Erste Anklagen erhoben Drei Gerichte befassen sich mit der "Gruppe Reuß"
Vor etwa einem Jahr erklärte die Bundesanwaltschaft, eine rechtsterroristische Verschwörung aufgedeckt zu haben. Nun wurden zunächst 27 Beschuldigte an insgesamt drei Oberlandesgerichten angeklagt.
Am 7. Dezember 2022 ging es los. Über ganz Deutschland verteilt stürmten Spezialeinsatzkräfte der Bundespolizei und aus den Ländern Wohnungen und Büros, durchsuchten Autos, Gärten und Garagen. 25 Personen wurden allein bei dieser ersten Zugriffswelle festgenommen, zwei Personen wurden in Österreich und Italien festgesetzt und nach Deutschland überstellt.
Weitere Razzien folgten in den Wochen darauf. Die Ermittler fanden neben skurrilen Unterlagen waschkörbeweise Waffen, Gold und große Geldbeträge, Computer, Smartphones und besondere Satellitentelefone.
Ermittlungsgruppe "Schatten"
Unter dem Decknamen "Schatten" hatten zuvor das Bundeskriminalamt (BKA), viele Landespolizeibehörden und einige Generalstaatsanwaltschaften in den Ländern unter Federführung des Generalbundesanwalts ermittelt. Davor war die Gruppe bereits im Visier der Verfassungsschutzbehörden gewesen.
Der Vorwurf gegen die "Gruppe Reuß" war so ungeheuerlich wie die Dimension des Falles. Noch nie gab es in der Bundesrepublik ein Terrorismusverfahren, bei dem auf einen Schlag so viele Verdächtige festgenommen wurden. Die Ermittler werfen ihnen vor, einen Staatsstreich geplant zu haben.
Zu den Beschuldigten gehören einschlägig bekannte "Reichsbürger" wie der mutmaßliche Rädelsführer Heinrich XIII. Prinz Reuß oder der ehemalige Polizeibeamte Michael F. aus Niedersachsen. Darüber hinaus frühere und aktive Angehörige der Bundeswehr, darunter des Kommandos Spezialkräfte.
Auch die ehemalige AfD-Bundestagsabgeordnete und Richterin aus Berlin, Birgit Malsack-Winkemann, wird dem Kern der Gruppe zugerechnet. Ihr Ziel war nach Überzeugung der Ermittler, die verfassungsmäßige Ordnung der Bundesrepublik zu beseitigen und einen neuen Staat nach dem Vorbild des Deutschen Reiches von 1871 zu errichten, mit dem Prinzen an der Spitze.
Erste Anklagen in Frankfurt, München und Stuttgart
Die Gruppe soll weitreichende Pläne verfolgt haben, um ihr Ziel zu erreichen, darunter den Deutschen Bundestag zu stürmen und Regierungsvertreter festzusetzen. Sonderlich weit wäre die Gruppe mit ihrem Plan aber wohl nicht gekommen.
Wie weit sie war und was das strafrechtlich bedeutet, müssen nun zunächst drei Oberlandesgerichte und deren Staatsschutzsenate klären. In der Öffentlichkeit wurde das Verfahren immer wieder kritisiert und ins Lächerliche gezogen. Doch klar ist, dass auch ein gescheiterter Versuch, die Bundesregierung mit Gewalt zu stürzen, tödliche Folgen hätte haben können.
Die Anklage gegen den mutmaßlichen Anführer Heinrich XIII Prinz Reuß, die frühere AfD-Bundestagsabgeordnete Malsack-Winkemann sowie acht weitere Personen wurde am Oberlandesgericht Frankfurt am Main erhoben. Weitere neun Personen werden nach ARD-Informationen am Oberlandesgericht Stuttgart angeklagt und nochmals acht am Oberlandesgericht München.
Rund 40 weitere Verfahren laufen derzeit noch beim Generalbundesanwalt. Es scheint möglich, dass sie künftig teilweise an die Landesstaatsanwaltschaften abgegeben werden. Doch zunächst geht es um die drei Verfahren in Frankfurt, München und Stuttgart.
