"Reichsbürger"-Szene Hinweise auf weitere Russland-Kontakte der "Gruppe Reuß"
Die mutmaßlichen Verschwörer um Heinrich Reuß haben laut MDR-Recherchen häufiger Kontakte zu russischen Regierungsstellen gesucht als bisher bekannt. Es geht um einen Brief an den Kreml, die Russin Vitalia B. und geheime Treffen in Baden-Baden.
Der Brief soll für Kreml-Sprecher Dimitri Peskow bestimmt gewesen sein. Heinrich Reuß sollte das Schreiben im November 2022 zu einem Treffen mit Nikolai U. mitbringen. Wenige Tage später wurde Reuß bei einer bundesweiten Großrazzia im "Reichsbürger"-Milieu verhaftet. Nikolai U. sollte den Brief an Peskow weitergeben. Laut Anklage soll Reuß darin nach einer Kooperation mit der russischen Föderation gefragt haben. Ob Peskow den Brief bekommen hat, ist unklar.
Laut Generalbundesanwalt soll der Frankfurter Immobilienunternehmer Reuß einen Staatsstreich geplant haben. Neben ihm sind 26 weitere Personen an den Oberlandesgerichten Frankfurt am Main, München und Stuttgart angeklagt. Gegen rund 40 weitere mutmaßliche Terroristen laufen Ermittlungen. Der erste Prozess beginnt voraussichtlich im Mai. Reuß wird als Rädelsführer angeklagt. Reichsbürger bestreiten die Existenz der Bundesrepublik und lehnen die freiheitliche-demokratische Grundordnung fundamental ab.
Intensive Bemühungen
Von Russland erhofften sich die mutmaßlichen Verschwörer Unterstützung für ihre Umsturzpläne. Das Treffen mit dem angeblichen Briefboten Nikolai U. ist ein weiteres Beispiel für die Bemühungen der Gruppe in Kontakt mit offiziellen russischen Stellen zu treten. Laut Recherchen des MDR waren diese Bemühungen intensiver als bisher bekannt.
Nikolai U. ist 37 Jahre alt und lebte zwischenzeitlich in Hamburg. Ukrainische Behörden werfen ihm unter anderem die "Zusammenarbeit mit prorussischen Terrororganisationen" sowie die "Teilnahme an Propagandaaktivitäten Russlands gegen die Ukraine" vor. Auf eine Anfrage hat er nicht reagiert.
Immobilienhändler Reuß soll sich außerdem in Bratislava mit angeblichen russischen Kontaktleuten getroffen haben. Gemeinsam mit Rüdiger v. P. soll er dafür im Februar 2022 in die slowakische Hauptstadt geflogen sein. Rüdiger v. P. wird von der Bundesanwaltschaft ebenfalls als Rädelsführer angeklagt. In einem Chat mit seiner Schwester soll der ehemalige Offizier der Bundeswehr das Treffen in Bratislava als "Geheimgespräche" bezeichnet haben.
Darüber hinaus wurden auf dem Computer von Reuß Dateien mit Tabellen gefunden. Eine Spalte war mit "Kooperation Deutsches Reich/ Slowakei/ Russische Föderation" überschrieben. Zudem wurde eine Datei mit der Kennung "Bratislava22.docx" sichergestellt. Die Anwälte des Immobilienhändlers nahmen zu einem ausführlichen Fragenkatalog keine Stellung. Rüdiger v. P. soll laut Bundesanwaltschaft den militärischen Arm der Gruppe geleitet haben. Seine Anwälte haben auf Anfragen nicht reagiert.
Auch der angeblichen Lebensgefährtin von Reuß, Vitalia B., wird die Unterstützung einer terroristischen Vereinigung vorgeworfen. Unter anderem soll die russische Staatsbürgerin an der Beschaffung von 14 Satellitentelefonen beteiligt gewesen sein.
Treffen im russischen Generalkonsulat in Leipzig?
