Mutmaßlicher Abhörfall Super-GAU für die Bundeswehr?
Klartext zu möglichen "Taurus"-Einsätzen in der Ukraine: An der Echtheit des mutmaßlichen russischen Mitschnitts eines Luftwaffen-Gesprächs gibt es kaum Zweifel. Kanzler Scholz sprach von einer "sehr ernsten Angelegenheit".
38 Minuten ist der mutmaßlich authentische Mitschnitt lang. Das Verteidigungsministerium sagt offiziell auf Anfrage des ARD-Hauptstadtstudios: Man prüfe die Faktenlage, bestätige weder Echtheit noch Inhalt der Internetkonferenz, die von russischen Propagandakanälen veröffentlicht wurden.
Für den WDR-Investigativreporter Florian Flade besteht allerdings kaum noch Zweifel, dass das Gespräch, - an dem auch Luftwaffenchef Ingo Gerhartz teilnahm und sehr offen über sensible Informationen sprach - echt ist. Zwar könne man noch nicht sagen, ob dies für die komplette Aufnahme gelte, "aber die Art und Weise, wie sich diese Bundeswehr-Offiziellen dort unterhalten - das spricht schon sehr dafür, dass das echt ist. Das ist selbst mit KI-Mitteln momentan nicht so darzustellen."
Sehr offen über "Taurus"-Einsatz gesprochen
In dem Gespräch, das offenbar am 19. Februar stattfand, geht um die Vorbereitung eines Briefings für Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) rund um die Machbarkeit eines Einsatzes von "Taurus"-Marschflugkörpern in der Ukraine. Sehr offen reden die vier hochrangigen Militärs beispielsweise über die Machbarkeit einer gezielten Zerstörung der Kertsch-Brücke von der Krim zum russischen Festland und andere Details.
Der Vorsitzende des parlamentarischen Kontrollgremiums, Konstantin von Notz (Grüne), spricht von einem "hochproblematischen Vorgang, sollte sich die Geschichte bewahrheiten". Flade sagt es anders: "Dieser Vorfall ist durchaus schwerwiegend. Sicherheitspolitisch, muss man sagen, ist das nahezu ein Super-GAU." Die Aufnahme erreiche gleich mehrere Dinge, "die Moskau in die Karten spielen".
Sollte der Mitschnitt echt sein, würde die Sicherheitsstruktur der Bundeswehr bei sensiblen Gesprächen als dilettantisch entlarvt. Zudem widersprächen die Luftwaffen-Offiziere in dem Fall der Darstellung des Kanzlers, der zuletzt eine "Taurus"-Lieferung an die Ukraine verweigerte, weil sonst deutsche Soldaten dann vor Ort sein müssten.
NATO-Partner wohl "nicht sehr happy"
Aber auch andere hochsensible Informationen hätten die Militärs in dem Mitschnitt preisgegeben. Einige NATO-Partner wie Großbritannien, die USA oder Frankreich, dürften laut Flade "nicht sehr happy darüber sein, was sie dort hören: dass Personal ihrer Militärs in der Ukraine bereits präsent ist".
Das Verteidigungsministerium schweigt weiter und prüft den Fall.
Kommen noch mehr Veröffentlichungen?
CDU-Verteidigungspolitiker Roderich Kiesewetter jedenfalls schrieb dem ARD-Hauptstadtstudio, Spionage gehöre zum russischen Instrumentenkasten hybrider Kriegsführung. Er geht davon aus, dass weitere Gespräche abgehört wurden und zu einem für Russland günstigen Augenblick veröffentlicht werden könnten.
Welche Konsequenzen die Bundeswehr aus dem mutmaßlichen Spionagefall zieht, ist unklar. Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland, es müsse endlich Schluss sein mit unserer Naivität. Cyberangriffe, Spionage und Desinformation seien bereits heute massiv angestiegen: "Wir müssen dringend unsere Sicherheit und Spionageabwehr erhöhen, denn wir sind auf diesem Gebiet offensichtlich vulnerabel."