Gerichtsverfahren mit neuer Dimension
Auch für die Justiz ist es damit ein Verfahren mit neuer Dimension. Es geht zwar um einen zusammenhängenden Komplex, der aber an drei unterschiedlichen Gerichten angeklagt wird. Das hat es so in der Justizgeschichte der Bundesrepublik noch nicht gegeben.
Dass die Anklage nicht an ein einziges Gericht geht, dürfte vor allem logistische Gründe haben. Man hätte für so einen Mammutprozess - 27 Angeklagte mit ihren Verteidigern, Anklagevertreter, Gericht, Medien, Publikum - einen geeigneten Gerichtssaal gebraucht.
Diese Frage war schon im Münchener NSU-Prozess mit fünf Angeklagten nicht leicht zu lösen. Einen zusammenhängenden Tatvorwurf gegen eine große mutmaßliche terroristische Vereinigung in drei separaten Prozessen zu verhandeln, wird neben der logistischen auch eine juristische Herausforderung.
Die drei Oberlandesgerichte müssen nun aber im ersten Schritt darüber entscheiden, ob sie die Anklagen jeweils zulassen und das Hauptverfahren eröffnen; ob es also zum Prozess in den jeweiligen Gerichtssälen kommt.
Skurril und todernst zu gleich
Für die Ermittler ist das Verfahren Reuß in vielerlei Hinsicht besonders. Nicht nur die große Zahl der Beschuldigten, auch ihr Ziel, in Deutschland wieder eine Art Monarchie zu errichten, ist auch für erfahrene Staatsschutzermittler etwas Neues.
Wie diese neue Staatsstruktur hätte aussehen sollen, dazu haben die Ermittler Unterlagen gefunden - und Planungen am Telefon mitgehört. So wollte sich die Gruppe wohl in einer Art Führungsrat organisieren und ihre Macht durch einen "militärischen Arm" absichern, der unter anderem aus "Heimatschutzkompanien" hätte bestehen sollen. Gleichzeitig gab es in der Gruppe wohl einige Menschen, die fest von der Existenz von Reptilwesen überzeugt waren - und eine "Seherin".
Schüsse bei der Festnahme
Wie ernst es einige der Personen offenbar meinten, wurde einige Wochen nach der ersten Zugriffswelle deutlich. Durch die Auswertung verschiedener Unterlagen wuchs die Zahl der Beschuldigten Anfang 2023 immer weiter an. Insbesondere schriftliche "Verpflichtungserklärungen", in denen sich Personen mit ihrer Unterschrift quasi dem Gruppenwillen unterworfen haben sollen, brachte die Polizei auf neue Namen und den Generalbundesanwalt dazu, weitere Wohnungen durchsuchen zu lassen.
So auch bei einem Mann im schwäbischen Reutlingen. Doch beim Versuch, seine Wohnung zu durchsuchen, fielen Schüsse. Ein SEK-Beamter wurde verletzt. Der mutmaßliche Schütze muss sich deshalb nun auch noch wegen eines möglichen Mordversuchs verantworten.
Statussymbol Telefon
Wer in dieser Struktur besonders wichtig war, bekam offenbar ein spezielles Satellitentelefon, mit dem Telefonate auch außerhalb des deutschen Netzes möglich waren. Schutz vor den Ermittlern und Krisensicherheit soll sich die Gruppe davon versprochen haben. Für den Generalbundesanwalt haben diese Telefone noch eine weitere Funktion: Hatte jemand ein solches Telefon bekommen, galt er oder sie in dem Verfahren als besonders verdächtig, heißt es aus Ermittlungskreisen.
Doch auch in normalen Telefonaten und Messengergruppen soll die Gruppe sich ausgetauscht haben. Deswegen wurde bei den Durchsuchungen auch besonderes Augenmerk auf alle Mobiltelefone gelegt. So auch beim mutmaßlichen Chef, Prinz Reuß. Er wurde am 7. Dezember 2022 nicht auf seinem Schloss in Thüringen, sondern in seiner Stadtwohnung in Frankfurt am Main am frühen Morgen festgenommen.
Nach einem ersten Schreck über den Besuch des Spezialeinsatzkommandos soll der Prinz aber Contenance bewahrt haben und sehr höflich zu den Polizisten gewesen sein, heißt es. Er sei sogar bereit gewesen, sein Mobiltelefon für die Beamten zu entsperren.