Lindner, Scholz und Habeck
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Regierung im Dauerstreit Was kann die Ampelkoalition noch leisten?

Stand: 22.08.2024 16:09 Uhr

Die Ampel war angetreten, um das Land als "Fortschrittskoalition" voranzubringen. Doch sie kommt aus dem Dauerstreit nicht heraus. Leidet darunter die Umsetzung wichtiger Projekte? Was die Regierung noch vorhat.

Von Jan-Peter Bartels, ARD-Hauptstadtstudio

"Uns eint der Wille, das Land besser zu machen, es voranzubringen und es beisammen zu halten", sagte Kanzler Olaf Scholz (SPD) vor gut drei Jahren. Es waren die Anfangstage der Ampel, die sich damals "Fortschrittskoalition" nannte. Es war eine andere Zeit. Inzwischen ist die Euphorie der Koalitionspartner geschwunden. Von den 178 Seiten und den vielen Zielen des Koalitionsvertrags werden wohl einige unerreicht bleiben.

Etwa 13 Monate bleiben noch bis zur nächsten Bundestagswahl - und die Ampel hat noch einiges auf dem Zettel. Im Herbst soll beispielsweise das Rentenpaket durch den Bundestag. Ein Herzensanliegen von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD), damit soll das Rentenniveau gesichert und die Haltelinie bei 48 Prozent bis 2039 festgeschrieben werden.

Außerdem soll ein Generationenkapital eingeführt werden: Dabei wird der Staat über eine Stiftung in Aktien investieren. Die erhofften Gewinne sollen ab Mitte des nächsten Jahrzehnts den Anstieg der Rentenbeiträge etwas mildern. Aktuell liegen die Beiträge bei 18,6 Prozent. Die Haltelinie aber könnte sie nach oben treiben - auf mehr als 22 Prozent. Deswegen finden viele Abgeordnete in der FDP das Rentenpaket nicht generationengerecht und haben weiteren Diskussionsbedarf angekündigt. In trockenen Tüchern ist das Rentenpaket also noch nicht.

Noch einige Großprojekte geplant

Auch die Altersvorsorge soll reformiert werden, beispielsweise das sogenannte Riester-Sparen. Finanzminister Christian Lindner (FDP) will mit einem "Altersvorsorgedepot" private ETF-Aktienanlagen fördern. SPD und Grüne wollen die Betriebsrenten stärken.

Ein weiteres Großprojekt: Die geplanten Reformen bei Krankenhäusern und Pflegeversicherung. Damit sollen die umstrittenen Fallpauschalen für Kliniken überarbeitet und die medizinische Qualität gesteigert werden. Ende September soll dazu eine Anhörung im Bundestag stattfinden.

Auch die Pflegeversicherung soll reformiert werden, um Angehörige zu entlasten und den Beitragsanstieg zu begrenzen. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) werde im Herbst Vorschläge vorlegen, sagte Bundeskanzler Scholz am Montag bei einem Bürgerdialog. Zu den Erfolgsaussichten äußerte er sich allerdings zurückhaltend: "Man darf die Hoffnung nicht aufgeben."

Haushalt und Wirtschaftsreformen: Prinzip Hoffnung

Apropos Hoffnung. Das ist das Kernprinzip der geplanten Wirtschaftsreformen laut Kritikern. Denn die Ampel hat sich bereits mehrere Milliarden Euro Mehreinnahmen aufgrund der geplanten "Wachstumsinitiative" in den Haushalt 2025 geschrieben. Bringen die 49 Maßnahmen die Wirtschaft nicht in Schwung, ergibt sich also im nächsten Jahr eine weitere große Lücke im Budget des Landes.

Geplant sind beispielsweise bessere Abschreibungsbedingungen, weniger Bürokratie (beispielsweise weniger Berichtspflichten) und ein vereinfachtes Steuerrecht. Darauf hatte die Ampel sich vor einigen Wochen geeinigt.