Nach MDR-Recherchen geht aus der Anklage gegen sie hervor, dass sie in Kontakt mit russischen "Schläfern" gestanden haben soll. Mit einem soll sie sich am 3. Juni 2022 im russischen Generalkonsulat in Leipzig getroffen haben. Reuß soll seine Teilnahme an der kurzfristig anberaumten Fahrt dorthin abgelehnt haben. Daraufhin soll B. in einer Chatnachricht die Wichtigkeit des Treffens ("keine Zeit mehr rumzusitzen") betont haben und alleine nach Leipzig gefahren sein.
Vitalia B. kam 2002 nach Deutschland und studierte in Heidelberg Kunstgeschichte. Nach MDR-Recherchen soll sie gegenüber den Ermittlern behauptet haben, von Reuß als Kunstexpertin angestellt worden zu sein. Allerdings besteht der Verdacht, dass sie in der Gruppe eine wesentliche Rolle spielen sollte. In einer Chatnachricht vom Februar 2022 soll Reuß ihr mitgeteilt haben, dass sie nach dem geplanten Umsturz die "Abteilung RUS" führen sollte. Auf diese Nachricht soll sie mit einem Herz-Emoji reagiert haben.
Im russischen Generalkonsulat in Leipzig indes waren die beiden nach MDR-Informationen mehrfach gemeinsam. So sollen Reuß und Vitalia B. auch am 13. Juni 2022 dort gewesen sein. Offizieller Grund: eine Porzellan-Ausstellung. Auch diese Behauptung hält der Generalbundesanwalt inzwischen für widerlegt.
Nach MDR-Recherchen soll in der Anklage gegen Vitalia B. ein Vermerk des Bundesnachrichtendienstes zu finden sein. Nach diesem sollen BND-Informationen zum damaligen Leipziger Generalkonsuls Dronov sowie zu Vitalia B. nahelegen, dass es bei dem Gespräch in Leipzig und den die Gruppe Reuß betreffenden Inhalten insbesondere um die Unterstützung durch die russische Föderation gegangen sein müsse.
Der BND teilte MDR-Investigativ auf Anfrage mit: "Der Bundesnachrichtendienst nimmt zu Angelegenheiten, die etwaige nachrichtendienstliche Erkenntnisse oder Tätigkeiten betreffen, grundsätzlich nicht öffentlich Stellung. Damit ist keine Aussage getroffen, ob der Sachverhalt zutreffend ist oder nicht." Die russische Botschaft in Berlin teilte mit: "Der Botschaft liegen hierzu keine Informationen vor." Die Anwältin von Vitalia B. hat auf Fragen nicht reagiert.
Auch die Anwälte der Beschuldigten Johanna F.-J. aus dem Bodenseekreis ignorierten Anfragen. Die ehemalige Bundestagskandidatin der Partei "Die Basis" sollte unter Reuß "Familienministerin" werden und wurde im Mai des vergangenen Jahres verhaftet.
Offenbar Treffen mit damaligem Generalkonsul
Auch sie soll Kontakte zu russischen Regierungsstellen gesucht haben. So soll sie auf das inzwischen geschlossene russische Generalkonsulat in Frankfurt am Main zugegangen sein. Ein entsprechendes Treffen mit dem damaligen Generalkonsul Ivan Khotulev soll dort Mitte November 2022 stattgefunden haben. Daraufhin soll sie sich Anfang Dezember, also wenige Tage vor der Razzia, noch zweimal mit Khoutlev getroffen haben - an zwei aufeinanderfolgenden Tagen, in zwei unterschiedlichen Hotels in Baden-Baden.
Auf MDR-Anfrage teilte die russische Botschaft mit: "Die diplomatischen Vertreter Russlands mischen sich nicht in die inneren Angelegenheiten souveräner Staaten ein und beteiligen sich auch nicht an illegalen Aktionen, die auf eine Destabilisierung der Lage im Aufenthaltsstaat abzielen."