Werteunion Ein "Crash-Prophet" und seine Reichsbürger-Kontakte
Die Werteunion von Hans-Georg Maaßen gibt sich bürgerlich. Sein wichtigster Mitstreiter pflegte allerdings einen engen Austausch mit Heinrich XIII. Prinz Reuß, wie Recherchen von NDR, WDR und SZ zeigen.
Nun wird es eine weitere Wahloption im Parteienspektrum geben. Eine Partei, die Koalitionen mit der AfD explizit nicht ausschließt und die im Wahljahr 2024 insbesondere in Thüringen und Sachsen eine wichtige Rolle spielen könnte. Zwei Männer haben dieses Projekt vor allem vorangetrieben: Hans-Georg Maaßen, umstrittener ehemaliger Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), der sich zuletzt immer weiter politisch nach rechts bewegte, weshalb ihn die CDU aus der Partei werfen wollte.
Den zweitwichtigsten Mann hinter dem Projekt Werteunion kennt die breite Öffentlichkeit bislang kaum, doch für Verschwörungsideologen ist er eine Art Popstar: Markus Krall, Volkswirt aus Frankfurt am Main, "Crash-Prophet", Buchautor, Ex-Geschäftsführer des Degussa Goldhandel - und seit einiger Zeit Mitglied der Werteunion.
Krall ist bereits seit Januar 2023 einer der wichtigsten Strippenzieher der nun neu gegründeten Partei, war einer der ersten, der in sozialen Netzwerken unter dem Hashtag "Let's roll" öffentlich für das Parteiprojekt warb.
Wer ist dieser Markus Krall? Krall stand auch im Austausch mit Heinrich XIII. Prinz Reuß, der inzwischen als mutmaßlicher Rechtsterrorist angeklagt ist. Dies hatte die ZEIT berichtet. Krall habe Reuß aber nur "geschäftlich kennengelernt", wie dessen Anwalt der Zeitung mitgeteilt hatte. Recherchen von WDR, NDR und "Süddeutscher Zeitung" zeigen nun, dass sich Krall und Reuß viel länger und intensiver kennen als bisher bekannt.
Krall gilt nicht als Beschuldigter
Die Ermittler haben sich die Verbindung der beiden sehr genau angesehen, Krall jedoch nicht als Mitglied der angeklagten Gruppierung eingestuft. Er gilt im Verfahren nicht als Beschuldigter, sondern als Zeuge. Anfang 2023 stellten die Ermittler bei der Einreise Kralls am Frankfurter Flughafen sein Mobiltelefon sicher, werteten später auch Kommunikation aus, die auf einem Laptop gespeichert war.
Daraus lässt sich ein durchaus vertrautes Verhältnis seit 2015 rekonstruieren. In ihrer Verachtung staatlicher Institutionen waren sich Reuß und Krall offenbar einig. Krall schrieb im August 2021, dass "wir (...) diese Drecksbehörden und ihre Einmischung in unsere Familien (…) abschaffen" müssten.
Reuß teilte sich in seiner Kritik am Staat, unter anderem bezüglich des Verschwörungsmythos vom sogenannten Deep State, Krall offenbar derart offenherzig per Mail mit, dass der ihn schon im Jahr 2020 bat, er möge künftig "die kritischen Themen nicht per Mail, sondern lieber beim persönlichen Treffen auf Papier mitbringen".
Offenbar stark ideologisch geprägt
Die Bekanntschaft Kralls mit Reuß war neben geschäftlichen Kontakten offenbar stark ideologisch geprägt, auch ganz praktisch soll Krall Reuß zeitweise unterstützt haben. Etwa bei Planungen zur Erstellung einer neuen staatlichen Ordnung.
