Steinmeier zu Protestformen "Wut ist kein guter Ratgeber in der Demokratie"
Tag zwei der Aktionswoche der Landwirte verlief ruhiger als der erste. Bundespräsident Steinmeier nutzte seinen Neujahrsempfang dennoch zur Mahnung: Er sehe mit Sorge, wie die politische Kultur bei Demonstrationen verrohe.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat angesichts des Klimas bei Demonstrationen in Deutschland zur Gewaltfreiheit aufgerufen. "Demonstrationen, Proteste, sie gehören zur Demokratie. Und es ist auch legitim, Regierungen scharf zu kritisieren", sagte Steinmeier beim Neujahrsempfang im Schloss Bellevue in Berlin. "Die Grenze ist aber überschritten, wo zu Hass und Gewalt aufgerufen wird, wo gewählte Politikerinnen und Politiker beschimpft, verunglimpft, angegriffen werden, ihnen und ihren Angehörigen gar mit dem Tod gedroht wird."
Die Zeiten seien schwierig, sagte Steinmeier weiter. Er verwies unter anderem auf die Kriege in der Ukraine und in Nahost, auf den Klimawandel, gravierende Mängel in Bildung und Ausbildung und die Aufgaben bei Migration und Integration. "Das sind große Herausforderungen. Aber Wut ist kein guter Ratgeber in der Demokratie."
"Schockiert" über Verhalten gegenüber Habeck
Der Bundespräsident ging auch auf die Attacke gegen Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) ein. "Dass ein Minister der Bundesregierung von einer aggressiven Menschenmenge auf einer privaten Reise so beschimpft und bedroht wurde, dass er eine Fähre nicht verlassen konnte und sich in Sicherheit bringen musste, das hat mich schockiert."
Er sehe mit Sorge, wie die politische Kultur bei Protesten und Demonstrationen verrohe, sagte Steinmeier. Demokratinnen und Demokraten sollten sich genau überlegen, mit wem sie auf die Straße gehen und wo die Regeln der Demokratie angetastet würden.
Beim traditionellen Neujahrsempfang des Bundespräsidenten im Schloss Bellevue werden in diesem Jahr rund 50 Ehrenamtliche und Repräsentanten des öffentlichen Lebens aus ganz Deutschland für ihr Engagement geehrt.
Zweiter Tag der Aktionswoche ruhig
Mit Traktorfahrten und anderen Protesten machten Landwirte auch heute in mehreren Regionen Deutschlands gegen den Abbau von Steuervergünstigungen beim Agrardiesel mobil. Am zweiten Tag einer bundesweiten Aktionswoche kam es durch Kolonnen mit Landwirtschaftsfahrzeugen teils zu Verkehrsbehinderungen - nach Protesten mit Tausenden Teilnehmern und Traktoren am Montag aber eher mit kleineren Aktionen. Zu Einschränkungen kam es am Morgen etwa im Raum Ulm und im Alb-Donau-Kreis. In Niederbayern sorgten laut Polizei etwa 20 Traktoren in der Nähe des Grenzübergangs Philippsreut zu Tschechien für Behinderungen.
Nach der Aktionswoche plant der Deutsche Bauernverband für den 15. Januar eine Großkundgebung in Berlin. Der Verband fordert, dass auch die Kürzungen beim Agrardiesel vom Tisch müssten. Mehrere Landwirtschaftsorganisationen und Politiker hatten sich deutlich gegen mögliche Vereinnahmungen von Protesten gewandt. Versuche einiger Rechtsextremisten, durch Solidaritätsbekundungen oder eigene Aktionen eine Brücke zu den protestierenden Bauern zu schlagen, waren nach Einschätzung aus Sicherheitskreisen zunächst nicht erfolgreich.
Rede Özdemirs erwartet
Auch in Sachsen kam es zu Protesten, Bauern besetzten Anschlussstellen an der Autobahn 72. In Schleswig-Holstein fuhren unter anderem bei Lübeck Trecker-Korsos. Zudem wurde in Niedersachsen und Brandenburg protestiert. An diesem Mittwoch wird auch Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) als Redner bei einer Kundgebung im baden-württembergischen Ellwangen erwartet.
Die Bundesregierung hält trotz der Proteste an den bereits abgeschwächten Plänen für Subventionskürzungen fest. Die Ampelkoalition will auf die Abschaffung der Kfz-Steuerbefreiung für die Landwirtschaft verzichten. Die Abschaffung der Steuerbegünstigung beim Agrardiesel soll zudem gestreckt und in mehreren Schritten in den kommenden Jahren vollzogen werden. Der Deutsche Bauernverband hält das aber für unzureichend: Auch die Kürzungen beim Agrardiesel müssten vom Tisch.