Nun wartet die Wirtschaft auf Lieferung, befürchtet aber den nächsten internen Ampel-Streit: "Den guten Willen sehen wir durchaus, auch bei dieser Bundesregierung", sagt Christoph Ahlhaus vom Bundesverband mittelständischer Wirtschaft. Aber: "Es zerfleddert dann zunächst im Streit innerhalb der Bundesregierung und auch die Union nutzt dieses Thema leider gern dazu, sich zu profilieren und parteipolitisches Kleinklein zu machen." Das hält er für falsch - die Lage der deutschen Wirtschaft sei einfach zu ernst.

Einige Ziele erreicht

Die Ampel hat gezeigt, dass sie auch durchaus Ziele des Koalitionsvertrags zügig umsetzen kann - auch unter den erschwerten Bedingungen durch den Krieg gegen die Ukraine. Beispielsweise bei der Einführung des Bürgergeldes, beim Deutschlandticket, der Cannabis-Legalisierung, dem starken Ausbau der erneuerbaren Energien oder dem Selbstbestimmungsgesetz.

In einer Studie von Bertelsmann-Stiftung und Universität Trier bekommt die Ampel dafür sehr gute Noten: Die Ampel hätte zur Halbzeit bereits sehr viele ihrer Ziele umgesetzt, schreiben die Forscher. Überlagert werde das aber immer wieder durch den öffentlich inszenierten Koalitionsstreit.

Gerade die Gesellschaftspolitik ist für Politikwissenschaftler Marc Debus das "zentrale, einigende Band der Ampel". Hier verstünden sich die Koalitionspartner gut, nicht aber bei Wirtschaft und Finanzen. Er spricht von einem Dilemma für die Ampel-Parteien: "Die Unterschiede zwischen den Parteien sind ohnehin inhaltlich groß", sagt der Forscher von der Uni Mannheim. "Darüber hinaus stehen die Parteien unter Druck, sich zu profilieren vor den bevorstehenden Landtagswahlen und der Bundestagswahl im kommenden Jahr." Die Fliehkräfte in der Koalition könnten sich also in den kommenden Monaten noch verstärken.

Beispiel Mietpreisbremse. Die soll verlängert werden, für den Justizminister ist die Sache klar: Er habe einen beschlussreifen Entwurf vorgelegt, verkündete Marco Buschmann (FDP). SPD und Grüne hingegen fordern Nachbesserungen, wollen stärker regulieren, beispielsweise bei der sogenannten Kappungsgrenze. Dabei geht es um die Bestandsmieten in Städten mit heiß gelaufenem Wohnungsmarkt.

"Es gibt dringenden Handlungsbedarf", schrieb die Grüne Fraktionsvorsitzende Katharina Dröge gestern bei X. SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese warnte schon vor einigen Wochen, Buschmann wolle doch nicht "als Bremsminister in die Geschichte eingehen". Ein Beispiel, wie sich Spitzenpolitiker der Ampel bei einem Thema verkämpfen.

Viele Themen stehen noch in der Warteschleife

Hinter vorgehaltener Hand sagen Ampelpolitiker: Themen und Gesetze miteinander zu verknüpfen ("Gibst Du mir, geb ich Dir") sei inzwischen schlechte Tradition. Sowohl das wie auch "Torschlusspanik" könnten dazu führen, dass in den kommenden Monaten über so manches Thema neu diskutiert wird.

In der Warteschleife stehen beispielsweise noch Themen wie die Bekämpfung der Finanzkriminalität und der Vermögensverschleierung (unter anderem Geldwäsche), die Tariftreue (staatliche Aufträge nur für Unternehmen mit Tarifbindung), das Demokratiefördergesetz, das Klimageld, ein Gesetz zum Schutz der kritischen Infrastruktur sowie die Überarbeitung von Waffenrecht und Bundespolizeigesetz. Umstritten und zumindest in der ursprünglichen Form erstmal verschoben wird wohl die Kindergrundsicherung.

Der Aufgabenzettel der Ampel ist also lang - und zudem könnte es bei der anstehenden Haushaltsdebatte wieder ordentlich Diskussionen geben. Im bisherigen Plan klafft eine Lücke von zwölf Milliarden Euro. Hier dürfte der Bundestag nacharbeiten wollen.