Offenbar traf sich Reuß bereits im Vorjahr der Gründung der nun angeklagten mutmaßlichen terroristischen Vereinigung mit einer Gruppe von "unsichtbaren Patrioten", so geht es zumindest aus einem Mailverkehr hervor. Zu dieser Runde gehörte neben einem sächsischen Adligen und einer inzwischen verstorbenen Publizistin aus Bayern auch immer wieder Krall. Er taucht in zahlreichen Kommunikationen der Gruppe auf.
Gemeinsam fuhren Krall und Reuß offenbar zu mehreren geheimen Treffen, einmal auf Schloss Waidmannsheil in Ost-Thüringen. Von diesem Treffen existiert sogar eine Art Verschwiegenheitserklärung Kralls aus dem November 2020, dass über das Gesprochene nicht weiter kommuniziert werden soll.
Am gleichen Ort fanden später auf Einladung von Prinz Reuß die Treffen der mutmaßlichen terroristischen Vereinigung statt, zu denen Krall zwar eine Einladung erhielt, aber nicht teilnahm.
Einmal waren Krall und Reuß im Rheingau verabredet, einmal auf einem Schloss in Bayern, so geht es aus Mails hervor, die den Ermittlern vorliegen. Diese zeigen Anreise, Terminfindung, geplanten Teilnehmerkreis. Die bayerische Gastgeberin schrieb von "unsichtbaren Patrioten".
Ihr gegenüber soll sich Reuß damit gebrüstet haben, dass er "Herrn Dr. Maaßen in Frankfurt gesprochen" hätte und er ihm seine Visitenkarte gegeben habe. Nachweisen lässt sich ein Kontakt zwischen Reuß und dem Ex-Verfassungsschutzchef nicht, und auch nicht, ob aus dem Kontakt etwas wurde.
Maaßen äußerte sich auf Anfrage nicht dazu. Im Übrigen kommentiere er Aktivitäten "dieses durchgedrehten Reichsbürgers" - Reuß - nicht. Zu Krall teilte er mit, dass er ihn seit einigen Jahren kenne und sie ein gutes persönliches und professionelles Verhältnis hätten.
16-seitige "Verfassung für Deutschland"?
Ein Jahr bevor sich die mutmaßlichen Putschisten um Reuß formiert haben, soll Krall nach Recherchen von WDR, NDR und SZ für Reuß und dessen damalige Mitstreiter, mit denen er ein Fürstentum proklamieren wollte, eine von ihm geschriebene 16-seitige "Verfassung für Deutschland" übermittelt haben, wie sich aus einer Korrespondenz zwischen beiden ergibt.
Dieser "Verfassungsentwurf" enthält etwa das Recht jedes "unbescholtenen Bürgers", Waffen tragen zu dürfen, zudem soll nur noch wählen dürfen, wer keine staatlichen Transferleistungen oder Subventionen erhält. Laut Aussagen anderer Beschuldigter gegenüber den Ermittlern sollen sich die Neuordnungspläne der mutmaßlichen terroristischen Vereinigung im Jahr 2022 ebenfalls an Kralls Verfassungsentwurf orientiert haben.
Das Büro Krall half Reuß offenbar auch bei dessen besonderen Kontakten nach Russland. Gemeinsam sollen sie M., einen russischen Diplomaten und Mitarbeiter der Sberbank, getroffen haben, zu dem Krall nach Erkenntnissen der Ermittler seit Jahren eine überaus herzliche Verbindung unterhalten hat und ihn als "Freund" bezeichnet haben soll.
Dieser soll in den 1990er-Jahren schon im Auftrag der russischen Regierung mit Wirtschaftsthemen und Kontakten in Deutschland betraut gewesen sein und in Frankfurt sowie später dann für die Russische Botschaft in Berlin gearbeitet haben.
Auch noch nach Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine übermittelte Krall an den Russen im Herbst 2022 "aus der Seele kommende Segenswünsche für ihr großes und heiliges Land", die M. dem Konsulat in Bonn überbringen möge, da Krall an einem Empfang gesundheitsbedingt nicht teilnehmen könne. Im Chat schrieb er, seine Gebete und Gedanken seien mit M.'s Land, "der Insel des Rechts und der Rechtschaffenen, der Ort, auf dem Gottes wohlwollender Blick ruht".
