Spitzentreffen in Berlin Lauterbach will Hausärzten mehr Freiräume geben
In Deutschlands Hausarztpraxen knirscht es: Mediziner sind überlastet, Patienten müssen lange Wartezeiten in Kauf nehmen. Auf einem Krisentreffen mit den Hausärzten sicherte Gesundheitsminister Lauterbach nun Reformen zu, die sie entlasten sollen.
Hausärztinnen und Hausärzte sollen nach Plänen von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach mehr finanzielle Freiräume bekommen, um Wartezeiten und Engpässe zu vermeiden. Er werde noch im Januar einen Gesetzentwurf vorstellen, um die bisherigen Honorarobergrenzen aufzuheben, sagte der SPD-Politiker nach einem Spitzentreffen mit Ärztevertretern in Berlin.
Lauterbach hofft auf weniger Patienten in Wartezimmern
Konkret sollen für Hausärzte Budgets mit Obergrenzen bei der Vergütung durch die Kassen wegfallen. Dies soll dazu führen, dass alle in den Praxen erbrachten Leistungen bezahlt werden. Zudem soll sich der bürokratische Aufwand verringern. Honorarobergrenzen können dazu führen, dass Ärztinnen und Ärzte noch vor Monatsende ihr Behandlungsbudget ausgeschöpft haben und deshalb für weitere Patienten nicht mehr bezahlt werden.
"Wir wollen auch die Hausarztpraxen ent-ökonomisieren", sagte Lauterbach. Im Vordergrund solle nicht mehr stehen, wie oft ein Patient einbestellt werden müsse, damit Praxen das volle Honorar auslösen können. Es werde damit weniger Patienten im Wartezimmer geben, so dass sich Praxen auf jene konzentrieren könnten, die medizinisch versorgt werden müssten, erklärte Lauterbach.
Jahres- und "Vorhaltepauschale" geplant
Vereinfachungen sollen bei erwachsenen Versicherten mit chronischen Erkrankungen kommen, die kontinuierlich Arzneimittel benötigen. Durch eine Umstellung der Vergütungspraxis für die Hausärzte will Lauterbach erreichen, dass etwa chronisch kranke Patienten nicht mehr nur deswegen quartalsweise einbestellt werden, damit Ärzte eine Pauschale für sie bekommen.
Statt der Quartalspauschale soll es eine Jahrespauschale geben, die beim ersten Kontakt abgerechnet wird. Dies soll die Zahl vermeidbarer Praxisbesuche deutlich senken und mehr Behandlungszeit ermöglichen. Damit werde es möglich, mehr Anfragen wie Rezeptausstellungen oder Krankschreibungen auch telefonisch statt mit Besuchen in ohnehin überfüllten Praxen zu erledigen, sagte der Minister.
Wenn Praxen bestimmte Kriterien wie Hausbesuche oder eine Mindestzahl an Versicherten in Behandlung erfüllen, sollen sie eine gesetzlich geregelte "Vorhaltepauschale" bekommen können. Dies soll Praxen eine Förderung bringen, die besonders zur Versorgung beitragen. Einmal pro Jahr sollen Hausarztpraxen auch eine qualifizierte Hitzeberatung für Risikogruppen mit der Kasse abrechnen können.
Lauterbach rechnet nicht mit höheren Beiträgen
Im Interview mit den tagesthemen sagte Lauterbach, dass die Reform durch die derzeit steigenden Einnahmen der Krankenkassen bei nahezu konstanten Beitragssätzen finanziert werden soll. "Das wird im Großen und Ganzen bei Beitragssatzstabilität funktionieren."
Durch die Reform werden nach seinen Angaben Kosten in einem dreistelligen Millionenbereich anfallen. Wie hoch genau diese ausfallen werden, werde derzeit berechnet. Es werde auf jeden Fall nicht in der Größenordnung von einer Milliarde Euro sein, schätzte der Gesundheitsminister.
Virchowbund kritisiert Ankündigungen
Anders als bei den Hausärzten soll es bei den Fachärzten durch die Reformpläne keine sogenannte Entbudgetierung bei den Honoraren geben. Lauterbach will bei den Fachärzten durch einen fast vollständigen Verzicht auf sogenannte Arzneimittelregresse Entlastung schaffen. Demnach haften Ärzte bisher mit ihrem eigenen Einkommen dafür, wenn sie zu viele oder zu teure Medikamente verschrieben haben. Die Reform wird Lauterbach zufolge dazu führen, dass 80 Prozent der bisherigen Regressfälle entfallen.
Die Ärzte-Vertretung Virchowbund kritisierte die Zusagen des Gesundheitsministers als "unvollständig und viel zu vage". "Mit dem heutigen Gesprächsergebnis sind wir jedenfalls völlig unzufrieden", teilte der Vorsitzende Dirk Heinrich mit. Die Wut an der Basis steige. "Daher ist für uns klar, dass die Proteste weitergehen müssen, wenn nicht die gesamte ambulante Versorgung durch Haus- und Fachärzte in den Blick genommen wird." Damit könnten Patienten auch vor weiteren Praxisschließungen bei Fachärzten nicht verschont sein.
Hausärzte streikten nach Weihnachten
Schon seit Langem klagen niedergelassene Ärzte über eine große Arbeitsbelastung. Aus Protest gegen die Gesundheitspolitik hatten Tausende Praxen in den Tagen nach Weihnachten nicht geöffnet. Bereits im Vorfeld des Streiks hatten die Mediziner ein Krisentreffen mit Lauterbach eingefordert.
Nach Angaben des Hausärzteverbandes fehlen aktuell 5.000 Praxen. Lauterbach räumte nach dem Treffen in Berlin ein, dass es genug Ärzte geben müsse - dafür brauche es mehr Medizinstudierende. Er kündigte einen Vorschlag an, nachdem ihre Zahl um 5.000 pro Jahr erhöht werden solle. Der Chef des Hausärztinnen- und Hausärzteverbandes, Beier, lobte Lauterbachs Pläne als "richtig und wichtig". Auch der Präsident der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt, begrüßte das Vorhaben im Grundsatz.