Scholz bei G20-Gipfel Zwischen K-Frage und Weltpolitik
Während Olaf Scholz beim G20-Gipfel in Brasilien über die Krisen der Welt berät, gibt es in seiner SPD inzwischen immer mehr Zweifel an seiner erneuten Kanzlerkandidatur. Kommt es jetzt zum Aufstand?
Viel weiter weg als Brasilien geht nicht. Doch auch zwölf Stunden Flugzeit und 30 Grad Temperaturunterschied reichen nicht aus, um die Innenpolitik hinter sich zu lassen. Wo auch immer der Kanzler gerade hinreist: Immer verfolgt ihn die Frage, ob er der richtige Kanzlerkandidat seiner SPD ist.
Das "Gegrummel" in seiner Partei, wie Fraktionschef Rolf Mützenich es nannte, will einfach nicht weniger werden. Im Gegenteil. Was zunächst mit dem "Gegrummel" einiger Hinterbänkler begann, ist mittlerweile zum lauten Rufen nach Boris Pistorius geworden.
Kanzler als Krisendiplomat
Das Umfeld des Bundeskanzlers versucht, die Personaldiskussion so klein wie möglich zu halten. Die Parteiführung stehe hinter Olaf, wie sie ihn nennen. Schon bald werde der Beschluss offiziell gefasst. Außerdem gebe es gerade wichtigere Dinge, um die sich der Bundeskanzler kümmern müsse. Der Krieg in der Ukraine und im Nahen Osten, die Lage der Weltwirtschaft, Hungerkrisen und Klimawandel.
Scholz und die Weltpolitik: Während in Deutschland der Wahlkampf anrollt, versucht sich der Kanzler in Krisendiplomatie. Erst das Telefonat mit dem künftigen US-Präsidenten Donald Trump, dann die einstündige Unterredung mit Russlands Machthaber Wladimir Putin.
Im Kanzleramt befürchten einige, dass Europa, dass Deutschland in zentralen Fragen zerrieben werde. Auch nur den leisesten Eindruck will man deswegen im Keim ersticken und Handlungsfähigkeit beweisen.
G20-Gipfel passt in Wahlkampfstrategie
Die Bereitschaft zu handeln sollte auch im fernen Brasilien demonstriert werden. Im persönlichen Gespräch mit dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping etwa habe der deutsche Bundeskanzler auch die unangenehmen Themen angesprochen, ist zu hören. In Berlin hat die Nachricht, China unterstütze Russland im Krieg mit Drohnen, zu Verstimmung geführt. Bundesaußenministerin Annalena Baerbock fordert harte Konsequenzen. Ob solche Äußerungen China beeindrucken? Zweifel sind angebracht.
Der G20-Gipfel in Rio de Janeiro passt in die Wahlkampfstrategie der SPD-Parteiführung. Sie versucht mit aller Macht, Scholz als erfahrenen Politiker darzustellen, gestählt durch dutzende Gipfel, während der Herausforderer Friedrich Merz von der CDU ohne jede Regierungserfahrung das Kanzleramt erobern will. Bisher deutet kaum was darauf hin, dass diese Strategie aufgeht.
Die Welt ordnet sich neu
Für Olaf Scholz zeigt der G20-Gipfel, wie stark sich die alte Weltordnung und damit auch alte Gewissheiten gerade verändern. Die Zeit, in der hauptsächlich die USA den Ton angeben, ist aus Sicht des deutschen Bundeskanzlers vorbei. Längst drücken Länder wie Indien, China und eben Brasilien der Weltpolitik ihren Stempel auf.
Der globale Süden sucht seinen Platz auf der großen Bühne - und findet ihn. Das hat Folgen. So spielte das Thema Ukraine-Krieg beim Gipfel höchstens eine untergeordnete Rolle. Anders als bei vorangegangen Zusammentreffen war der ukrainische Präsident nicht mal mehr eingeladen, Russland schon. Deutschland und die USA hatten versucht, Wolodymyr Selenskyjs Teilnahme zu organisieren. Vergeblich.
Viel Kritik für Telefonat mit Putin
Das allein macht deutlich, wie geschwächt der Westen mittlerweile dasteht. Scholz‘ Perspektive ist folgende: Die Welt ist im Wandel und Europa muss sich neu erfinden. In diese Perspektive will er wahrscheinlich auch sein Telefonat mit Russlands Machthaber Putin eingeordnet wissen. Putin ist längst nicht so isoliert, wie sich die Unterstützer der Ukrainer das wünschen würden. Zumal der Ukraine-Krieg aus brasilianischer Perspektive weit weg ist.
Für diese Position und erst recht das Telefonat mit Putin musste sich Scholz viel Kritik anhören. Neben dem ukrainischen äußerte auch der französische Präsident Kritik. Und noch während Scholz im Landeanflug auf Rio war, wurde bekannt, dass US-Präsident Joe Biden die Weitreichenbeschränkung der gelieferten Mittelstreckenraketen aufhebt. Ein Schritt, den sich die Ukrainer lange gewünscht haben. Und ein Schritt, der eine alte deutsche Debatte wieder stark macht: die Diskussion um den "Taurus".
"Taurus"-Debatte wieder entbrannt
Olaf Scholz hat in dieser Angelegenheit wenig Gesprächsbedarf. Seine Entscheidung stehe, sagte er. Deutschland werde keine "Taurus" liefern. Ende der Diskussion.
Oder auch nicht - denn im Bundestag sind mittlerweile Grüne, FDP und CDU/CSU für die Lieferung des deutschen Marschflugkörpers. Doch selbst eine Abstimmung im Bundestag würde nichts bringen. Denn am Ende entscheidet der Bundessicherheitsrat, was geliefert wird - und damit quasi der Kanzler.
Wird Scholz in die Kanzler-Debatte eingreifen?
Es ist wahrscheinlich die letzte große Dienstreise von Olaf Scholz. Angesichts der Umfragewerte und der Unbeliebtheit des Kanzlers glaubt kaum noch einer an eine zweite Amtszeit des SPD-Kanzlers. Nur sein engstes Umfeld scheint die Hoffnung noch nicht aufzugeben, dass Scholz noch mal ein spektakuläres Comeback gelingt wie 2021.
Seitdem ist viel passiert, sowohl auf der großen Weltbühne als auch in Deutschland. Scholz ist nun auf die Gnade anderer angewiesen. Wer steht noch zu ihm und wer nicht?
Während in Berlin Gespräche laufen und Gerüchte gestreut werden, macht sich der Kanzler auf den Weg zurück nach Deutschland. Wird er nochmal versuchen, die Entscheidung zu beeinflussen? Oder dämmert ihm langsam, dass seine Zeit vorbei ist? Der SPD und ihrem Kanzler stehen spannende Tage bevor.