Warnung vor Protest-Unterwanderung "Es ist etwas ins Rutschen geraten"
Forscher, Verfassungsschützer und Politiker warnen: Extremisten unterwandern zunehmend Demos. Von den Landwirten fordern sie eine klare Abgrenzung. Wenn an Traktoren Galgen hängen, sei eine Grenze überschritten, so Minister Habeck.
Am Tag, an dem bundesweit Menschen gegen die Agrarpolitik demonstrieren, warnen erneut mehrere Politiker und Experten davor, dass die Proteste von extremistischen Kräften unterwandert werden könnten. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck sagte in einem auf sozialen Medien verbreiteten Video des Ministeriums:
Es kursieren Aufrufe mit Umsturzfantasien. Extremistische Gruppen formieren sich, völkisch nationalistische Symbole werden offen gezeigt. Es wird sichtbar, dass in den letzten Jahren etwas ins Rutschen geraten ist, was den legitimen demokratischen Protest und die freie Meinungsäußerung entgrenzt.
Versuch, "sich als die wahren Volksvertreter aufzuspielen"
Ähnlich äußerten sich auch Thüringens Verfassungsschutzpräsident Stephan Kramer und der Extremismusforscher Matthias Quent. Kramer sagte der Zeitung "taz": In den vergangenen Jahren hätten Rechtsextremisten "stetig und konsequent versucht, jede Form von legitimem Bürgerprotest zu unterwandern". Sie hätten versucht, "in die Mitte der Gesellschaft vorzudringen, indem sie sich als die wahren Volksvertreter aufspielen".
Kramer ergänzte: "Daher ist es nicht wirklich eine Überraschung, dass jetzt auch die Bauernproteste genutzt werden sollen." Jedes emotionale Thema sei für diese Strategie geeignet und werde auch genutzt.
Forscher: Nicht nur verbal abgrenzen
Das bestätigte auch der Extremismusforscher Quent. Nationalistische, rechtsextremistische und verschwörungsideologische Akteure versuchten, die Bewegung politisch zu instrumentalisieren, sagte Quent im Deutschlandfunk. Ihnen gehe es nicht um Agrardiesel, sie "wollen Deutschland lahmlegen".
Quent ist Professor an der Hochschule Magdeburg-Stendal. An die Bauern richtete er den Appell, sich nicht nur verbal abzugrenzen. Man könne gegen die Ampel-Regierung demonstrieren und gleichzeitig ein Zeichen gegen rechts setzen - beispielsweise durch Schriftzüge wie "Nazis raus" oder Regenbogensymbole auf Plakaten.
Ein breites Bündnis versuche, den Protesten ihren Stempel aufzudrücken und sie zu radikalisieren, so Quent weiter. Beispiele seien die "Identitäre Bewegung", aber auch die AfD.
Expertin: Nach dem Muster das "gute Volk" gegen "böse Eliten"
Die vom Verfassungsschutz in mehreren Bundesländern als rechtsradikal eingestufte AfD ermunterte ihre Anhänger, an den Demonstrationen teilzunehmen. "Wir unterstützen, dass die Bauern und andere Bürger friedlich für ihr Recht und ihre Interessen demonstrieren. Sie gehen stellvertretend für weite Teile der Gesellschaft auf die Straße", heißt es in einer Erklärung der Partei.
Nach Einschätzung der Psychologin Pia Lamberty eignen sich die Bauernproteste besonders gut für die Strategie von Rechtsextremen. Themen wie Landwirtschaft stellten eine ideale Projektionsfläche dar, sagt die Expertin für die Erforschung von Verschwörungstheorien im tagesschau.de-Interview: "Man konstruiert auf der einen Seite quasi das 'gute Volk', die Bauern, die für das Ursprüngliche stehen in diesem Weltbild. Und auf der anderen Seite stehen die 'bösen Eliten', die sie angeblich nicht verstehen, die versuchen, die Gesellschaft zu 'zersetzen'."
