Alltag einer Hebamme Zwei neue Leben in zwölf Stunden
Die Geburt eines Kindes soll für Eltern der schönste Moment im Leben sein. Manchmal wird dieser aber auch zu einem Kampf um Leben und Tod. Dann braucht es erfahrene Hebammen. So wie Claudia Unruh.
3626 Geburten haben die Hebammen in Hamburg Altona im vergangenen Jahr begleitet. Claudia Unruh ist eine davon. Ihre Schicht im Hebammenkontor beginnt um 8 Uhr mit der Übergabe. Die Lage ist ruhig, der Tag verspricht, entspannt zu werden. Noch ahnt die 57-Jährige nicht, welcher Notfall heute noch auf sie zukommen wird.
12 Stunden am Stück geht Unruhs Schicht. Ungewöhnlich lange für Hebammen, die meistens im Acht-Stunden-Betrieb arbeiten. Das ist häufig zu kurz, um eine gesamte Geburt zu begleiten. Der Hebammenkontor will mit seinem Konzept eine engere Betreuung ermöglichen. Dazu gehört auch, dass eine Hebamme nur für zwei Frauen zuständig ist. Das ist deutlich besser als in vielen Krankenhäusern.
Schwangere lernen Hebamme erst kurz vor Geburt kennen
Trotzdem ist das Unruh noch zu wenig. Eigentlich bräuchte es eine Hebamme pro Frau, sagt sie. "Am allerschönsten ist es, wenn man die Frauen in der Vorsorge hat, die Geburt mit ihnen macht und das Wochenbett", erklärt sie, kurz nachdem sie ihr erstes Baby an diesem Tag zur Welt gebracht hat. Ein geplanter Kaiserschnitt. Die jungen Eltern haben ihre Geburtshelferin erst eine Stunde zuvor kennengelernt.
Besser wäre eine Rundumversorgung, so Unruh. Eigentlich findet die erfahrene Hebamme das am schönsten an ihrem Beruf. Aus finanziellen Gründen und weil bei einer 24-Stunden-Rufbereitschaft die Kraft irgendwann nicht mehr reiche, hat sie die enge Betreuung aber aufgeben. "Dann muss man das irgendwann lassen und in den Schichtdienst gehen", sagt sie. Generell lasse die Situation der Hebammen in Deutschland eine Begleitung der gesamten Schwangerschaft kaum noch zu.
Rund 26.000 Geburtshelferinnen gibt es deutschlandweit. Etwa 10.000 von ihnen sind in Kliniken fest angestellt. Der Rest arbeitet freiberuflich oder in Teilzeit, so belegt es der Deutsche Hebammenverband mit den aktuellsten Zahlen von 2020. Das reicht nicht aus, um den Bedarf an Unterstützung zu decken.
Der Bedarf an Geburtshelferinnen ist groß.
"Dauerstress und schlechte Bezahlung"
Schlechte Versorgungsinfrastrukturen und Schwierigkeiten bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf sind nur ein Teil des Problems. "Die Arbeit in den Kliniken ist durch Dauerstress und schlechte Bezahlung geprägt", erklärt Ulrike Geppert-Orthofer, Präsidentin des Deutschen Hebammenverbandes. "Insgesamt ist es den Kolleginnen damit oftmals nicht möglich, Frauen und Kinder so zu versorgen, wie sie es gelernt haben und es dem Berufsethos entspricht."
Viele Hebammen würden laut Geppert-Orthofer deshalb die klinische Geburtshilfe oder sogar den gesamten Beruf verlassen. Die Verbandspräsidentin fordert, dass die hebammengeleitende Geburtshilfe in der Grundversorgung verankert und direkt dort angeboten wird, wo die Familien leben. Darauf soll auch der Hebammenkongress aufmerksam machen, der noch bis morgen in Berlin stattfindet.
Auch Claudia Unruh kennt diese Probleme. Ihrer Meinung nach könnte die Lage ganz anders aussehen. "Ich bin mir sicher, wenn die Männer die Kinder kriegen würden, dann hätten wir schon längst eine Eins-zu-Eins-Betreuung", sagt sie bei einer kurzen Pause im Hebammenkontor.
Der nächsten Entbindung sieht Claudia Unruh, die seit 30 Jahren Neugeborene auf die Welt bringt, gelassen entgegen. "Sie hat ihr erstes Kind innerhalb von 40 Minuten bekommen, ich bin mir sicher, dass das relativ schnell gehen wird."
Kurz danach klingelt ihr Pieper. "Wahrscheinlich sind die Wehen stärker geworden", ruft Claudia Unruh, während sie zügig in das Zimmer der werdenden Mutter geht. Vor der Tür wird klar: Die Geburt geht los. Die Worte der Hebamme vermischen sich mit den Rufen der Gebärenden. "Klar schaffst du das. Du bist eine Granate", macht Unruh ihr Mut.
Plötzlich bricht Hektik aus
Die Entbindung ist deutlich schwerer als gedacht. Die Frau braucht eine Pause, Unruh den Austausch mit ihren Kolleginnen. "Sie ist gerade an einem Punkt, wo sie nicht mehr will. Man muss sie einfach einen Moment in Ruhe lassen." Wäre sie in einer herkömmlichen Klinik angestellt, dann hätte sie jetzt Feierabend. Ein Acht-Stunden-Tag ist rum.
Stattdessen geht es zurück in das Zimmer der erschöpften Frau - und plötzlich bricht Hektik aus. Wo die Hebammen sonst absolute Ruhe ausstrahlen, rennen sie nun den Flur entlang und eilen Unruh zur Hilfe. Erst zwei, dann vier, dann sechs von ihnen. Am Ende braucht es sieben Frauen, um das Baby auf die Welt zu bringen.
Das Kind, erzählt Unruh später, war mit dem Kopf schon draußen, doch die Schultern waren stecken geblieben. Es bekam keine Luft mehr - Lebensgefahr. Mit vereinten Kräften drehten die Hebammen das Kind.
Leben und Tod liegen nah beieinander
"Die Frau hatte so viel Angst, das war nicht so schön", erzählt Unruh danach. Sie ist erschöpft, aber zufrieden. Leben und Tod liegen auf diesen Fluren sehr nah beieinander. Aus der Ruhe bringen lässt sie sich dadurch aber nicht. "Man darf nie den Respekt dafür verlieren, dass man da für zwei Menschen verantwortlich ist", erklärt sie. "Man muss es nach bestem Wissen und Gewissen einfach machen."
In einer Stunde hat Unruh Feierabend und übergibt die Verantwortung an ihre Kolleginnen. Aber jetzt muss sie sich erst einmal umziehen. Sie ist in Fruchtwasser gebadet.