Deutsche Außenpolitik Mehr Diplomatie für Frieden in der Ukraine?
BSW, AfD und Sachsens Ministerpräsident Kretschmer wollen Friedensverhandlungen mit Russland statt Waffenlieferungen an die Ukraine. Wie realistisch sind Verhandlungen? Und was kann die Bundesregierung tun?
Es ist früher Abend in der moldauischen Hauptstadt Chisinau. Kanzler Olaf Scholz steht neben Präsidentin Maia Sandu. Es geht um die Ukraine. Wie er den Vorstoß der ukrainischen Streitkräfte auf russisches Gebiet, in die Region Kursk, werte, wird er gefragt. Und wie sich das Vorgehen auf potenzielle Verhandlungen auswirken könnte.
"Das kann man sicherlich alles erst bewerten, wenn die Zeit weiter fortgeschritten ist", antwortet der Kanzler knapp. Es ist ihm anzumerken, dass er mit dem Alleingang der Ukraine, mit dem Präsident Wolodymyr Selenskyj Verhandlungsspielraum erzwingen will, hadert.
Wahlkampfgetöse und Klarstellungen
In Deutschland ist Wahlkampf. In Sachsen, Thüringen und Brandenburg wird in den nächsten Wochen gewählt und der unverändert tobende Krieg Russlands gegen die Ukraine beunruhigt die Menschen. AfD und BSW profitieren in Umfragen davon - Wahlkämpfer berichten, dass die Unterstützung Deutschlands für die Ukraine kritisch gesehen wird.
Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer fordert immer wieder mehr Diplomatie. "Wir sind seit zwei Jahren nicht in der Lage, als Deutschland diplomatisch etwas zu bewegen", schimpft der CDU-Politiker am Dienstag im ZDF-Morgenmagazin. Und bezieht sich auf Außenministerin Annalena Baerbock: "Ich höre diese Worte noch, jetzt ist nicht die Zeit für Verhandlungen, jetzt ist die Zeit für Waffenlieferungen. Die hat wirklich versagt."
Was wie Wahlkampfgetöse klingt, trifft einen Nerv in der Bevölkerung vor allem im Osten Deutschlands. Sie fühlt sich traditionell Russland näher.
Doch Kretschmer ist in der CDU mit dieser Aussage eher alleine - zumindest bei jenen, die sich öffentlich positionieren. CDU-Chef Friedrich Merz stellt gegenüber der ARD auf Wahlkampftour in Löbau klar, dass er mögliche Verhandlungen mit Russland anders bewertet als sein Parteikollege: "Die Äußerungen von Putin bis in den heutigen Tag hinein zeigen, dass er nicht willens ist, sich auf den Weg der Diplomatie zu begeben, so sehr wir ihn alle befürworten."
Baerbock positioniert sich eindeutig und scharf
Auch der Bundeskanzler ist in dieser Woche in Sachsen unterwegs gewesen. In Dresden erklärt er, man müsse beides tun: Die Ukraine zu unterstützen, damit sie sich weiter verteidigen kann, aber gleichzeitig auch "all die zarten Pflänzchen zu gießen, die es gibt, um Friedensprozesse möglich zu machen".
Der Bundeskanzler arbeitet mit daran, dass auf die erste internationale Friedenskonferenz in der Schweiz eine weitere folgt, bei der dann auch Russland mit am Tisch sitzen soll. Scholz findet es richtig, der Ukraine zu helfen. Das macht er immer wieder deutlich.
Und doch klingen seine Worte nicht so eindeutig und scharf wie bei Deutschlands oberster Diplomatin, Außenministerin Annalena Baerbock. Anfang August schreibt sie in einem Zeitungsartikel, Putin beantworte jede Friedensinitiative mit neuen Absagen an die Diplomatie. Russland müsse seine Truppen zurückziehen, fordert sie immer wieder.
Der Sprecher des Auswärtigen Amtes, Sebastian Fischer, ergänzt, der Kreml habe eine Einladung für eine nächste Friedenskonferenz zur Ukraine bereits ausgeschlagen - "was auch einiges über die russische Verhandlungsbereitschaft aussagt". Russland könne den Krieg jederzeit beenden, indem es seine Truppen zurückziehe, statt weitere Ansprüche auf ukrainische Gebiete zu erheben, stellt Fischer klar. "Wenn es Friedensverhandlungen geben soll, muss die Ukraine stark genug sein, um diese auch erfolgreich führen zu können. Und dazu gehören eben auch Waffen. Und das zeigt eben auch, wie fehlgeleitet manche Annahme in der innenpolitischen Debatte ist."
Andere Faktoren könnten helfen
So verständlich der Wunsch nach Frieden ist: Für Verhandlungen, sagt die Friedens- und Konfliktforscherin Solveig Richter von der Universität Leipzig, müssten immer auch die Voraussetzungen gegeben sein. "Russland muss natürlich auch erst einmal in die Lage gebracht werden, überhaupt erst einmal ein Interesse daran zu haben, über die Situation zu verhandeln", so Richter. "Solange die militärische Lage gerade für Russland so ist, dass es sich viel mehr davon verspricht, Land etwa zu gewinnen, wird es sich nicht an den Verhandlungstisch setzen."
Einfluss können aber auch andere Faktoren haben, für die sich die Bundesregierung starkmacht: eine konsequente Sanktionspolitik zum Beispiel. Oder eine internationale Isolierung. Je auswegloser die Lage einer Konfliktpartei, desto größer die Verhandlungsbereitschaft.
Und noch etwas zeige die Erfahrung: Ein Krieg wie dieser könne nur mithilfe neutraler internationaler Vermittler gelöst werden: "Das ist auch der einzig gangbare Weg in diesem Konflikt", sagt Richter. "Ich sehe es nicht, dass Präsident Selenskyj und Präsident Putin sich an den Tisch setzen."
Dass Verhandlungen grundsätzlich möglich sind, wenn beide Seiten sich einen Vorteil davon versprechen, hat sich in der Vergangenheit bereits gezeigt: beim Getreide-Deal zum Beispiel oder auch beim Austausch von Kriegsgefangenen.
Die Friedens- und Konfliktforscherin Solveig Richter schließt nicht aus, dass auch schon über mehr verhandelt wird. "Die besten Verhandlungen sind die, die zunächst abseits jeglicher Öffentlichkeit stattfinden." Die Rolle der Bundesregierung sieht sie darin, für die notwendigen Bedingungen zu sorgen. Und dazu gehörten auch Waffenlieferungen.