Friedrich Merz Kandidat unter Beobachtung
Friedrich Merz ist seit heute offiziell Kanzlerkandidat der Union. Bis zur Bundestagswahl muss sich nun zeigen, ob aus dem Oppositionsführer Merz auch ein Kanzler Merz werden kann.
Mit der Kanzlerkandidatur hat Merz immerhin bewiesen, dass er sowohl die CDU als auch die Union mit der Schwesterpartei CSU hinter sich versammeln kann. Spätestens mit der öffentlichen Unterwerfungsgeste des CSU-Chefs Markus Söder "Merz macht's und ich bin fein damit" ist das Machtgefüge in der Union klar. Vorerst.
Merz hat lange bis hierhin gebraucht, galt als das große unerfüllte Versprechen der Unionsparteien. Seine erste politische Karriere begann 1989 als Europa-Abgeordneter, 1994 wurde er Bundestagsabgeordneter für den Hochsauerlandkreis. Damals war Helmut Kohl Bundeskanzler und CDU-Chef. Merz machte sich schnell einen Namen als wirtschaftsliberaler Finanzpolitiker.
Schwieriges Verhältnis zu Merkel
Nach dem Spendenskandal der Union übernahm er 2000 von Wolfgang Schäuble den Fraktionsvorsitz der CDU/CSU im Bundestag. Merz war damit der Oppositionsführer - so wie heute. Was folgte, war eine Demontage auf Raten. Vorgenommen von der Frau, der Merz bis heute in Abneigung verbunden ist: Angela Merkel.
Das Verhältnis zwischen der späteren Kanzlerin und Merz beschrieb Michael Spreng, der 2002 den Wahlkampf für die Union organisiert hatte, später in einem Artikel für das Hamburger Abendblatt. Dies sei die "exemplarische Geschichte eines talentierten, aber überheblichen und eitlen Mannes, der eine listige, zielstrebige und uneitle Frau unterschätzte".
Die CDU-Parteivorsitzende Merkel beanspruchte nach der verlorenen Bundestagswahl 2002 den Fraktionsvorsitz für sich, Merz musste sich fügen und wurde ihr Stellvertreter. Es folgte ein Machtkampf, der mit seinem Rückzug von allen Führungsposten in der Partei und Fraktion endete. Merz blieb zwar noch bis 2009 Abgeordneter, aber der studierte Volljurist widmete sich nun seiner zweiten Karriere. Oder wie es in solchen Fällen oft heißt: Er versilberte seine politischen Kontakte.
"Der eigentliche Test kommt noch"
Merz begann schon 2002 wieder, als Rechtsanwalt zu arbeiten, war bei großen Kanzleien, übernahm lukrative Aufsichtsratsmandate, wurde ein vermögender Mann. Erst als Merkels Kanzlerschaft zu Ende ging, kam Merz zurück in die Politik.
"Friedrich Merz ist ein Mann, den die Deutschen schon lange kennen", sagt der politische Beobachter und stellvertretende Chefredakteur der "Welt", Robin Alexander. "Aber sie werden ihn nun mit anderen Augen anschauen. Sie werden bei jedem Satz sagen: Spricht so ein Kanzler, ist das der, den wir wollen? Der eigentliche Test kommt also noch."
Der Merz-Sound
Der Test, das sind auch die Themen, mit denen Merz solche Auftritte wie Anfang September in Brandenburg an der Havel bestreitet. Das Thema der Stunde: Asylpolitik. Merz erntet den meisten Applaus, wenn er über Probleme mit Geflüchteten spricht. Diese seien verantwortlich für Messerangriffe und Gruppenvergewaltigungen, erklärt Merz seinem Publikum: "Weil sie eine andere kulturelle Vorstellung haben, weil sie ein anderes Frauenbild haben, weil sie völlig respektlos sind in Teilen dieser Einwanderungsgruppen, insbesondere bei den jungen Männern, weil sie völlig respektlos sind gegenüber Frauen. Das ist die Wahrheit in Deutschland."
Das ist der Sound, den man von Merz kennt. Ein Sound, der ihm immer wieder Schlagzeilen einbringt, oft aber auch als verbale Entgleisung gesehen wird. Sprüche über "kleine Paschas" aus arabischstämmigen Familien, "Asyltouristen", die angeblich auf Steuerzahlerkosten beim Zahnarzt den deutschen Patienten die Termine wegnehmen, führen immer wieder zu Diskussionen.
