Terrorprozess in Stammheim Eine Gruppe mit enormem Waffenarsenal
In Stuttgart hat der Prozess gegen den "militärischen Arm" der mutmaßlichen "Reichsbürger"-Gruppe um Prinz Reuß begonnen. Waren ihre Umsturzpläne realistisch? Die Frage begleitet die Ermittlungen von Anfang an.
Große Terrorismusprozesse haben Tradition in Stuttgart-Stammheim. Am Ende der Ortsdurchfahrt stößt man auf das riesige Justizareal. Links liegt das Gefängnis, in dessen 7. Stock früher viele RAF-Terroristen saßen. In der Mitte das alte Gerichtsgebäude, in denen ihnen vor Jahrzehnten der Prozess gemacht wurde. Es wird bald abgerissen.
Und rechts der neue Hochsicherheitsgerichtssaal - Schauplatz für den Auftakt einer Serie von Prozessen gegen die mutmaßliche terroristische Vereinigung rund um Heinrich XIII. Prinz Reuß, die einen Umsturz in Deutschland geplant haben sollen. In Stuttgart stehen neun Männer vor Gericht, die laut Anklage Teil des "militärischen Arms" der Gruppe gewesen sein sollen.
Auftakt mit hohen Sicherungsvorkehrungen
Die Einlasskontrollen am frühen Morgen ziehen sich hin, der geplante Auftakt um 9 Uhr verschiebt sich. Im großen, holzvertäfelten und lichtdurchfluteten Saal werden um kurz nach 10 Uhr die Angeklagten einzeln und nacheinander in den Gerichtssaal geführt. Am Platz nimmt ihnen eine Justizwachtmeister die Handfesseln ab.
Angehörige und Bekannte der Angeklagten sitzen im Zuschauerraum. Durch die dicken Trennscheiben aus Glas zwischen Saal und Zuschauerraum suchen und finden die Angeklagten Blickkontakt. Auch von ihren Verteidigerinnen und Verteidigern sind die Angeklagten durch Glastrennscheiben getrennt, Kontakt ist nur über eine Sprechanlage möglich.
Gegen 10.20 Uhr kommen die Richterinnen und Richter in den Saal. Vorsitzender ist Joachim Holzhausen.
Umsturzpläne und militante "Heimatschutzkompanien"
Die beiden Vertreter der Bundesanwaltschaft, Michael Klemm und Kathrin Tandler, verlesen die Anklage. Die mutmaßliche terroristische Vereinigung habe auf Basis der Ideologie der sogenannten "Reichsbürger" einen gewaltsamen Umsturz geplant und habe dabei zum Beispiel den Bundestag stürmen wollen.
Die Stuttgarter Angeklagten seien Teil des "militärischen Arms" der Gruppe um Prinz Reuß. Ihnen wirft die Anklage vor allem die Gründung militanter "Heimatschutzkompanien" vor, die nach dem Umsturz für "Säuberungen" zuständig gewesen seien. Mehrere "Feindeslisten" seien bereits erstellt gewesen.
Schüsse auf Polizisten bei Festnahme
Doch wäre so ein Umsturz überhaupt realistisch gewesen oder vielmehr bloße Spinnerei? Dieser Gedanke begleitet die Ermittlungen von Anfang an.
Dass der Staatsstreich geklappt hätte, davon gehen auch die Ermittler nicht aus. Aber erste Schritte hätten schon immensen Schaden anrichten können, davon sind sie überzeugt- bei einer Gruppe mit ehemaligen und einem aktiven Elitesoldaten mit einem enormen Waffenarsenal (380 Schusswaffen, 350 Hieb- und Stichwaffen, 148.000 Munitionsteile).
Im Stuttgarter Verfahren spielt zudem der Fall von Markus L. eine wichtige Rolle. Er ist auch wegen versuchten Mordes angeklagt, weil er bei seiner Festnahme in Reutlingen mit griffbereit liegenden Waffen auf Polizisten geschossen hat und sie verletzt hat.
Einige Angeklagte wollen sich äußern
Gegen Mittag gaben dann einige der Angeklagten an, sich im Laufe des Prozesses zu den Vorwürfen äußern zu wollen. Der Verteidiger und die zwei Verteidigerinnen des Angeklagten Marco v. H. hielten am Nachmittag ein Eröffnungsstatement. Unter anderem sagten sie: Die Anklage sei "die Konstruktion einer terroristischen Vereinigung". Ein faires Verfahren finde nicht statt, weil die Verteidigung nicht richtig mit ihrem Mandanten kommunizieren könne.
Außerdem habe eine mediale Vorverurteilung stattgefunden. Die Beweisaufnahme werde zeigen, dass ihr Mandant keine Waffen hortete, kein Schießtraining absolvierte und kein "Reichsbürger" sei. Es werde vielmehr versucht, ihn "in die rechte Ecke zu stellen".
Drei parallele Prozesse
Der Fall hat nicht nur wegen der konkreten Vorwürfe und der hohen Zahl der Angeklagten eine besondere Dimension. Dass ein Verfahren gegen eine mutmaßliche terroristische Vereinigung auf drei Prozesse aufgeteilt wird, ist absolutes Neuland für die deutsche Justiz. Nach dem Auftakt in Stuttgart folgen am 21. Mai das Oberlandesgericht Frankfurt und am 18.6. das Oberlandesgericht München.
Warum das so ist? Ein geeigneter Gerichtssaal für so einen Mammutprozess wäre schwer zu finden gewesen. Womöglich hätte man das Raumproblem aber irgendwie lösen können.
Herausforderung für alle Beteiligten
Im Vorfeld hatte der Präsident des OLG Stuttgart, Andreas Singer, als Argument genannt, bei einem Mammutprozess gegen 26 Personen könne man nicht gut genug auf jeden einzelnen Angeklagten eingehen und ihm gerecht werden. Man habe die Verfahren auch deswegen getrennt, um sie insgesamt zu beschleunigen, so der Vertreter der Bundesanwaltschaft im Stuttgarter Gerichtssaal.
Die Verteidigerinnen und Verteidiger sehen diesen Punkt jedenfalls sehr kritisch. Die Struktur einer mutmaßlichen neuen terroristischen Vereinigung könne ein Gericht nur in einer in einer gemeinsamen Hauptverhandlung feststellen. Weil sie nicht genau mitbekommen, was in den anderen Gerichtssälen verhandelt würde, könnten sie ihre Mandanten nicht effektiv verteidigen.
Auf jeden Fall wird es notwendig sein, wichtige Ergebnisse aus den Prozessen in die jeweiligen anderen einzuführen. Wie gut das funktionieren wird, ist eine offene Frage. Die drei parallelen Prozesse sind in dieser Form Neuland und werden jedenfalls zu einer immensen Herausforderung für alle Beteiligten.