Anfang oder Ende der Reform? Wie es mit der Kindergrundsicherung weitergeht
Die Kindergrundsicherung war als größte Sozialreform der Ampelkoalition geplant. Von einer Umsetzung ist die Bundesregierung aber weit entfernt. Woran liegt das? Und wie geht es weiter?
"Wir gehören zusammen, zusammen sind wir stark", singen die Kinder in einem Leipziger Kindergarten für die Bundesfamilienministerin Lisa Paus. Es ist Morgenkreis und die Ministerin sitzt auf dem Boden umringt von den Kindern und hört lächelnd zu.
Vielleicht denkt sie, wie schön es doch wäre, wenn die Ampel sich den Refrain des Liedes als Motto vornehmen könnte. Denn es läuft nicht rund in der Koalition, vor allem wenn es um ihr Herzensprojekt, die Kindergrundsicherung geht.
"Nicht etatreif"
Einen Tag vor ihrem Kindergartenbesuch, am Mittwoch bei der Sommer-Pressekonferenz des Bundeskanzlers, stellt der die Umsetzung des geplanten Projekts Kindergrundsicherung für diese Legislatur nicht mehr in Aussicht. Gegenwärtig, sagt Scholz, diskutierten Regierung und Koalitionsparteien über erste Schritte zur Einführung: "Und dann auch darüber, wie man den Weg zum zweiten Schritt formuliert, der vermutlich dann nicht in dieser Legislaturperiode sich ereignen wird."
Damit spricht er das aus, was schon Finanzminister Christian Lindner gegenüber dem ARD-Hauptstadtstudio vergangene Woche andeutete: "Ein weiterer Schritt, also die Zusammenführung von Behörden, der ist gegenwärtig nicht etatreif. Darüber wird weiter zu sprechen, daran wird weiter zu arbeiten sein." So wie ursprünglich geplant wird die Kindergrundsicherung also erst einmal nicht mehr kommen. Für viele bedeuten diese beiden Aussagen sogar das Ende der Kindergrundsicherung.
Geschrumpfte Reform
Geplant war, das hat die Ministerin immer wieder unermüdlich erklärt, verschiedene staatliche Leistungen wie Kindergeld oder Kinderzuschlag für einkommensschwache Familien sowie Sozialleistungen für Kinder zu bündeln.
Die Grundsicherung sollte dann aus zwei Teilen bestehen: einem fixen Grundbetrag, dem Kindergarantiebetrag - heute das Kindergeld - und einem flexiblen Zusatzbetrag - dem Kinderzusatzbetrag -, der abhängig vom Einkommen der Eltern sein sollte. Dafür sollte der Antrag für die Familien einfacher, übersichtlicher und digitaler werden, damit am Ende mehr Kinder profitieren.
Für die Umsetzung wollte Paus ursprünglich zwölf Milliarden Euro; ebenso war eine neue Behörde angedacht mit rund fünftausend Stellen. Der Start der Kindergrundsicherung war für Januar 2025 geplant.
Weder das Datum, noch das Geld oder die Stellen konnte Ministerin Paus durchsetzen. Die Kindergrundsicherung - einst als das größte sozialpolitische Vorhaben der Grünen gestartet - ist auf einige Schritte zusammengeschrumpft.
Paus will kein Scheitern erkennen
Ein Scheitern aber will Familienministerin Paus darin nicht erkennen: "Auch bei anderen Gesetzen kennen Sie das, dass auch in Stufen eingeführt wird", so Paus. Bei der ersten Stufe sei man schon sehr, sehr weit, sagt sie - wie genau die zweite Stufe aussehe, das werde im September nach den Parlamentsferien erarbeitet.
Doch die Zeit eilt, wenn das Projekt noch 2025 wie geplant umgesetzt werden soll. Denn die Bundesagentur für Arbeit, deren neuer Familienservice die Kindergrundsicherung auszahlen soll, rechnet mit einem notwendigen Vorlauf von mindestens zwölf Monaten.
Die erste Stufe sieht unter anderem leichte Erhöhungen beim Kinderzuschlag und Kindergeld vor: nämlich fünf Euro. Mit einem Kindergrundsicherungscheck sollen Familien leichter wissen, ob sie einen Anspruch auf staatliche Leistungen haben.
Zusätzlich soll es ein weiteres Portal im Netz geben: Familien mit wenig Einkommen sollen darüber leichter Zuschläge für Musikschulen oder etwa Sportvereine bekommen. Das alles soll noch vor der nächsten Bundestagswahl kommen laut Paus.
Bentele: Kein Systemwechsel
Selbst wenn das klappt, ist Verena Bentele vom Sozialverband VDK skeptisch: "Ich kann mir weder den Kindergrundsicherungscheck noch das Chancen-Portal als den ganz großen Durchbruch vorstellen. Weil: Es ist bisher eigentlich schon so, dass der Staat die Bürger schon auf ihre Ansprüche hinweisen sollte." Es wäre gut, wenn es käme, sei aber nicht brandneu.
Das große Problem mit der Kindergrundsicherung bestehe darin, dass eigentlich nur am bestehenden System herumgedoktert werde: "Wenn wirklich nur die Vorhaben umgesetzt werden, die geplant sind, dann ist es keine Kindergrundsicherung, sondern dann sind es Verbesserungen im bisherigen System." Fünf Euro mehr Kindergeld und Kinderzuschlag seien gut, so Bentele, aber eben kein Systemwechsel, wie Paus ihn immer wieder versprochen habe.
Sie findet es bemerkenswert - im negativen Sinne -, dass in Gesprächen mit ihr und den Koalitionären alle jeweils den anderen die Schuld zuschieben, warum das Projekt nicht klappt.
FDP zeigt sich zufrieden
Für die FDP war die Kindergrundsicherung nie ein großes Herzensprojekt. Ihnen ging es von Anfang an vor allem um Digitalisierung und nicht um Leistungserhöhungen. Daher sieht Fraktionsvorsitzender Christian Dürr das Projekt derzeit auf einem guten Weg: "Also ich bin dann zufrieden, wenn wir eine Kindergrundsicherung haben, die nicht den Sozialstaat ausweitet, sondern entbürokratisiert und digitalisiert."
Eine umfassende Sozialreform mit eigener Behördenstruktur und erheblichen Leistungserhöhungen wird mit der FDP nicht zu machen sein.
Doch die Familienministerin lächelt in Leipzig alle Bedenken weg - sie bleibt zuversichtlich: Die Kindergrundsicherung komme. Lisa Paus hofft also auf den Endspurt der Ampel und darauf, dass doch noch alle zusammenhalten, so wie die Kinder im Leipziger Kindergarten.