Russische Spionage bei Bundeswehr Warum der Abhörfall brisant ist
Sie wollten intern ein Briefing für den Verteidigungsminister vorbereiten - doch Russland hörte mit. Worum ging es konkret? Wie konnte das passieren? Was hat der Lauschangriff für Folgen? Alles Wichtige im Überblick.
Ist der Mitschnitt echt?
Daran gibt es inzwischen kaum noch Zweifel. Das deutsche Verteidigungsministerium geht davon aus, dass das Gespräch abgehört wurde. "Es ist nach unserer Einschätzung ein Gespräch im Bereich der Luftwaffe abgehört worden. Ob in der aufgezeichneten oder verschriftlichten Variante, die in den sozialen Medien kursieren, Veränderungen vorgenommen wurden, können wir derzeit nicht gesichert sagen", teilte eine Sprecherin mit.
Der 38 Minuten lange Mitschnitt ist undatiert, nach russischen Angaben fand die virtuelle Telefonkonferenz am 19. Februar statt.
Worum geht es in dem Gespräch?
Zu Beginn ist eine lockere Plauderei zu hören. Einer der Beteiligten erklärt, gerade in Singapur zu sein. Er schwärmt von der Sicht vom Hotelzimmer aus. "Ich schicke dir vielleicht später mal ein Foto. Das ist schon mega."
Aber es wird schnell ernster: Es handelt sich um ein Vorbereitungsgespräch der Offiziere für ein Briefing für Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD), wohl im Februar. In der Viererrunde mit dabei ist der Chef der Luftwaffe, Inspekteur Ingo Gerhartz. Thema ist, wie die Ukraine deutsche "Taurus"-Marschflugkörper im Krieg gegen Russland einsetzen könnte - falls Kanzler Olaf Scholz sein Nein zu einer Lieferung der Waffen überdenken sollte.
Welche Fragen werden diskutiert?
Eine Frage ist, ob "Taurus"-Marschflugkörper technisch theoretisch in der Lage wären, die von Russland gebaute Brücke zur völkerrechtswidrig annektierten ukrainischen Halbinsel Krim zu zerstören. Ein weiterer Punkt ist, ob die Ukraine den Beschuss ohne Bundeswehrbeteiligung etwa bei der Zielprogrammierung bewerkstelligen könnte.
Es wird diskutiert, wie lange die Ausbildung von Ukrainern an "Taurus" dauern könnte, wie Deutschland dabei vorgehen könnte und wie die Ausbildung verkürzbar wäre. In dem Mitschnitt ist allerdings auch zu hören, dass es auf politischer Ebene kein grünes Licht für die Lieferung der Marschflugkörper gebe.
Worum geht es in der "Taurus"-Debatte?
Die ukrainische Regierung hat im Mai 2023 um die Lieferung der Marschflugkörper gebeten, um die russischen Nachschublinien auf besetztem Gebiet hinter der Front treffen zu können. Scholz entschied im Oktober, die "Taurus"-Raketen vorerst nicht in die Ukraine zu schicken. In den vergangenen Tagen bekräftigte er sein Nein und erklärte seine Gründe.
Im Kern geht es um das Risiko, dass Deutschland in den Krieg verwickelt werden könnte. "Deutsche Soldaten dürfen an keiner Stelle und an keinem Ort mit den Zielen, die dieses System erreicht, verknüpft sein", sagte Scholz. Teile seiner Ampelkoalition, aber auch Unionspolitiker sind für eine Lieferung von "Taurus" und kritisieren Scholz für sein Nein.
Warum ist die Veröffentlichung brisant?
Es geht zum Teil um militärisch sensible Informationen. Einer der Beteiligten - wohl Luftwaffen-Inspekteur Gerhartz - erklärt, er könne sich vorstellen, dass in einer ersten Tranche 50 und dann noch einmal 50 Flugkörper geliefert würden - was aber den Krieg nicht ändern würde. Allerdings: Es handelt sich letztlich nur um Gedankenspiele, um der Politik Möglichkeiten aufzuzeigen. Zudem ist die Rede davon, dass die Briten im Zusammenhang mit dem Einsatz ihrer an die Ukraine gelieferten "Storm-Shadow-Marschflugkörper" "ein paar Leute vor Ort" hätten.
Kanzler Scholz war vor ein paar Tagen ähnlich interpretiert worden. "Was an Zielsteuerung und an Begleitung der Zielsteuerung vonseiten der Briten und Franzosen gemacht wird, kann in Deutschland nicht gemacht werden", sagte Scholz. Die Briten erklärten daraufhin, der Einsatz von "Storm Shadow" durch die Ukraine und der Prozess der Zielauswahl seien Sache der Ukrainer. Brisant ist die Veröffentlichung des Gesprächs aber auch deshalb, weil sie eine offensichtliche Sicherheitslücke entlarvt.
Wie kam Russland an die Aufnahme?
Gab es eine gezielte Abhöraktion? Spielt dabei eine Rolle, dass sich einer der Teilnehmer in Singapur in einem Hotel aufhielt? Die Teilnehmer nutzten für ihre Besprechung die Plattform Webex. Eine Sprecherin des Verteidigungsministeriums bestätigte dem ARD-Hauptstadtstudio, es gebe Anhaltspunkte, dass mit Blick auf die offensichtlich besprochenen Inhalte ein nicht ausreichend sicheres Kommunikationsmittel verwendet worden sei.