Zum späteren Verschwörerkreis um Prinz Reuß zählte Markus Krall wohl dann tatsächlich nicht. Zwar soll er im Oktober 2021 nach Erkenntnissen der Ermittler an einem der ersten Treffen der späteren Gruppierung teilgenommen haben, wurde dann allerdings kein Mitglied.
Anfangs erhielt er noch Einladungen, ging aber nicht hin. Einer der Angeklagten berichtete den Ermittlern außerdem, ein Berater von Reuß habe Krall astrologisch überprüft und ihn nicht für geeignet gehalten. Und so hätten andere "Ratsmitglieder" ihn als zukünftigen Finanzminister in einem neuen Staat abgelehnt. Reuß aber hielt weiter Kontakt zu Krall.
"Zeit der großen Wende"
Im Herbst 2022, kurz bevor Reuß und die anderen Verdächtigen festgenommen wurden, drückte Krall Reuß zunächst schriftlich seine Hochachtung aus. Am 1. September 2022 schrieb Krall an Reuß von einer "Zeit der großen Wende". "Die verdorbene Klasse unserer politischen 'Elite' hat jetzt alles ins Werk gesetzt, dass die Katastrophe total wird. Nur so kann die Katharsis gelingen."
Den Prinzen lobt er, dieser habe "das Nötige getan", damit das Heilige Deutschland wieder Struktur annehmen könne. Dem fügte er ein eigens für Reuß verfasstes Gedicht bei, das sein "aufrechtes Kämpferherz" stärken möge. Es heißt "Ragnarök", "Schicksal der Götter", umfasst ganze 12 Strophen und enthält viel Pathos. Über diese Mails hatte der "Spiegel" zuerst berichtet.
Einige Wochen nach diesen Zeilen traf sich Krall mit Reuß in einem Frankfurter Steak-Restaurant. Mit dabei waren neben Krall und dem Prinzen zwei weitere nun angeklagte Terrorverdächtige, die wohl mutmaßlich wichtigsten Protagonisten des militärischen Flügels des "Reichsbürger"-Netzwerkes. Beamte des hessischen Landeskriminalamtes observierten die Zusammenkunft.
Krall soll das Restaurant nach rund einer Stunde verlassen haben. Reuß bat ihn später per E-Mail, keinen Kontakt zu den Leuten aufzunehmen, die er beim Mittagessen kennengelernt habe, und nichts zu verschriftlichen. Krall antwortete, er traue diesen Leuten ohnehin nicht - sie seien sehr seltsam und verschroben.
Später erklärte er dazu, die Personen seien ihm nicht bekannt gewesen, er habe das Essen wegen deren wirrer politischer Äußerungen schnell wieder verlassen. Die Unterhaltung hätte ausschließlich wirtschaftspolitische Inhalte gehabt.
Der Anwalt des Heinrich XIII. Prinz Reuß ließ Fragen unbeantwortet. Und auch Markus Krall äußerte sich auf Nachfrage von WDR, NDR und SZ weder dazu und noch zu weiteren Aspekten seiner Verbindungen zu den "Reichsbürgern".
Prinz Reuß ließ Fragen unbeantwortet
Über seine gewünschte Zukunft in der Werteunion hatte Krall dagegen zuletzt viel gesprochen. Er strebe zwar kein offizielles Amt an, wolle sich jedoch am Aufbau einer Finanzpolitik beteiligen.
Maaßen war zuletzt, wenn auch nur vorübergehend, zu Krall etwas auf Distanz gegangen, dieser schieße mitunter über das Ziel hinaus. Am Samstagabend indes zeigten sich beide Seit an Seit in einem Video der Werteunion, wie zwei Gründerväter, die stolz ihr gemeinsames Baby präsentieren.