Kein deutsches Veto in Brüssel Scholz gibt Linie bei EU-Asylverschärfung vor
Die Grünen sind dagegen, die FDP und Teile der SPD dafür - nun entschied der Kanzler: Deutschland wird eine Verschärfung der EU-Asylverordnung nicht blockieren. Für Deutschland kündigte Innenministerin Faeser mehr Grenzkontrollen an.
Geräuschvoll schwelte der Ampel-Streit um den EU-Asylkompromiss, der illegale Migration begrenzen soll. Vor allem Grüne und FDP stritten öffentlich. Heute hat Kanzler Olaf Scholz die Linie vorgegeben - wie das ARD-Hauptstadtstudio aus Regierungskreisen erfuhr - und damit Teile der Grünen, aber auch seiner SPD auf Kurs gebracht. Deutschland soll - so gibt es der Kanzler vor - sich den Gesprächen über die sogenannte Krisenverordnung nicht mehr verweigern, die Teil des Asylkompromisses sein soll.
Standards für Asylverfahren senken
Gerade noch rechtzeitig vor einem EU-Innenministertreffen am Donnerstag verschafft der Kanzler seiner Unterhändlerin Nancy Faeser damit Spielraum, weiter zu verhandeln und die Details der Verordnung abzustimmen. Das dürfte für ein Aufatmen in Brüssel sorgen. Im EU-Parlament sieht man die Krisenverordnung als eine Frage der Solidarität.
Wenn Mitgliedstaaten aufgrund eines hohen Migrationsdrucks in eine Krisensituation geraten, sollen Abstriche bei den Standards für Asylverfahren an den Grenzen gemacht werden können. Außerdem wären Mitgliedstaaten nicht mehr verpflichtet, Asylbewerber zurückzunehmen, für die sie eigentlich zuständig sind, die aber in einen anderen EU-Staat weitergereist sind.
Niederlage für die Grünen
Für die Grünen bedeutet das Machtwort des Kanzlers eine Niederlage. Außenministerin Annalena Baerbock hatte noch kürzlich vor der Einführung der sogenannten Krisenverordnung gewarnt. Sie erklärte am Sonntag auf X (ehemals Twitter): "Statt geordneter Verfahren würde insbesondere das große Ermessen, dass die aktuelle Krisenverordnung für den Krisenfall einräumt, de facto wieder Anreize für eine Weiterleitung großer Zahlen unregistrierter Flüchtlinge nach Deutschland setzen. Das kann die Bundesregierung nicht verantworten."
Eine Enthaltung Deutschlands bei der von der spanischen EU-Ratspräsidentschaft vorgeschlagenen Krisenverordnung hätte zu einer Blockade der Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) führen können. Die EU-Staaten hätten sich nicht miteinander für die Verhandlungen mit dem Europaparlament über den EU-Asylkompromiss positionieren können.
Scharfe Kritik von FDP
Die Blockade der Grünen sorgte deshalb für heftigen Zwist in der Ampel. Scharf kritisierte die FDP den Koalitionspartner. Generalsekretär Bijan Djir-Sarai sagte Ende der vergangenen Woche: "Ob bei Reformen auf europäischer Ebene oder bei der Einstufung der sicheren Herkunftsländer: Die Grünen sind in der Migrationspolitik ein Sicherheitsrisiko für das Land und erschweren durch realitätsferne Positionen konsequentes Regierungshandeln und parteiübergreifende Lösungen."
FDP-Chef Lindner ist wie Scholz der Ansicht, dass in Brüssel die Gespräche über die Krisenverordnung nicht aufgehalten werden dürfen. Gegenüber der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" sagte er, Deutschland dürfe einen "verantwortungsvollen Kompromiss" nicht blockieren. Angesichts hoher Zahlen von ankommenden Migranten in Deutschland gehe es um den "Erhalt des sozialen Friedens".
Nach der heutigen Kursklärung im Berliner Kabinett hieß es vom Auswärtigen Amt recht knapp: "Jetzt wird in Brüssel endlich richtig verhandelt."
Faeser kündigt flexible Grenzkontrollen an
Für Deutschland führt die Bundesinnenministerin die weiteren Beratungen beim Treffen der EU-Innenminister am Donnerstag. Sie sei "sehr optimistisch, dass wir die europäische Gesetzgebung hierzu erfolgreich abschließen werden" , erklärte Faeser.
Die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems ist für Faeser der entscheidende Schritt für eine deutliche Verringerung der irregulären Migration. Das unterstrich sie heute, als sie verschärfte Maßnahmen auf nationaler Ebene verkündete. Die Innenministerin ordnete "flexible Schwerpunktkontrollen" an den deutschen Grenzen zur Republik Polen und zur Tschechischen Republik an.
Zusätzlich zur bereits stark intensivierten Schleierfahndung im gesamten Grenzgebiet sollen die Kontrollen sowohl im Grenzgebiet als auch zeitweise unmittelbar an der jeweiligen Grenzlinie stattfinden. Sie werden abhängig von der jeweiligen aktuellen Lage räumlich und zeitlich flexibel sowie wechselnd entlang der Schleusungsrouten vorgenommen, teilte sie mit.
Zoll soll bei Kontrollen helfen
Zuvor war über stationären Grenzkontrollen zu Polen und Tschechien debattiert worden. An diesen hatten die Grünen Kritik geäußert. "Diese Grenzkontrollen an den Grenzposten machen keinen Sinn, weil die irreguläre Migration ja nicht darüber kommt in erster Linie", sagte der Co-Parteivorsitzende Omid Nouripour am Montag in Berlin. "Sie kommt ja zwischen den Grenzposten." Wichtiger seien mobile Kontrollteams.
Für die ausgeweiteten Grenzkontrollen erhält Faeser Rückenhalt vom Koalitionspartner FDP. "Sorge bereitet uns insbesondere die Schlepperkriminalität", sagte Finanzminister und FDP-Chef Christian Lindner am Mittwoch im Bundestag. Der ihm unterstellte Zoll soll bis zu 500 Beamte zur Verfügung stellen, um Grenzkontrollen durchzusetzen. Deutschland habe in den vergangenen Jahren schrittweise die vollständige Kontrolle über seine Grenzen verloren, sagt Lindner: "Dieser Zustand darf nicht fortgesetzt werden."
Chancen für europäische Lösung steigen
Die Politik steht unter Druck: Die Zahl illegaler Einreisen nach Deutschland nimmt zu, und die Unterbringung von Geflüchteten wird zur Belastungsprobe für Länder und Kommunen. Mit verschärften Kontrollen an den deutschen Grenzen will die Ampelregierung entschiedener gegen illegale Zuwanderung vorgehen.
Zugleich setzt sie auf europäische Lösungen in der Migrationsfrage. Dass Deutschland sich in der Frage der Krisenverordnung bewegt, lässt die Chancen steigen, die Asylreform noch vor der Europawahl zu beschließen.