Gerade sein Auftreten beim Thema Asyl und Migration dürfte für Merz der größte Test im kommenden Jahr sein. "Ich bin skeptisch, ob das tatsächlich ein Gewinnerthema insbesondere für CDU und CSU sein kann", sagt der Frankfurter Politikwissenschaftler Thomas Biebricher. Er verweist darauf, dass in anderen europäischen Ländern vor allem rechtsautoritäre Parteien profitiert hätten, wenn die etablierten politische Kräfte ihren Forderungen nach strikteren Asylregeln entgegengekommen wären.
Wirtschaftspolitik für Merz das eigentliche Thema?
Dazu passt, dass Merz trotz des Kurswechsels der Union beim Thema Migration keine nennenswerte Erfolge vorzeigen kann. Sein Ziel, der AfD Wähler im großen Stil abzujagen, hat er noch nicht mal im Ansatz erfüllen können.
Merz sagt selbst immer wieder, dass er Migration nicht als Wahlkampfthema setzen will, Wirtschaftspolitik sei für ihn das eigentliche Thema. Doch so ganz einig scheint sich die Union da nicht zu sein. Denn CSU-Chef Söder sagt ganz klar: Merz sei Kanzlerkandidat, weil er die CDU zurück auf "den richtigen Kurs" beim Thema Migration gebracht habe. Merkels Flüchtlingspolitik habe das Verhältnis zwischen CDU und CSU gestört - das sei jetzt aber wieder "geheilt". Für Söder ist Migration das Thema schlechthin.
Wüst ist ganz anderer Meinung
Gleichzeitig gibt es dann aber noch einen gewichtigen CDU-Mann, der ganz anderer Meinung ist: Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident und Chef des mitgliederstärksten CDU-Landesverbandes, Hendrik Wüst. Der galt lange selbst als möglicher Kanzlerkandidat, nahm sich aber mit großer Geste aus dem Rennen und machte damit den Weg für Merz frei.
Wüst meldete sich danach in einem "Spiegel"-Interview zu Wort: Er werbe für eine "Allianz der Mitte, insbesondere in der Migrationspolitik". Wüst regiert in seinem Bundesland relativ geräuschlos mit den Grünen, nach dem Anschlag von Solingen hat seine Koalition ein Migrations- und Sicherheitspaket verabschiedet, das vor allem für die Grünen einige Kröten enthielt. So etwas müsse doch auch im Bund möglich sein, so Wüst: "Es gibt eine tiefe Sehnsucht der Menschen nach Antworten aus der Mitte der Gesellschaft."
Merz darf das Interview auch als freundliche Erinnerung auffassen, dass er selbst bei einem Wahlsieg in einem Jahr Koalitionspartner brauchen wird. Wüst regiert mit den Grünen, genau wie sein Kollege Daniel Günther in Schleswig-Holstein. Beide werben für diese Bündnisse, während die CSU sie strikt ablehnt.
Grüne zum "Hauptgegner" erklärt
Und Friedrich Merz? Öffentlich hat er die Grünen zum "Hauptgegner" der Union erklärt, will als Kanzler vor allem grüne Politik wie den Ausstieg aus der Atomkraft oder das Heizungsgesetz zurückdrehen. Eine Zusammenarbeit, so Merz, sei nur möglich, wenn die Grünen ihre Politik der "Regulierungswut und Bevormundung" aufgeben würden.
Ein weiterer Test für Merz dürfte sein eigenes Naturell sein. Er gilt als unnachgiebig, manchmal schroff - gleichzeitig als leicht reizbar und dünnhäutig. Wenn er sich über Interviewfragen ärgert, merkt man ihm das sofort an.
Unter Beobachtung
Karl Schneider ist Landrat im Hochsauerlandkreis. Gemeinsam mit Merz gründete er vor mehr als 50 Jahren die Junge Union im Sauerland, gemeinsam sei man damals "flott vorangegangen". Schon damals habe sich gezeigt, dass Merz durchsetzungsstark, entschlossen und führungsstark sei, so beschreibt der langjährige Wegbegleiter den designierten CDU-Kanzlerkandidaten.
Soweit so erwartbar. Schneider spricht aber auch über Merz größte Schwäche: "Er nimmt viele Dinge auch schon mal persönlich und das muss er vielleicht auch mal zurechtrücken."
Merz steht ab jetzt ein Jahr lang unter Beobachtung, die Deutschen werden ihn ab jetzt mit anderen Augen ansehen als vorher. Ein Jahr, in dem der politische Gegner alle Schwächen gnadenlos ausnützen wird.
Ein Jahr lang werden die Deutschen erzählt bekommen, dass Friedrich Merz viel Geld verdient hat, ein Privatflugzeug besitzt und keinerlei Regierungserfahrung hat. Ein Jahr in dem sich zeigen wird, ob aus Merz, dem Kanzlerkandidaten, Merz, der Kanzler, werden kann.
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