Ahrtal Die Brücke, die ein Dorf entzweit
Die Jahrhundertflut im Ahrtal hat bei vielen Menschen Ängste vor einer erneuten Katastrophe ausgelöst. Ob deshalb eine historische Brücke abgerissen werden sollte? In Rech gibt es darüber Streit.
Die Bilder aus der Flutnacht haben sich eingebrannt, vor allem bei den Menschen, die mittendrin waren. Die sich auf Dachböden oder Hausdächer gerettet haben, die stundenlang nicht wussten, ob sie selbst, ihre Familien, Freunde oder Nachbarn die Nacht überleben werden und bei denen, die alles verloren haben.
Die Videos der Katastrophe zeigen Schutt, Bäume, Öltanks oder Wohnwagen, die sich in der reißenden Flut vor den Bögen der alten Ahrbrücken sammelten und sie verstopften. Rund 100 dieser zum Teil denkmalgeschützten Brücken wurden zerstört oder beschädigt. Viele davon bildeten zusammen mit dem Treibgut ein Hindernis für das Wasser.
Eine solche Brücke ist die Nepomukbrücke in Rech. Sie wird dieses Jahr 300 Jahre alt, doch es ist ungewiss, ob sie ihr Jubiläumsjahr überstehen wird. Die Brücke ist, darüber gibt es im Dorf keine zwei Meinungen, wunderschön. Ihre dunklen Klinker heben sich im Sonnenschein von der Umgebung ab.
Heute fließt die Ahr ruhig durch ihre drei Bögen. Drei Stempel, die Säulen der Brücke, stehen im Flussbett. Allerdings fehlen auf der einen Seite schon ein paar Meter. Die Brücke hat dem Druck der Flut nicht komplett standgehalten und ist auseinandergebrochen. In den Stunden zuvor staute sich viel Unrat vor der Brücke und große Teile von Rech gingen in der Flut unter. 21 Gebäude wurden zerstört und eine Frau kam ums Leben.
Ein Teil der Brücke wurde bei der Flut zerstört.
Anlass zur Spaltung
Knapp zwei Jahre später ist noch lange nicht alles wieder aufgebaut, auch viele Brücken nicht. Viele Dörfer im Ahrtal sind geteilt, liegen auf beiden Seiten der Ahr und bräuchten dringend wieder eine Verbindung. Doch in Rech ist das, was normalerweise die Menschen verbindet, zurzeit eher Anlass zur Spaltung.
Es haben sich zwei Fraktionen gebildet: Die einen wollen die Brücke in ihrer ursprünglichen Form erhalten, die anderen wollen sie abreißen. Ein erstes Gutachten kam zu dem Schluss, dass die Brücke bei einem erneuten Hochwasser eine Gefahr für die Anwohner bedeute. Daraufhin hatte der Gemeinderat über den Brückenabriss abgestimmt und beschlossen, sie abzureißen. Anschließend beauftragte er ein Unternehmen mit den Arbeiten, die rund 200.000 Euro kosten würden. Doch dazu kam es nicht.
Benjamin Vrijdaghs war ehrenamtlicher Ortsbürgermeister in Rech, als die Entscheidung zum Abriss getroffen wurde. Ein Abriss, sagt er, würde vielen im Dorf eine schwere Last von den Schultern nehmen: "Auf mich sind viele Menschen zugekommen und haben gesagt: Bitte hilf uns. Mach, dass die Brücke nun endlich verschwindet, wir können nicht mehr. Wir werden jeden Tag auf dem Weg ins Dorf oder auf dem Weg zur Arbeit daran erinnert, was passiert ist." Viele Menschen hätten ihm gesagt, sie bräuchten nicht durch einen Stein der Brücke an die Tragödie erinnert zu werden.
Hochwasserschutz oder Denkmalschutz?
Doch manche Recher sehen das anders. Sie wollen die Brücke retten und haben sich an die Stiftung Denkmalschutz gewandt. Sie haben ein Gegengutachten in Auftrag gegeben, das die Bedeutung der Brücke für die Katastrophe geringer einschätzt. Das Papier spricht für die Erhaltung der Brücke und von Möglichkeiten, die Anwohner dennoch vor Hochwasser zu schützen.
Eine der Brückenbefürworterinnen sagt: "Die Entscheidung für den Abriss wurde im Dezember 2021 gefällt, fünf Monate nach der Flut. "Das sei viel zu früh gewesen. "Da waren die Emotionen noch sehr hoch und die Brücke war schuld. Inzwischen wissen wir viel mehr." Man solle jetzt nicht "Hauruck ein 300 Jahre altes Bauwerk" abreißen.
Als Bürgermeister Vrijdaghs aufgrund der Abstimmung im Gemeinderat und nach dem Beschluss der unteren Denkmalbehörde den Abriss vorantrieb, kamen anderen Gemeinderatsmitgliedern Zweifel und sie organisierten eine neue Abstimmung - "hinter meinem Rücken", sagt Vrijdaghs. Die Stimmung im Dorf ist gekippt und die Fronten haben sich seitdem verhärtet.
"Für mich war das ein Vertrauensbruch", sagt Vrijdaghs. Daraufhin ist er von seinem Amt zurückgetreten. Er betont, er habe versucht, alle zu Wort kommen zu lassen und neutral die Argumente abzuwägen. Aber ohne sein Wissen erneut abzustimmen, sei zu viel für ihn gewesen, um weiterzumachen.