Bauernverband distanziert sich klar
Der grüne Minister Habeck war vergangene Woche in Schlüttsiel an der Nordseeküste selbst Opfer einer aufgebrachten Menge geworden, die ihn mit Gewalt daran hinderte, eine Fähre zu verlassen - der Kapitän sah sich gezwungen, umzukehren.
Auch in Schlüttsiel hatten Landwirte demonstriert. Der Aufruf dazu war aber auch von Gruppen des rechten Spektrums im Internet geteilt worden. Der Bauernverband hatte sich umgehend deutlich von dieser Form des Protestes distanziert. Auch aus der Politik gab es - parteiübergreifend - scharfe Kritik an den Vorgängen in Schlüttsiel.
Aiwanger: Verunglimpfung "von linker Seite"
Einzelne Politiker, wie etwa Bayerns Vize-Regierungschef Hubert Aiwanger, äußerten indirekt aber auch Verständnis. In einem "FAZ"-Interview wurde Aiwanger auf die Fähr-Blockade und auf Vorwürfe, er habe die Stimmung angeheizt, angesprochen und antwortete: Die Schuld für die Bauernwut liege "allein bei der existenzgefährdenden Ampelpolitik". In einem Interview mit der "Welt" wertete der Chef der "Freien Wähler" Warnungen vor einer Unterwanderung der Bauernproteste später als eine gezielte Verunglimpfung "von linker Seite".
Verband: Landwirtschaft wird "Zukunftsfähigkeit" genommen
Konkreter Aufhänger für die aktuellen Proteste ist, dass die Bundesregierung im Zuge der Sparzwänge durch das Karlsruher Haushaltsurteil auch zwei Subventionen für Landwirte streichen wollte - und das sehr kurzfristig. Davon ist sie inzwischen zum Teil wieder abgerückt. Der Bauernverband fordert aber weiterhin, die geplanten Kürzungen komplett zurückzunehmen. "Die nehmen der Landwirtschaft die Zukunftsfähigkeit. Vor allem gefährden wir am Ende die gesicherte Versorgung mit heimischen, hochwertigen Lebensmitteln", sagte Verbandspräsident Joachim Rukwied im rbb.
Habeck sagte, die Bundesregierung sei den Bauern wegen des Kostendrucks entgegengekommen. Hinter den Protesten stehe aber mehr als die jetzigen Regierungsentscheidungen. "Wir alle erleben einen Umbruch. Kriege und Krisen, die hohe Inflation über die letzten zwei Jahre." Erschöpfung und Enttäuschung, Sorge und Wut machten sich breit. "Aber, und es ist ein großes Aber: wir dürfen nicht zulassen, dass Extremisten diese Verunsicherung kapern. Wir dürfen nicht blind sein. Umsturzfantasien heißen nichts anderes, als unseren demokratischen Staat zerstören zu wollen."
Habeck fordert generelle Debatte über Agrarpolitik
Habeck sagte weiter: "Es gibt keine Garantie, dass nicht auch in Deutschland die Debatte immer weiter verroht, so dass am Ende das Recht und der Rechtsstaat gefährdet sind." Die liberale Demokratie sei ein Schatz, der verteidigt werden müsse. "Wenn an Traktoren Galgen hängen, wenn Traktorkolonnen zu privaten Häusern fahren, dann ist eine Grenze überschritten."
Gleichzeitig rief Habeck in dem Video seines Ministeriums zu einer Debatte über einen weiteren Wandel der Landwirtschaft auf. Für Landwirte gebe es gute und schlechte Jahre, vor allem aber gebe es ein strukturelles Problem. Bauern könnten ihre Produktionskosten oft nicht weitergeben, weil die Preise nicht von ihnen gemacht würden.
Natürlich wolle man angesichts der Probleme an jeder einzelnen Subvention ohne Abstriche festhalten. Es gebe aber auch andere Antworten: "Faire Preise, gute Bezahlung für anspruchsvolle Arbeit, für Nachhaltigkeit, Klimaschutz und Tierschutz, direkte Vermarktung. Meiner Ansicht nach sollte man die Debatte jetzt nutzen, um ernsthaft und ehrlich genau darüber zu diskutieren."