Druck auf Männer im Ausland Wie die Ukraine per App rekrutieren will
Die Ukraine braucht dringend mehr Soldaten, dabei soll eine neue App helfen. Auch in Deutschland lebende Ukrainer müssen sich registrieren. Was als Bürgerservice verkauft wird, ist wohl eher als Druckmittel gedacht.
Rekrutieren per App - so will die Ukraine nun auch wehrfähige Männer im Ausland erreichen. "Rerserve+" heißt die Anwendung, die im Google-App-Store nach wenigen Tagen schon mehr als eine Million Downloads hat. "Darin können Sie Ihre persönlichen Daten bequem aktualisieren", heißt es in der Beschreibung des ukrainischen Verteidigungsministeriums, das die App anbietet.
Das klingt nach Bürgerservice, ist aber wohl eher als Druckmittel gemeint. Denn nur mit der App erhalten die Ukrainer noch Dokumente über ihre Botschaft: "Männer im Alter von 18 bis 60 können konsularische Leistungen nur dann in Anspruch nehmen, wenn sie über ein Militärregisterdokument verfügen", schreibt eine Sprecherin der ukrainischen Botschaft in Berlin auf Anfrage des ARD-Hauptstadtstudios. Seit dem 18. Juni gebe es das neue Onlineverfahren, bestätigt sie. Auch das Bundesinnenministerium bestätigt auf Anfrage die neue Regelung.
Ukraine erhöht Druck auf junge Männer
Seit langem versucht die Ukraine, den Druck auf Männer im Wehralter zu erhöhen, die im Ausland leben. In Deutschland sind das nach Angaben des Statistischen Bundesamts etwa 220.000.
Sie erhielten seit April von Auslandsbotschaften keine neuen Dokumente mehr. Wer etwa seinen Pass verloren hatte, wurde darauf verwiesen, dass er zurück in die Ukraine reisen und sich dort beim Militär registrieren müsse. Erst dann werden neue Dokumente ausgestellt.
Indirekte Aufforderung an Staaten wie Deutschland
Aus der Ukraine können die Männer dann aber nicht mehr legal ausreisen. "Es wäre fair gegenüber all den ukrainischen Männern hier im Land, wenn die Männer, die im Ausland leben, zurückkommen", mahnte Außenminister Dmytro Kuleba Ende April. "Im Ausland zu leben, befreit Bürger nicht von den Pflichten gegenüber seinem Heimatland", schrieb er im Onlinedienst X. Er hoffe darauf, dass auch andere Regierungen die Sicht der Ukraine teilten, so Kuleba.
Das konnte man damals als indirekte Aufforderung an Staaten wie Deutschland verstehen: Ausländische Behörden sollten den Männern keine eigenen Passersatzdokumente ausstellen und damit das Leben im Exil einfacher machen.
Schneller an Daten und Kontakte kommen
Jetzt hat die Ukraine sich offenbar entschlossen, dass sie vor allem schnell an die Daten und Kontakte der Männer gelangen möchte. Dafür können die Betroffenen auch aus dem Ausland online ihre Pflichtangaben im Militärregister machen - mit der neuen App "Reserve+".
Die Exil-Ukrainer sollen ihre Daten im persönlichen Konto der App stets aktuell halten: Spätestens nach sieben Tagen müssten Änderungen, etwa beim Wohnort, vermerkt sein, schreibt das Verteidigungsministerium auf seinem "Reserve+"-Portal. Die App stellt einen Code aus, den die Botschaften im Ausland scannen können, erläutert das Außenministerium in einer "Klarstellung" zur Einführung des Onlineverfahrens. Erst der Code berechtigt dazu, Dienstleistungen an der Botschaft in Anspruch zu nehmen.
Angaben zu Fitness und Fähigkeiten
In der App sollen die Männer laut Verteidigungsministerium unter anderem Angaben machen über ihre Fitness und Eignung zum Militärdienst, ihre letzte Musterung sowie zu militärischen Kenntnissen. Unklar ist, ob die Ukraine die Datensätze nutzt, um geeignete Wehrpflichtige anzusprechen oder eine Rückkehr zu verlangen.
Das Ministerium schreibt: "Laut Gesetz gibt es keine elektronische Vorladung." Die Benachrichtigung könne also zumindest nicht über die App versendet werden. In den vergangenen Monaten hatten sich auch deutsche Innenbehörden mit den Auslandsukrainern ohne Pass beschäftigt, da diese vermehrt Anträge auf deutsche Ersatzpapiere gestellt hatten. Dazu gab es mehrere Arbeitstreffen zwischen den Ländern und dem Bundesinnenministerium - mit dem Ziel, am Ende ein bundeseinheitliches Vorgehen festzulegen.
"Wehrdienst als Bürgerpflicht zumutbar"
Nach der Innenministerkonferenz Mitte Juni erklärte Hamburgs Innensenator Andy Grote (SPD), die Länder würden keinen Passersatz ausstellen. Ein Wehrdienst sei als Bürgerpflicht zumutbar, begründeten dies mehrere Innenbehörden auf Anfrage des ARD-Hauptstadtstudios.
Doch die App wirft auch die Frage auf, ob die Ukraine anhand der Meldedaten künftig versuchen wird, Exil-Ukrainer in Deutschland zu kontaktieren oder ihnen Einberufungsbescheide zu schicken.
"Können Wehrpflicht aus der Ukraine nicht umsetzen"
Wie sehr würde Deutschland daran mitwirken, die Männer hier zu rekrutieren? Hamburgs Innensenator Andy Grote weist solche Gedankenspiele zurück: "Wir können die Wehrpflicht aus der Ukraine nicht hier bei uns umsetzen." Deutsche Behörden wüssten schlicht nicht, "wer wirklich wehrdienstfähig ist", so der SPD-Politiker. "Wir können die hier nicht mustern, wir können das hier nicht entscheiden."
Der Unmut der betroffenen ukrainischen Männer über die App zeigt sich in den Bewertungen des App-Stores: Nur zwei Sterne geben sie der Anwendung im Schnitt. Sie enthalte noch viele Fehler. Die Registrierung sei nur mit einem ukrainischen Bankkonto möglich, über das vor langer Zeit Ausgewanderte nicht verfügen, schreiben etliche Nutzer. Es scheint, als ob es noch etwas dauert, bis die App dem Verteidigungsministerium Hunderttausende Datensätze liefert.