Mit einer Mahnwache demonstrierten Denkmalschützer für den Erhalt der Brücke.
Mahnwache für den Erhalt
Die Deutsche Stiftung Denkmalschutz nahm sich der Nepomukbrücke an und organisierte Widerstand. Kurz vor Weihnachten veranstaltete die Stiftung eine Mahnwache für den Erhalt der Brücke. Laut Anwohnern brachten die Organisatoren einen Bus voller Brückenbefürworter aus dem Umland mit, nur wenige Recher hätten mitgemacht. Die Protestierenden warben mit vielen blauen Schrifttafeln für Hochwasserschutz, für den Erhalt von Denkmälern und klagten "Aktionismus" an.
Annette Liebeskind von der Stiftung ist überzeugt, für das Richtige zu werben: "Die Brücke darf nicht abgebrochen werden, weil sie eine der 120 wertvollsten und wichtigsten Brücken Deutschlands ist." Sie habe eine Bedeutung über den Ort hinaus. "Das kann nicht im kleinsten Zirkel entschieden werden."
Sie stellt aus ihrer Arbeit einen Zusammenhang zu anderen Ereignissen her: "Wenn man jedes Denkmal abbrechen würde, wo eine Katastrophe passiert ist, dann gäbe es die Brückenköpfe von Remagen nicht mehr, allenthalben müsste man Autobahnabschnitte abreißen, also diese Diskussion führt zu gar nichts. Man kann nicht überall da, wo ein traumatisches Ereignis stattgefunden hat, symbolhaft Bauwerke abbrechen."
Die Brücke spaltet das Dorf
Gegner und Befürworter haben offensichtlich die Gesprächsgrundlage verloren. Die Beteiligten sagen jeweils über die andere Seite, man wäre unzugänglich, der Streit sei festgefahren. Das mag daran liegen, dass alle Argumente haben, die für sich stimmig erscheinen. Ein Abrissgegner sagt zum Beispiel: "Die Brücke gehört zu Rech. Die Touristen kommen hierher wegen dieser schönen Brücke. Wenn ich die jetzt abreiße, dann ist sie weg, dann kommt da ein nullachtfünfzehn Betonteil hin, das bringt überhaupt nichts."
"Ich verstehe die Ängste der Menschen, aber ich bin überzeugt, die Brücke ist keine Gefahr für uns", sagt ein anderer. Doch nichts davon kann der anderen Seite die Ängste vor der Brücke nehmen.
Ein Anwohner erzählt, dass er noch schnell sein Auto in Sicherheit bringen wollte und auf die andere Ahrseite fuhr. Dann kam er nicht mehr zurück und wusste die ganze Nacht lang nicht, wie es seiner Familie geht. Deshalb sei für ihn klar: "Ich und meine Familie würden wegziehen, wenn sie so bestehen bleibt, wie sie jetzt ist. Weil ich nicht mit dieser Gefahr leben möchte, das nochmal erleben zu müssen."
Auch für andere Abrissbefürworter ist die Sache ganz klar: "Wer will das verantworten, dass man sich gegen die Meinung von Experten wendet und sagt, die Brücke bleibt aus emotionalen Gründen stehen und riskiert damit nochmal so eine Katastrophe. So eine Verantwortung möchte keiner tragen."
Für die Politik ist die Sache entschieden
Der ehemalige Bürgermeister Vrijdahgs glaubt nicht, dass dieser Streit im Dorf entschieden werden kann und auch nicht hier entschieden werden sollte. Im Nachhinein, sagt er, sei es ein Fehler gewesen, den Ortsbeirat darüber entscheiden zu lassen. "Hier endet das Ehrenamt", so Vrijdahgs. "Jetzt sind andere dran, die das hauptberuflich machen. Die auch nicht hier im Ort wohnen. Die auch eine Entscheidung treffen können, ohne dass sie abends angefeindet werden. So eine Entscheidung ehrenamtlichen Gemeinderatsmitgliedern aufzuerlegen, das ist schon irre.“
Der Innenminister von Rheinland-Pfalz, Michael Ebling, hat seinen Standpunkt schon klargemacht: Er möchte, dass die Brücke abgerissen wird. "Das ist nicht leicht abzuwägen, aber hier ist Hochwasserschutz höher zu bewerten, das spricht für einen Abriss und Wiederaufbau", sagt Ebling.
Den Streit, der zum Teil von außen ins Dorf hineingetragen wurde, bewertet der Minister mit Unverständnis: "Ich habe schon mit dem Kopf geschüttelt, als sich Interessensverbände und der Denkmalschutz eingemischt haben, die die ganze Last bei den Verantwortlichen vor Ort abgeladen haben. Das habe ich als zutiefst ungerecht empfunden."
Kleinster gemeinsamer Nenner
Bei allen Meinungsverschiedenheiten hört man auf beiden Seiten der Debatte immer wieder das Wort Hochwasserschutz. Ob die Nepomukbrücke vielleicht ein bisschen an der Katastrophe schuld war, ist völlig unwichtig für die Feststellung, dass die Menschen im Ahrtal zukünftig bestmöglich vor Flutkatastrophen geschützt werden müssen. Besser als bisher in jedem Fall. Dafür reicht nicht eine Maßnahme, sondern ein großes Bündel an Veränderungen im Tal. Ob die Brücke dazugehört, sollte zeitnah entschieden werden.