Baustellen der Bundesregierung Wo die Ampel jetzt steht
Der komplizierte Haushaltsplan 2024 ist zumindest im Bundestag innerhalb der Ampelfraktionen geeint - zur Zufriedenheit aller. Doch schon zeigen sich weitere Dissonanzen.
Ob die Ampelkoalition einen ordentlichen, aber auch ordentlich geschrumpften Bundeshaushalt 2024 nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts hinbekommt - und mit welchen Blessuren: Das war im Vorfeld mehr als eine Schicksalsfrage. Es wurde zur Nagelprobe für die krisengeschüttelte Regierung.
Nun ist dies, vor allem nach den gemeinsamen parlamentarischen Korrekturen und der Bereinigungssitzung, ampelintern zwar gelungen. Aber die Haushaltswoche war noch nicht zu Ende, da tauchten schon wieder neue Stolpersteine auf: Geradezu in letzter Minute meldeten zwei FDP-Minister Bedenken bei der Umsetzung der EU-Lieferkettenrichtlinie an, die sich nach jahrelanger Vorarbeit gerade in der Schlusskurve auf EU-Ebene befindet. Hektisch wird nun hinter den Kulissen nach rettenden Kompromissen gesucht.
Offene Selbstkritik
Eigentlich sollte doch vieles anders werden. Bundeskanzler Olaf Scholz gelobte Besserung und räumte kürzlich in einem Gespräch mit der "Zeit" sogar Mitverantwortung für das öfter uneinige Auftreten der Ampelkoalition ein.
Offene und bedrückt wirkende Selbstkritik übte SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich am Mittwoch in der Generaldebatte des Bundestages zum Haushalt: "Ich muss bekennen, dass wir durch unser Verhalten in der Koalition manchmal Verdruss und Besorgnis befördert haben." Das sei fahrlässig - "und das betrübt mich auch."
Die Koalition habe zugelassen, "dass unsere Differenzen leider auch der Demokratie als solche zugeordnet wurden", so Mützenich. Das müsse aufhören. Es durfte als Appell an die beiden kleineren Koalitionspartner gedeutet werden, vor allem an die FDP.
Fragen um die Schuldenbremse
Doch wenige Minuten später trat ein selbstbewusster FDP-Generalsekretär ans Rednerpult, um Vorredner Mützenich zu belehren: "Für uns ist das Geld des Steuerzahlers nicht eine beliebige Verteilungsmasse", rief Bijan Djir-Sarai in Richtung SPD.
Er kritisierte seinen Ampel-Kollegen von der größten Regierungsfraktion frontal, weil er der Union im Plenum ein Gesprächsangebot zur "Umgehung der Schuldenbremse" gemacht hatte. "Das finde ich bemerkenswert, lieber Rolf." Mützenich lächelt es in dem Moment weg. Doch auf so einen koalitionsinternen Umgang würde er lieber verzichten, das ist klar.
In der SPD-Fraktion hält man die Schuldenbremse in ihrer jetzigen Form für nicht mehr zeitgemäß. Ihr ist es ernst, den Grünen auch. Selbst die sogenannten Wirtschaftsweisen, der aus Ökonomen bestehende Sachverständigenrat der Wirtschaft, mahnen eine Reform der Schuldenbremse an.
Zusätzlicher Handlungsdruck durch starke AfD
Dieses große im Grundgesetz verankerte Haushaltsinstrument lässt sich nur mit einer Zweidrittelmehrheit angehen, ebenso wie eine bessere Absicherung des Bundesverfassungsgerichts. Und diese Zweidrittelmehrheit aus demokratischen Parteien gibt es jetzt - ob sie noch so nach der nächsten Bundestagswahl existiert, weiß man nicht.
Durch das Szenario eines möglichen Erstarkens der AfD bei der Bundestagswahl 2025 gerät die jetzige Bundesregierung zusätzlich unter Handlungsdruck, um vorher demokratische Institutionen zu stärken. Mehr als es vielleicht die Ampel selbst bei der Unterschrift des Koalitionsvertrages vorausgesehen hatte.
Lindner gibt sich "ampelig"
Für SPD und Grüne gehört dazu auch eine Reform der Schuldenbremse. Doch diesem Ansinnen erteilte Finanzminister Christian Lindner erneut eine Absage - und gab sich doch zugleich beim Vorstellen des Bundeshaushalts am Dienstag sehr "ampelig" in der Sprache: "Ich spreche nicht von einem Sparhaushalt, sondern von einem Gestaltungshaushalt." Der FDP-Chef sparte auch nicht mit Angriffen auf die Unionsfraktion. Doch das allein erzeugt noch kein einheitlicheres Erscheinungsbild.
Sichtbare Reaktion für dieses widersprüchliche Auftreten des Finanzministers: Am Ende von Lindners Rede am Dienstag klatschten zwei von drei SPD-Spitzenpolitikern in der ersten Reihe der SPD-Fraktion einfach gar nicht mit - Mützenich und Katja Mast, die parlamentarische Fraktionsgeschäftsführerin. Lediglich ihr Sitznachbar, SPD-Haushaltspolitiker Dennis Rohde, applaudierte höflich.
Denn spürbar stolz und zufrieden hatten sich die drei Haushaltspolitiker Rohde, Otto Fricke (FDP) und Sven-Christian Kindler (Grüne) bei ihren Abschlussreden im Bundestag gegeben - und sich gegenseitig für Fairness und Kooperation gedankt. Am Ende seien sinnvolle Lösungen herausgekommen, mit der alle leben könnten.
Die drei Politiker fallen schon länger als Gegenmodell zu den Auseinandersetzungen in der Koalition damit auf, fair, konstruktiv und in den Beratungen verschwiegen zu sein - eigentlich ein Vorbild dafür, wie die Ampelkoalition ursprünglich miteinander umgehen wollte.
Welche Baustellen noch auf das Bündnis warten
Auf das Dreier-Bündnis warten in diesem Jahr viele Baustellen, bei denen aktuell Differenzen untereinander spürbar sind. Die Debatte um das Klimageld zeigt das. Dessen Bedeutung als Ausgleichszahlung für die Bürgerinnen und Bürger wird auch von SPD-Länderchefs betont.
Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck wiederum wirbt für ein neues Sondervermögen, um strukturelle Probleme zu lösen. Auch dafür bräuchte er nicht nur Lindner, sondern auch die Union. Unterstützt wird er dabei von Ökonomen wie Jens Suedekum, Michael Huether und Clemens Fuest, die diesen Vorschlag entwickelten.
In der Steuerpolitik ist die SPD-Fraktion mit Lindner uneins, wenn es um die Anpassung des Kinderfreibetrags geht - ohne dass das Kindergeld erneut erhöht würde. Dabei distanzierte sich Mützenich in der Generaldebatte klar von Lindner auf der Kabinettsbank. Es könnte neues Ungemach geben, was den gesamten Bundeshaushalt 2025 angeht. Dort tut sich bereits jetzt eine Lücke von 15 Milliarden Euro auf.
Es sieht so aus, als bliebe der Ampelkoalition keine Zeit für eine Verschnaufpause, um sich über die Bewährungsprobe der Haushaltseinigung zu freuen. Sie scheint immer noch den richtigen Modus zu suchen, bei aller Verschiedenheit etwas geräuschloser tragfähige Kompromisse zu finden - und diese auch noch besser zu erklären als in den ersten beiden Jahren der Regierungszusammenarbeit.