Kreißsaal

Gesetzliche Debatte Fehlender Mutterschutz nach Fehlgeburten

Stand: 10.05.2023 20:35 Uhr

Frauen, die bis zur 24. Schwangerschaftswoche eine Fehlgeburt erleiden, haben in Deutschland keinen Anspruch auf Mutterschutz. Die Bundesregierung will den gesetzlichen Stichtag vorziehen. Kritikerinnen fordern dagegen eine Staffelung.

Von Max Bertenrath, WDR

"Als die Ärztin das Ultraschallgerät angemacht hat, habe ich direkt gesehen, dass das irgendwie anders aussieht als sonst." Eva Chargé-Gilb verlor am 8. Februar 2022 ihre ungeborene Tochter in der 19. Schwangerschaftswoche. Sie hatte keinen Anspruch auf Mutterschutz.

Am Tag nach der Fehlgeburt hätte sie direkt wieder arbeiten müssen. Deshalb ließ sie sich von ihrer Ärztin krankschreiben - für zwei Wochen. Insgesamt war sie acht Wochen arbeitsunfähig, da sie ihr Kind per Kaiserschnitt entbinden musste. "Ich habe mich echt geärgert, weil ich mit Schmerzen im Bett lag. Mein Mann musste alles machen und ich hab gedacht, wenn unsere Tochter jetzt leben würde, hätte ich Mutterschutz."

Chargé-Gilb berichtet davon, dass sie sich wenig verstanden fühlte. Menschen aus ihrem Umfeld meinten: "Du kannst dich doch nicht so lange krankschreiben lassen". Doch sie wünscht sich die Anerkennung, dass man nach einer Fehlgeburt einen Geburtsprozess hinter sich hat. Vielen fehle das Verständnis dafür.

Eva Chargé-Gilb

Eva Chargé-Gilb verlor im Februar 2022 ihre ungeborene Tochter in der 19. Schwangerschaftswoche.

Reform im Koalitionsvertrag vorgesehen

Der Koalitionsvertrag der Ampel sieht eine Nachschärfung des Mutterschutzgesetzes vor. Allerdings soll die Reform des Gesetzes erneut eine Stichtagsregelung enthalten. Demnach soll bereits nach der 20. Woche - nicht erst nach der 24. Woche - Anspruch auf Mutterschutz bestehen.

Eine derart harte Grenze sei hier nicht angemessen, findet Natascha Sagorski vom Verein Feministischer Innenpolitik e. V. "Mütter müssen nach ihrer Fehlgeburt die seelischen und physischen Schmerzen, die sie erfahren, verarbeiten - das braucht Zeit. Man kann nicht erwarten, dass diese Mütter am nächsten Tag arbeiten gehen müssen. Dann ist man darauf angewiesen, dass man von seinem Arzt krankgeschrieben wird. Mir wurde nach der Fehlgeburt von meiner Ärztin gesagt, ich könne arbeiten gehen."

Natascha Sagorski

Natascha Sagorski hat eine Petition für einen gestaffelten Mutterschutz initiiert.

Petition wird vom Bundestag geprüft

Eva Chargé-Gilb unterschrieb die Petition von Natascha Sagorski drei Tage nach ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus. Sagorski, die selbst 2019 eine Fehlgeburt erlitten hat, fordert einen zeitlich gestaffelten Mutterschutz nach Fehlgeburten. Die Staffelung solle sich am Fortschritt der Schwangerschaft orientieren. Eine Experten-Kommission müsse klären, wie viele Wochen Mutterschutz den Müttern nach der jeweiligen Schwangerschaftswoche zusteht. Wichtig sei dabei, dass es sich um ein staatliches Angebot handele. Jede Frau solle individuell entscheiden dürfen, ob sie das Schutzangebot annehmen möchte.

Sagorski findet: Mindestens zwei Wochen Mutterschutz sollen Frauen bekommen, die ihr Kind im frühen Stadium bis zur zwölften Woche verlieren. Bei zunehmender Schwangerschaftsdauer auch länger. Ihre Petition unterschrieben insgesamt mehr als 75.000 Menschen. Der Petitionsausschuss des Bundestages befasst sich seither mit dem Anliegen.

Heute hatte Sagorski die Gelegenheit, vor dem Familienausschuss des Bundestages zu sprechen. Sie berichtet von großer fraktionsübergreifender Zustimmung für ihre Forderung.

Gleichwohl hält sie fest: "Das waren erstmal nur Worte. Jetzt geht es darum, dass wirklich Taten folgen." Immerhin soll noch vor der Sommerpause eine Experten-Kommission erste Vorschläge machen, wie eine Gesetzesänderung mit gestaffeltem Mutterschutz aussehen könnte. Sagorski rechnet damit, dass die Gesetzesänderung in dieser Legislaturperiode umgesetzt wird.

Fehlende Anerkennung für betroffene Eltern

Birgit Rutz von der Organisation "Hope's Angel" betreut Eltern, die ihr ungeborenes oder neugeborenes Kind verloren haben. Und ihnen müsse Mutterschutz zustehen, so Rutz. Sie berichtet, dass ihre Klienten häufig schon ein großes Problem damit haben, überhaupt einen Arzt zu finden, der sie krankschreibt. Außerdem müssten sie sich dazu noch erklären.

Ohnehin sei es problematisch, dass im Volksmund von einer Krankschreibung die Rede sei. Denn vielmehr handele es sich dabei um eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. "So oft sagen mir die Mütter: Ich bin ja nicht krank, aber ich kann halt jetzt nicht arbeiten."

Hinzu kämen physische Schmerzen durch die Entbindung. "Die Frauen haben eine Schwangerschaft gehabt, die haben eine Geburt gehabt, danach braucht der Körper einfach Zeit, sich zu erholen. Und es wäre sogar je nach Schwangerschaftswoche auch gar nicht gesund, am nächsten Tag arbeiten zu gehen, weil sich erst mal alles zurückbilden muss."

Im vergangenen November reichte Sagorski gemeinsam mit drei weiteren Frauen eine Verfassungsbeschwerde gegen das bisherige Mutterschutzgesetz in Karlsruhe ein. Das Bundesverfassungsgericht prüft noch, ob der Gesetzgeber nachbessern muss. Nun könnte es sein, dass der Bundestag dem Bundesverfassungsgericht mit einer Gesetzesänderung zuvor kommt.

Sybille Seitz, RBB, 10.05.2023 23:55 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Inforadio am 10. Mai 2023 um 14:32 Uhr.