Unterwanderung der Proteste "Den Rechtsextremisten geht es nicht um die Bauern"
Im Vorfeld der Bauernproteste haben auch Rechtsextremisten und Verschwörungsideologen massiv mobilisiert. Sie versuchen, die Proteste zu unterwandern und für ihre Zwecke zu missbrauchen, sagt Psychologin Lamberty im Interview.
tagesschau.de: Warum versuchen Rechtsextreme oder auch Verschwörungsideologen überhaupt, die Bauernproteste für sich zu nutzen?
Pia Lamberty: Rechtsextreme haben es länger nicht mehr so richtig geschafft, ihre Themen auf die Straße zu bringen. Wir sehen zwar eine Zunahme in der Zustimmung zur AfD, also dem parlamentarischen Arm des Rechtsextremismus, aber auf der Straße hat sich das in der letzten Zeit nicht mehr erfolgreich niedergeschlagen. Bei den derzeitigen Protesten wittern sie eine Chance, das zu ändern und die Proteste zu unterwandern. Es ist nicht das erste Mal, dass versucht wird, Bauernproteste für die eigene Agenda zu instrumentalisieren.
Pia Lamberty ist gemeinsam mit Josef Holnburger Geschäftsführerin beim Center für Monitoring, Analyse und Strategie (CeMAS) und forscht als Psychologin seit Jahren dazu, warum Menschen an Verschwörungserzählungen glauben und welche Konsequenzen dieses Weltbild mit sich bringt.
tagesschau.de: Warum wählen sie dafür ausgerechnet die Bauernproteste?
Lamberty: Die Proteste eignen sich zum einen, weil Rechtsextreme schon lange versuchen, Themen wie Landwirtschaft für sich zu vereinnahmen. Das liegt einfach auch daran, weil es so eine ideale Projektionsfläche darstellt: Man konstruiert auf der einen Seite quasi das "gute Volk", die Bauern, die für das Ursprüngliche stehen in diesem Weltbild. Und auf der anderen Seite stehen die "bösen Eliten", die sie angeblich nicht verstehen, die versuchen, die Gesellschaft zu "zersetzen".
Das sind typische Mobilisierungsmuster, die wir auch aus der Pandemie kennen. Und dadurch, dass dieser Protest schon sehr groß gedacht wurde von den Bauernverbänden, war die Hoffnung da, dass man endlich an frühere Erfolge wieder anknüpfen kann.
tagesschau.de: Also spielt für sie der Inhalt der Proteste nur eine untergeordnete Rolle?
Lamberty: Auf der einen Seite eignet sich natürlich nicht jeder Protest für eine rechtsextreme Instrumentalisierung. Es müssen schon Themen sein, die zumindest rechtsextrem umgedeutet werden können. Und gerade im Bereich Naturschutz oder Landwirtschaft gibt es in der rechtsextremen Ideologie Anknüpfungspunkte, die darauf projiziert werden können. Aber den Rechtsextremen geht es nicht um die Bauern.
Man sieht beispielsweise bei Martin Sellner (ehemaliger Sprecher der rechtsextremen "Identitären Bewegung Österreich", Anm. d. Red.) schon einen sehr strategischen Zugang. Es ist Rechtsextremen egal, wie viele Subventionen die Bauern letzten Endes bekommen. Es geht immer nur darum, dass die Themen, die sich eignen, instrumentalisiert werden für die eigenen Ziele.
tagesschau.de: In einschlägigen Kanälen, unter anderem auf Telegram, wurde bereits zu einem Generalstreik für heute aufgerufen. Was erhoffen sich Rechtsextremisten und Verschwörungsideologen von den Protesten?
Lamberty: Letztendlich geht es rechtsextremen Akteuren immer darum, die Demokratie zu überwinden, abzuschaffen, zu zerstören. Deswegen hofft man, dass diese Proteste im Endeffekt eskalieren oder dass zumindest auf einzelnen Bildern und Videos dieser Eindruck entsteht. Es werden auch Dinge unternommen, damit genau das passiert, wie vergangene Woche mit Robert Habeck.
Man hofft, dass darüber wieder Leute aktiviert werden, auf die Straße zu gehen, dass es Gewalt auf der Straße gibt, um eine Erosion der Demokratie zu beschleunigen.
Auch das Thema Generalstreik ist ja eins, das wir aus "Querdenken"-Kreisen schon länger kennen. Während der Corona-Pandemie gab es beispielsweise mehrere Versuche, einen großen Generalstreik zu organisieren, die krachend gescheitert sind.
tagesschau.de: Wer sind die treibenden Akteure hinter der versuchten Vereinnahmung der Proteste?
