Vorwürfe gegen den Kanzler Neue Kritik an Scholz' Putin-Telefonat
Eine Stunde dauerte das Gespräch von Kanzler Scholz mit Putin. Inhaltlich kam offenbar wenig Neues dabei heraus. Dennoch gibt es seitdem Kritik an dem Telefonat. Scholz verteidigte nun seinen Anruf im Kreml.
Der Telefontermin mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin war für Kanzler Olaf Scholz offenbar leicht zu bekommen. Eine Stunde sprach er am Freitag mit Putin - seitdem hagelt es Kritik.
Die massiven Angriffe der vergangenen Tage Russlands auf die Ukraine zeigen aus Sicht des polnischen Regierungschefs Donald Tusk, dass "Telefondiplomatie" Putin nicht stoppen kann. Er fordert stattdessen eine "wirkliche" Unterstützung der Ukraine.
Auch Finnlands Außenministern Elina Valtonen äußerte sich kritisch: "Dass europäische Staatsoberhäupter mit Putin koordiniert oder unkoordiniert telefonieren, das wird nichts bringen", sagte sie dem Europamagazin. Es brauche eine koordinierte Antwort - nicht nur mit den Vereinigten Staaten, sondern vor allem mit der Ukraine.
Union und Grüne werfen Kanzler Kalkül vor
Der CDU-Außenpolitiker Jürgen Hardt warf dem Kanzler vor, Putin zu einem "Propaganda-Erfolg" verholfen zu haben. Auch der CDU-Politiker Johann Wadephul kritisierte, der Kanzler habe das Telefonat lediglich aus innenpolitischen Gründen geführt. Scholz sei es "mehr um PR als um den Schutz der Ukraine" gegangen.
Ähnlich bewerten die Grünen den Anruf. Außenpolitiker Robin Wagener sagte beim Bundesparteitag: "Nie war Olaf Scholz machtloser als zum jetzigen Zeitpunkt." Russlands Präsident Putin kenne diese Schwäche und habe deshalb jetzt auch mit dem deutschen Kanzler telefoniert. Es stelle sich die Frage, ob Scholz womöglich einen Wahlkampf als "Friedenskanzler" plane, der dann so substanzlos zu werden drohe wie einst sein Wahlkampf als "Klimakanzler", sagt Wagener.
Scholz: "Keine gute Nachricht"
Scholz selbst verteidigte das Telefonat: Es sei wichtig, dem russischen Präsidenten klarzumachen, "dass er nicht damit rechnen darf, dass die Unterstützung Deutschlands, Europas und vieler anderer in der Welt für die Ukraine nachlassen wird", sagte der Kanzler.
Das "sehr ausführliche" Gespräch habe "zu der Erkenntnis beigetragen, dass sich bei dem russischen Präsidenten an seinen Ansichten zu diesem Krieg nicht viel geändert hat, was keine gute Nachricht ist", ergänzte der Kanzler. Über die Köpfe der Ukrainer werde es keine Entscheidungen geben.
Pistorius findet Telefonat "richtig"
Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) sagte im Bericht aus Berlin, es sei "richtig", mit Putin zu telefonieren "und nochmal deutlich zu machen, was wir erwarten - ohne wirklich erwarten zu können, dass er sich danach richtet".
Die jüngsten russischen Angriffe hätten gezeigt, was Putin von Friedensverhandlungen oder einem Waffenstillstand halte: Er habe "in einer schon lange nicht mehr dagewesenen Art und Weise" zivile Infrastruktur in der Ukraine bombardieren lassen. "Das ist jetzt hier tatsächlich ein klarer Beweis - gerade an die Adresse von BSW und AfD: Mit Putin ist zurzeit nicht über Frieden zu reden." Und trotzdem müsse man es immer wieder versuchen und gleichzeitig die Ukraine unterstützen.
Ukraine kritisiert Scholz' Anruf
Die Ukraine hatte verärgert auf den Schritt des Kanzlers reagiert. Bereits kurz nach Bekanntwerden hatte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj gesagt: "Der Anruf von Olaf öffnet meiner Meinung nach die Büchse der Pandora." Die Redewendung entstammt der griechischen Mythologie und symbolisiert ein Unheil, das - ist es in der Welt - nicht wiedergutzumachen ist.
Scholz habe mit seinem Anruf Putins lang gehegten Wunsch erfüllt, Russlands Isolation zu verringern und mit Gesprächen zu beginnen, die zu nichts führen werden, begründete er. Nun legte sein Außenminister nach: "Wir brauchen Frieden durch Stärke, nicht Beschwichtigung", sagte Andrij Sybiha.
Scholz und Putin hatten zuletzt am 2. Dezember 2022 miteinander telefoniert. Gut neun Monate zuvor hatte Russland seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine gestartet.