Kostenübernahme durch Kassen Warum Lauterbach Homöopathie streichen will
Kleine Kugeln - große Wirkung? Wissenschaftlich ist die bei Homöopathie unbewiesen. Gefestigt ist der Glaube an die kleinen Dosen bei Befürwortern. Gewiss ist der Streit nach Lauterbachs Vorstoß, die Arzneien aus der Leistung zu nehmen.
Als Schmähbegriff hat die Alternativmedizin im Bundestag Tradition: Man wirft sich gegenseitig vor, eine Reform nur "tröpfchenweise" voranzutreiben oder in "homöopathischen Dosen". Trotzdem hat sich die Politik bislang schwergetan, eine klare Position zu den meist teuren Mitteln einzunehmen. Gesundheitsminister Karl Lauterbach will das nun ändern. Mit einem Vorstoß, der vor allem Symbolwirkung haben soll.
Wenn Globuli eine Kassenleistung seien, ergebe das "ein falsches Bild von Wissenschaft", sagt Lauterbach auf einer Pressekonferenz am Donnerstagvormittag. "Die Homöopathie ist eine Leistung, die keinen medizinischen Nutzen auf Grundlage eines wissenschaftlichen Sachstandes erbringt", so der Minister. "Dann sollte eine solche Leistung auch nicht bezahlt werden."
Lauterbach räumt selbst ein, dass der Einspareffekt für die Kassen nicht groß ist, sagt aber auch: "Hier geht es ums Prinzip." Politik dürfe Wissenschaft nicht ignorieren. Ab wann das gelten soll, ließ Lauterbach offen - er wolle es "in Kürze umsetzen".
Die Entscheidung ist Teil eines Maßnahmenpapiers des Bundesgesundheitsministeriums, um die finanzielle Schieflage des Gesundheitswesens zu bekämpfen: Die Ausgaben würden jährlich steigen, heißt es darin. Die gesetzlichen Kassen verbuchten auch 2023 ein Milliardendefizit. "Leistungen, die keinen medizinisch belegbaren Nutzen haben, dürfen nicht aus Beitragsmitteln bezahlt werden", schreibt das Gesundheitsministerium. Daher werde man "die Möglichkeit der Krankenkassen, in der Satzung auch homöopathische und anthroposophische Leistungen vorzusehen, streichen".
Grundsatz: Ähnliches mit Ähnlichem heilen.
Grundlage: pflanzliche, mineralische und tierische Substanzen
Prinzip: extreme Verdünnung der Stoffe
Einnahme: oft als Milchzucker-Kügelchen (Globuli) oder Tropfen
Bewertung: kein wissenschaftlicher Beleg für Wirksamkeit über Placebo-Effekt hinaus
Nach Angaben der Krankenkassen sind die Ausgaben für Globuli oder Schüßlersalze allerdings ohnehin rückläufig. 2021 haben alle gesetzlichen Kassen rund 22 Millionen Euro für homöopathische oder anthroposophische Arzneien ausgegeben. Angesichts der Milliardenlücken jedes Jahr ist das wenig. Die AOK etwa hält die Entscheidung für "medizinisch nachvollziehbar", sie falle jedoch "finanziell kaum ins Gewicht".
Warum geht Lauterbach trotzdem diesen Schritt? Der Gesundheitsminister gilt seit langem als Kritiker der Homöopathie: Sie sei eine "gefährliche Pseudowissenschaft", twitterte er 2022. Schon 2019 versuchte Lauterbach in der Großen Koalition, damals noch als SPD-Fraktionsvize, auf eine Streichung zu drängen. Doch aus der Union hieß es, man wolle Entscheidungsfreiheit für die Patienten.
Schritt zur richtigen Zeit?
Nun will er sich als Gesundheitsminister wohl nicht ständig aufs Neue vorwerfen lassen, er übersehe Einsparbeträge bei den Krankenkassen. Die FDP fordert zum Beispiel schon länger, dass die Kosten nicht mehr übernommen werden sollen.
Schwer tun sich die Grünen: Jahrelang lief in der Partei ein emotionaler Homöopathie-Streit. Er sollte ab 2019 mithilfe einer Kommission entschieden werden. Doch deren Vorgespräche seien so "aggressiv" verlaufen, dass die Partei das Vorhaben einstampfte. Im aktuellen Grundsatzprogramm hat man eine etwas ausweichende Formulierung gefunden: Leistungen, deren "Wirksamkeit wissenschaftlich erwiesen" ist, müssten "von der Solidargemeinschaft übernommen" werden. Ob andere auch bezahlt werden können, lässt der Passus offen.
Aus der grünen Bundestagsfraktion heißt es nun, man werde sich den Plänen nicht entgegenstellen. Aber es gibt Zweifel, ob der Schritt zum richtigen Zeitpunkt kommt: "In einer aufgeregten Zeit ist Politik in der Verantwortung, nicht Debatten über Nebenschauplätze zu führen, sondern über wirkungsvolle Instrumente", sagt Janosch Dahmen, gesundheitspolitischer Sprecher der Fraktion. Die Einsparungen seien minimal, es brauche größere Strukturreformen.
Anhänger der Homöopathie wollen die Kürzung noch abwenden: Man werde sich "in ärztlichen Berufsverbänden formieren und mit Karl Lauterbach in den Dialog gehen", sagt Michaela Geiger vom Deutschen Zentralverein homöopathischer Ärzte.
Homöopathie sei sinnvoll: "Das sehen wir täglich in unseren Praxen." Ohne die Kassenleistungen könne man "Patienten, die in sozialen Brennpunkten leben, nicht mehr gerecht werden", so Geiger.
Leistungsstreichung sozial ungerecht?
Die Kassen können die Mittel weiterhin über private Zusatzversicherungen anbieten. Das kann sich nicht jeder leisten. Doch schon jetzt wird ein großer Teil der homöopathischen oder anthroposophischen Arzneimittel von Patienten selbst gekauft, ohne Rezept oder Arztbesuch.
Gesundheitsminister Lauterbach könnte sich möglicherweise erhoffen, dass mit seinem Schritt auch die Glaubwürdigkeit der Präparate sinkt, dass Patienten selbst weniger nach Zahnungskügelchen oder Belladonna-Globuli verlangen. Ob das so kommt, ist fraglich. Laut Studien informieren Apotheker bisher nur selten darüber, dass die Präparate keine Wirkung über den Placeboeffekt hinaus haben.