Lamberty: Man muss tatsächlich sagen, dass eigentlich alle mit dabei sind - also alle rechtsextremen Akteure, die es so gibt, versuchen das Thema für sich zu nutzen. Die AfD ist mit dabei, die Identitäre Bewegung und auch viele, die bei "Querdenken" mitgemacht haben. Das haben wir in dem Ausmaß schon lange nicht mehr gesehen, und das hat auch eine aktivierende Funktion für diese Netzwerke, die während der Corona-Pandemie entstanden sind. Die sind nicht mehr ganz so aktiv gewesen in letzter Zeit.
Als es dann zu der Attacke gegen Habeck kam, haben wir einen enormen Zuwachs der Nachrichten gesehen. Es braucht also nur einen Anlass geben, und dann können sie auf diese Netzwerke wieder zugreifen. Die Gefahr ist da, und dadurch kommt auch so eine Fragilität insgesamt in der Wahrnehmung der Gesellschaft.
tagesschau.de: Wie erfolgreich sind AfD und Co. mit ihrer Strategie?
Lamberty: Ich kann mir schon vorstellen, dass die Strategie funktioniert. Die AfD ist ja auch vielfach vor Ort oder eben in den sozialen Medien und stellt sich als die vermeintliche Stimme der Bauern dar. Das heißt nicht, dass alle Bauern darauf aufspringen. Aber mit solchen Protesten kann es auch innerhalb von einer Gruppe noch mal eine Verschiebung nach rechts geben.
Das ist auf jeden Fall eine Gefahr, wenn sie es schaffen, sich als die Stimme des Volkes zu inszenieren. Dieses Unterhöhlen der Demokratie von unten ist ja eine Strategie der AfD, mit der sie es auch geschafft hat, eine Reichweite aufzubauen. Und da fällt das für mich auch mit rein.
tagesschau.de: Welche Rolle spielen die sozialen Netzwerke dabei?
Lamberty: Im Zusammenhang mit den Bauernprotesten sehen wir, dass auf Plattformen wie Telegram oder TikTok Inhalte gezielt so produziert werden, dass sie auch bei WhatsApp weiterverbreitet werden können. Denn WhatsApp ist für Landwirte ein wichtiger Kommunikationskanal. Und so kommen diese Inhalte in Gruppen, die vielleicht gar nicht als politischer Raum gedacht waren, sondern eher, um beispielsweise irgendwelche Maschinen zu verkaufen.
Hier ist also Medienkompetenz gefragt - also, dass man langfristig auch Strategien hat, wie man auch innerhalb solcher Gruppen dafür sorgen kann, dass rechtsextreme Ideen frühzeitig erkannt werden und ihnen etwas entgegengesetzt wird.
tagesschau.de: Die Schulung von Medienkompetenz ist also ein Thema. Was können die Landwirte noch unternehmen, um sich gegen eine Vereinnahmung ihrer Proteste zu wehren?
Lamberty: Es ist wichtig, dass der Bauernverband sich distanziert hat - nicht nur einmal, sondern mehrfach. Das ist schon mal ein guter Anfang. Ich glaube aber, dass die recht eskalative Sprache des Verbandes von Anfang an auch ein Stück weit überhaupt dazu geführt hat, dass diese Instrumentalisierung so funktioniert hat. Da sollte man auch sprachlich noch mal überlegen, ob das so geglückt war.
Außerdem ist aus meiner Sicht eine bloße Distanzierung zu wenig. Nur weil man sich wünscht, dass Rechtsextreme nicht da sind, heißt es nicht, dass sie nicht kommen. Das heißt, man braucht Maßnahmen. Und da habe ich den Eindruck von außen, dass da noch zu wenig passiert ist, also zu sagen, welche Symboliken nicht Teil der Proteste sein sollten, beispielsweise Galgen, Gewaltaufrufe oder rechtsextreme Fahnen. Und dass man vor Ort auch Leute hat, die das umsetzen und Kenntnisse über lokale Akteure haben.
Denn der Schaden für die Bauern und ihr Anliegen ist sehr groß, wenn sie sich nicht erfolgreich abgrenzen. Denn dann wird kaum noch über die eigentlichen Inhalte gesprochen, und es besteht die Gefahr, dass sie die Unterstützung von Teilen der Bevölkerung verlieren.
Das Gespräch führte Pascal Siggelkow, tagesschau.de.