Es wird nun geklärt, welcher Sicherheitsstufe die in der Besprechung genannten Details unterlagen und ob die verwendete Webex-Variante zumindest für den Austausch von Informationen der niedrigsten Geheimhaltungsstufe "Verschlusssachen - nur für den Dienstgebrauch" zugelassen ist, sagte Verteidigungsminister Boris Pistorius. Nach seiner Auffassung sei der überwiegende Teil der Inhalte des Gesprächs bereits vorher öffentlich bekannt gewesen. Es lägen ihm bislang keine Erkenntnisse über weitere Leaks oder das Mithören von weiteren Telefonaten vor. Anfang kommender Woche werde der Militärische Abschirmdienst (MAD) einen ersten Bericht mit Informationen zu den genauen Hintergründen des Vorfalls vorlegen.
Der Bundeswehr-Leak könnte durch einen russischen Teilnehmer in der Webex-Schalte entstanden sein, sagte der CDU-Verteidigungsexperte und Vize-Chef des Parlamentarischen Kontrollgremiums, Roderich Kiesewetter, im Bericht aus Berlin. Kiesewetter erklärte, es gebe Hinweise aus Quellen, "die sich berufsmäßig damit beschäftigen". Es sei nun zu klären, wie die russischen Spione die Einwahlnummern bekommen hätten und "wie sie den Zugang zu dieser Konferenz aufklären konnten".
Was bezweckt Russland mit der Veröffentlichung?
Russland will damit vor allem zeigen, dass Deutschland längst Kriegspartei sei und tief in dem Konflikt stecke - anders als von der Bundesregierung beteuert. Das Gespräch belege die "Planungen von Kampfhandlungen gegen Russland, einschließlich der Zerstörung der zivilen Infrastruktur", schimpfte die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa. "Wir fordern von Deutschland Erklärungen."
Öffentlich gemacht hatte den Mitschnitt Sacharowas einflussreiche Freundin Margarita Simonjan. Die Chefredakteurin des russischen Propagandakanals RT kündigte zunächst am Freitagmorgen den Mitschnitt als Sensation an, veröffentlichte dann Stunden später eine russische Textversion und dann noch einmal Stunden später die Audiodatei mit dem deutschen O-Ton im Netz für alle hörbar. Simonjan gilt als Vertraute von Kremlchef Wladimir Putin, der selbst als Geheimdienstoffizier in der DDR arbeitete und auch zeitweilig den russischen Inlandsgeheimdienst FSB leitete.
Deutsche Politiker gehen davon aus, dass die Veröffentlichung gezielt erfolgte. "Niemand glaubt ernsthaft, dass es ein Zufall war", sagte Pistorius mit Blick auf die Veröffentlichung kurz nach der Beerdigung des Kremlkritikers Alexej Nawalny und der Veröffentlichung der Recherche zu Wirecard und Jan Marsalek. Es gehe Putin darum, die Innenpolitik auseinanderzutreiben. "Am Ende ist entscheidend, dass wir geschlossen bleiben", sagte der SPD-Politiker.
Auch Kiesewetter erklärte im Bericht aus Berlin, das geleakte Gespräch sollte offensichtlich von den Enthüllungen zu Marsalek ablenken.
Welche Konsequenzen hat die Veröffentlichung?
Parteiübergreifend ist die Sorge groß, dass sicherheitsrelevante Kommunikationskanäle nicht genug geschützt sind. Ausschüsse im Bundestag sollen sich in der ab dem 11. März mit dem Thema beschäftigen. Dabei steht auch die Frage im Raum, ob es ein generelles Problem gibt.
Der CDU-Verteidigungsexperte Kiesewetter rechnet mit weiteren Veröffentlichungen durch Russland. "Es werden sicher noch etliche andere Gespräche abgehört worden sein und gegebenenfalls zu späteren Zeitpunkten im Sinne Russlands geleakt werden", sagte er dem Nachrichtenportal "ZDF heute".
Die Wehrbeauftragte des Bundestages, Eva Högl (SPD), hat weitreichende Konsequenzen gefordert. "Erstens müssen umgehend alle Verantwortlichen auf allen Ebenen der Bundeswehr umfassend zu geschützter Kommunikation geschult werden", sagte Högl der Funke-Mediengruppe. "Zweitens muss gewährleistet sein, dass sichere und geheime Information und Kommunikation stabil möglich ist." Der Vorfall zeige dringenden Handlungsbedarf.
Die FDP-Verteidigungspolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann forderte bessere Vorkehrungen gegen Spionage. Sie sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND), Spionage gehöre "zum Instrumentenkasten Russlands hybrider Kriegsführung".
Der deutsche Kontingentführer bei der NATO-Luftraumüberwachung im Baltikum, Swen Jacob, sagte: "Wir müssen gerade hier vor Ort im Baltikum, wo die Russen so nah sind, davon ausgehen, dass wir abgehört werden. Wir wissen auch, dass wir abgehört werden." Vor Ort seien die Soldaten darauf eingestellt - man habe auch erhöhte technische Maßnahmen getroffen, um Abhörungen zu verhindern. "Wir haben nach unserem Ermessen schon das Maximum gemacht, was wir tun können. Aber es zeigt eben auch: Der Russe hört mit."