Rekrutierung in der Ukraine "Einer muss es ja machen"
Sie machen einen der unbeliebtesten Job in der Ukraine: Mitarbeiter des Einberufungsamtes rekrutieren auf offener Straße. Tauchen sie auf, wird es leerer. Für die Angst zeigen sie Verständnis. Denn: "Niemand will sterben."
"Guten Tag, TZK - Ihren Ausweis bitte." Diesen Satz sagen Oleksandr Krajtschuk und seine Kollegen unzählige Male täglich. Sie patrouillieren auf den Straßen Charkiws. Sprechen Männer im wehrfähigen Alter an. Dieser hier ist 22 Jahre alt. Student. Und damit zu jung, um in die Armee eingezogen zu werden. Krajtschuk und seine Kollegen wünschen einen schönen Tag.
Die Männer machen wohl einen der unbeliebtesten Jobs in der gesamten Ukraine. Sie arbeiten für die Einberufungsbehörde des Landes - kurz genannt TZK. Krajtschuk zuckt mit den Schultern: "Klar haben alle Angst. Aber einer muss es ja machen. Wenn nicht wir, wer dann?"
Verständnis für die Männer, die nicht kämpfen wollen
Der 27-Jährige ist Veteran. Wurde im Krieg schwer verletzt - genauso wie seine Kollegen. Sie alle sind nicht mehr einsatzfähig. Haben ihr Leben und ihre Gesundheit riskiert, um ihre Heimat zu verteidigen.
Kamerad Maksim Burschynskyj - ein ehemaliger Polizist - versucht, Verständnis zu zeigen für die vielen Männer, die nicht kämpfen wollen: "Wahrscheinlich haben sie Bedenken, dass sie sofort im Krieg eingesetzt werden, wenn sie die Vorladung erhalten. Deshalb haben sie Angst. 50 Prozent der Einberufenen fragen zuallererst: 'Wird es eine Ausbildung geben, damit ich das Mindeste lerne, um im Kampf zu überleben?'"
Die Wut auf die Einberufungsbehörde ist groß
Grund für die Angst vor der Einberufung sind unzählige Videos, die im Internet kursieren. Sie zeigen Männer in Uniformen, die Zivilisten brutal auf der Straße festnehmen und in Autos zerren.
Oder Frauen, die versuchen ihre Söhne oder Ehemänner vor der Einberufung zu schützen. Auf einem Video ist eine ältere Frau mit buntem Kopftuch zu sehen. Verzweifelt drischt sie mit einer Stange auf das Auto der TZK-Mitarbeiter ein. Die Wut auf die Einberufungsbehörde ist groß. Daran konnte auch Präsident Wolodymyr Selenskyjs Entscheidung nichts ändern, verletzte Veteranen in der Behörde einzustellen.
"Ich kann die Menschen irgendwie verstehen, niemand will sterben", sagt Krajtschuk. Aber darum gehe es nicht. Man werde nicht mit Sicherheit sterben: "Alle, die in die Ausbildungslager geschickt werden, werden vorbereitet, sie erhalten ein Training, um sich schützen zu können."
Die Männer warnen einander in Chat-Gruppen
Krajtschuks Worte aber kommen bei den Menschen auf Charkiws Straßen nicht mehr an. Nur wenige Minuten sind er und seine Kollegen unterwegs - da sind die Straßen plötzlich merklich leerer. In Chat-Gruppen auf Telegram warnen sich Männer vor den Patrouillen des TZKs. Und jetzt schieben fast nur noch Frauen ihre Kinderwagen durch die Parks.
Auf den Bänken sitzen Rentner. Und viele von ihnen sind wütend, so wie Jewhenyj, der gerade kontrolliert wurde. "Erstens sieht man doch, dass ich 64 bin. Und zweitens haben die keine Erklärung dafür, dass sie hier patrouillieren und Spannungen erzeugen." Es gebe auch so schon genug Spannungen in der Bevölkerung.
Freiwillige kämpfen mit Behörden
Switlana sieht es ähnlich: "Ich stehe dem negativ gegenüber, denn es gibt ja Leute, die sich freiwillig melden. Die rennen aber dann von Pontius zu Pilatus. Werden von Kommission zu Kommission geschickt."
So sei es bei ihrem Bruder gewesen. Der habe sich freiwillig gemeldet - drei Monate lang habe er sich mit Behörden und Ämtern herumschlagen müssen, bevor er ins Training gelangt sei - so erzählt es Switlana.
Nach Angaben des Verteidigungsministeriums haben rund zwei Millionen Ukrainer ihre Daten bei den Behörden erneuert, seitdem das neue Mobilisierungsgesetz in Kraft getreten ist. Die Einberufung in die Armee aber wird weiterhin kritisiert - das System sei ineffektiv und intransparent, heißt es.