies durch den Bereich Kommunikation."
Vorwurf der illegalen Parteienfinanzierung
Für die Düsseldorfer Verfassungsrechtlerin Sophie Schönberger macht die neue Information aus dem Finanzministerium aber einen möglicherweise entscheidenden Unterschied. Durch die Anwesenheit Lindners beim sogenannten Agentur-Pitch sei nun der Vorwurf der unerlaubten Parteienfinanzierung nachvollziehbar. "Wenn Lindner bei einem Termin war, bei dem über die Ausgestaltung der Anzeigen gesprochen wurde, dann wird seine Doppelrolle als FDP-Chef und Finanzminister zum Problem für ihn."
Im Wahlkampf ließen sich die Rollen dann nicht mehr genau trennen. "Insofern muss die Anzeige in FDP-Optik möglicherweise auch dem FDP-Chef zugerechnet werden."
Für die FDP könnte es teuer werden
Trifft das zu, könnte es für die FDP teuer werden. Die Bundestagsverwaltung muss dem Verdacht gegen Lindner nachgehen. Kommt sie zu dem Schluss, dass hier ein Fall von illegaler Parteienfinanzierung vorliegt, weil öffentliche Gelder für Parteiwerbung ausgegeben wurden, müssen die Liberalen mit einer Strafe rechnen.
Normalerweise verhängt die Bundestagsverwaltung in solchen Fällen eine Strafzahlung in dreifacher Höhe der illegalen Spende. Nach Informationen des ARD-Hauptstadtstudios haben die zwei Anzeigen insgesamt 46.367,74 Euro gekostet. Die Strafzahlung von der Partei könnte also 139.103,22 Euro betragen. Noch hat sich die Bundestagsverwaltung nicht zu einem möglichen Verfahren geäußert.
Aus der Mail ergeben sich auch noch weitere Fragen. Zum Beispiel warum die Anzeigenmotive nach dem Termin mit Minister Lindner neu erstellt werden mussten. Auch das könnte auf eine stärkeres Engagement Lindners hindeuten. Das ARD-Hauptstadtstudio stellt am 12. August auch diese Frage an die Pressestelle des Ministeriums. Die ersten Antworten kommen am 16. August zurück.
Darin gibt das Ministerium die Teilnahme Lindners an dem Agenturtermin zu. Keine Antwort gibt es auf die Frage nach den neuen Motiven. Eine weitere Anfrage dazu an das Ministerium verläuft ins Leere. Ebenso die Anfrage, ob es zu dem Termin eine Ministervorlage gegeben habe und was bei dem Termin am 9.April konkret in Anwesenheit von Lindner besprochen wurde. Am 23. August teilt das Ministerium über einen Sprecher mit, man verweise auf die Antwort vom 16. August.
Linke klagt gegen Lindner
Ungemach droht dem Finanzminister aber auch aus Karlsruhe. Die Partei Die Linke hat vor dem Bundesverfassungsgericht ein sogenanntes Organstreitverfahren angestrengt. Dem ARD-Hauptstadtstudio liegt der Schriftsatz dazu vor. Darin beantragt die Partei beim Verfassungsgericht, festzustellen, dass das Finanzministerium durch die Anzeigen das grundgesetzlich garantierte Recht auf Chancengleichheit der Parteien verletzt hat.
Folgt das Gericht dieser Einschätzung, droht dem Finanzminister das, was er schon im Haushaltsstreit so gefürchtet hat: eine Niederlage vor dem Bundesverfassungsgericht.