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Bundesverfassungsschutz Keine AfD-Hochstufung vor Neuwahl?

Stand: 12.11.2024 19:31 Uhr

Die Neuwahl hat auch Folgen für den Bundesverfassungsschutz: Nach Informationen des ARD-Hauptstadtstudios wird es sehr wahrscheinlich keine Entscheidung über eine neue Einstufung der AfD vor der Wahl geben.

Von Claudia Kornmeier, Iris Sayram und Gabor Halasz, ARD-Hauptstadtstudio

Noch im Oktober galt die Einstufung der AfD von einem bloßen Verdachtsfall zu "gesichert extremistisch und verfassungsfeindlich" bis zum Jahresende als sehr wahrscheinlich. "Mit einer Entscheidung wird noch in diesem Jahr zu rechnen sein", sagte Thomas Haldenwang, Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz bei einer öffentlichen Anhörung der Nachrichtendienste im Bundestag.

Haldenwang sprach dabei nicht ausdrücklich von einer Hochstufung - möglich wäre auch eine Beibehaltung der Einstufung als Verdachtsfall oder eine Herunterstufung. Er wies jedoch darauf hin, dass bei der Entscheidung etwa auch die Ereignisse im neuen Thüringer Landtag eine Rolle spielen würden. Die AfD hatte dort bei der ersten Sitzung nach der Landtagswahl Chaos ausgelöst und die Wahl eines Landtagspräsidenten verzögert. Schließlich musste der Thüringer Verfassungsgerichtshof einschreiten.

Mäßigungsgebot vor Wahlen

Wegen der vorgezogenen Neuwahl verschiebt sich nun wohl die Entscheidung des Bundesverfassungsschutzes. Grund dafür ist die Chancengleichheit der Parteien. Je näher eine Entscheidung über die Einstufung einer Partei an den Termin für eine Bundestagswahl rückt, desto eher ist eine Verletzung der Chancengleichheit der Parteien zu befürchten.

Entsprechende Überlegungen gab es bereits vor der Einstufung der AfD als Verdachtsfall 2021. Die Entscheidung fiel damals sieben Monate vor der Bundestagswahl.

"Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung müssen Staatsorgane unmittelbar vor Wahlen alles unterlassen, was in irgendeiner Art und Weise geeignet ist, Einfluss auf die politische Wahlentscheidung der Bürgerinnen und Bürger zu nehmen", sagt Felor Badenberg (CDU) - heute Berliner Justizsenatorin, 2021 Vizepräsidentin des Bundesverfassungsschutzes und als solche maßgeblich an der Einstufung der AfD als Verdachtsfall beteiligt. "Das folgt aus dem Gebot äußerster Zurückhaltung der Verpflichtung des Staates zur Neutralität."  

Urteil von 1977

Sie bezieht sich dabei auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1977. Dabei ging es um Anzeigen der Bundesregierung, mit denen sie für ihre erreichten Leistungen geworben hatte: "Auch Hausfrauen können jetzt in die Rentenversicherung. Das wurde 1972 gesetzlich verankert."

Karlsruhe entschied in diesem Zusammenhang, dass das Recht der politischen Parteien auf Chancengleichheit verletzt werde, wenn Staatsorgane parteiergreifend zugunsten oder zu Lasten einer politischen Partei in den Wahlkampf einwirkten. Aus der Verpflichtung der Bundesregierung, sich jeder parteiergreifenden Einwirkung auf die Wahl zu enthalten, folge für die Vorwahlzeit das "Gebot äußerster Zurückhaltung".

In dem Urteil ging es also nicht um die Arbeit des Verfassungsschutzes und Warnungen vor extremistischen Parteien. Trotzdem orientiert man sich nun daran und übt sich in Zurückhaltung.

Verbotsverfahren

Mit einer Hochstufung der AfD als "gesichert rechtsextremistisch" wäre ein wichtiger Schritt für ein Parteiverbotsverfahren gemacht worden. Einen Anlauf dafür wollte der sächsische CDU-Abgeordnete Marco Wanderwitz machen. Mit weiteren Abgeordneten plante er, Mitte November einen entsprechenden Antrag aus der Mitte des Bundestages einzubringen. Sie hatten gehofft, durch eine Hochstufung der AfD Rückenwind zu bekommen.

Doch mit dem Aus der Ampel, den vorgezogenen Neuwahlen und damit der Verschiebung einer Entscheidung über die Hochstufung, könnte dieser Plan ebenfalls - zumindest für diese Wahlperiode - scheitern.

"Vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen dürfte sich der Antrag einzelner Abgeordneter auf ein Verbot der AfD sich erstmal erledigt haben", sagt Badenberg.

Die wollen aber noch nicht ganz aufgeben. Die Gruppe um Wanderwitz bewertet nun die neue Lage: Die Gespräche laufen, Ausgang offen. 

Haldenwang will in Bundestag

Der Verfassungsschutz hat die Aufgabe Deutschland vor Extremismus zu schützen - auch die Beobachtung verdächtiger Parteien gehört dazu. Ein Grundkonflikt, weil die AfD gleichzeitig auch zur politischen Konkurrenz gehört. Haldenwang als Behördenchef gehört der CDU an. Es gilt eine strikte Neutralitätspflicht. 

Nicht unproblematisch ist daher die angekündigte Kandidatur des Noch-Präsidenten Haldenwang, der Mitglied der CDU ist. Heute wurde bekannt, dass er für seine Partei in den nächsten Bundestag einziehen möchte. Zuerst hatte der "Spiegel" über die Kandidatur in seiner Heimatstadt Wuppertal berichtet.

Darüber habe er die Bundesinnenministerin informiert, hieß es aus Regierungskreisen. Er werde aus dem Amt ausscheiden, sobald er die Kandidatur beginne. Das bisherige Amt gelte es "selbstverständlich" klar zu trennen von einer Kandidatur für den Deutschen Bundestag. Die Nachfolge an der Spitze des Verfassungsschutzes: noch offen.