Wiederaufbau im Ahrtal Warum die Milliarden nicht ankommen
Nach der Flut wurden 15 Milliarden für den Wiederaufbau im Ahrtal bereitgestellt, aber nur ein Bruchteil wurde bisher abgerufen. Dabei hat sich an vielen Orten entlang der Ahr noch wenig getan. Woran liegt das?
Wer wissen will, wie der Wiederaufbau im Ahrtal nach der katastrophalen Flut vor gut eineinhalb Jahren vorangeht, muss nicht lange suchen. Viele Häuser entlang der Ahr sind noch immer unbewohnt, zugenagelt oder im Rohbau. Manchmal sogar noch mit Flutschlamm bespritzt.
So zum Beispiel die Häuser von Rita Nelles. Der 74-Jährigen gehören zwei Häuser im Ort Dernau, unweit der Ahr. Alles wurde überflutet und das Ehepaar damit zeitweise obdachlos. Jetzt leben sie ein paar Straßen weiter und haben nur noch das, was ihnen gespendet wurde.
Einfach so alles wieder aufbauen, dazu fehlt Ihnen die Kraft, erzählt Nelles im Interview mit Report Mainz: "Mein Mann und ich schlafen keine Nacht durch. Er ist 82. Wir waren beide krank und meinem Sohn ist das auch zu viel."
Nun leben sie von einer kleinen Rente. Denn die zerstörten Häuser waren als Altersvorsorge gedacht. Versichert waren sie nicht - und die erste Abschlagszahlung vom staatlichen Wiederaufbaufonds sei schon für das Entrümpeln draufgegangen, erzählt Nelles. Nun müsse man für jede weitere Zahlung Handwerker-Rechnungen einreichen und alles vorstrecken. Geld, das das Ehepaar nicht mehr habe.
Rita Nelles hat in der Flut zwei Häuser verloren.
9000 Häuser zerstört
So wie dem Ehepaar Nelles geht es vielen Menschen im Ahrtal. 9000 Häuser, viele Straßen und Brücken hat die Flut zerstört. Viel davon ist noch nicht wieder aufgebaut. Dabei hat der Bund 15 Milliarden Euro in Rheinland-Pfalz zur Verfügung gestellt. Zahlreiche Politiker, darunter der heutige Bundeskanzler Olaf Scholz, versprachen nach der Flut schnelle und unbürokratische Hilfe. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier beteuerte: "Wir vergessen euch nicht." Und auch die Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, Malu Dreyer, sprach von "schnellen und passgenauen Hilfen".
Doch auch gut eineinhalb Jahren nach der Katastrophe sind nur rund fünf Prozent des Fonds ausgezahlt. Auf Anfrage des Politikmagazins Report Mainz gab die rheinland-pfälzische Landesregierung an, dass 90 Prozent der eingegangenen Anträge bewilligt seien. Doch warum wird dann nur so wenig ausgezahlt? Warum sind so viele Straßen und Brücken noch immer nicht wieder aufgebaut?
Verzweiflung über die Bürokratie
Udo Adriany, Ortsbürgermeister von Müsch, kennt die Antwort. Vor der Flut hatte er noch ein überschaubares Ehrenamt, nun ist es ein Fulltime-Job. Neben seiner Arbeit als selbstständiger Bauingenieur verwalte er nun ein Schaden in Höhe von zwölf Millionen Euro, sagt er. Dutzende Anträge hat er schon gestellt, für Spielplätze, Brücken, bis hin zum Bushaltehäuschen. Doch Bürokratie und Verwaltung lassen ihn verzweifeln, erzählt Adriany. "Der Hauptgrund ist einfach, dass man zu jeder Maßnahme einen Einzelantrag stellen muss. Zu jedem Antrag gehört die fachliche Stellungnahme eines Ingenieurbüros mit Kostenaufstellung und vielen Plänen."
Beispielsweise für einen Spielplatz, der ja auch schon zuvor da gewesen sei. Man höre immer nur, was nicht gehe: "Das ist sehr frustrierend für uns. Wir wollen doch nur das Dorf wieder möglichst schnell so aufbauen, wie es vorher war."
Der Ortsbürgermeister von Müsch, Udo Adriany, hat jetzt einen Fulltimejob statt eines Ehrenamts.
Verwaltungen völlig überlastet
Wie Adriany geht es vielen anderen seiner ehrenamtlichen Kollegen. Helmut Lussi, Ortsbürgermeister von Schuld, kritisiert, dass man sie mit all dem allein lässt: "Der Situation bist du als kleiner Bürgermeister gar nicht gewachsen. Da stehen so viele juristische Fragen dahinter. Wenn du eine verkehrt beantwortest, dann haben sie dich nachher am Schlawiner und sagen, was hast du da für einen Scheiß gemacht."
Jürgen Schwarzmann, Ortsbürgermeister aus Hönningen pflichtet dem bei. Geld sei genug da, erzählt er: "Aber wir kriegen es nicht ausgegeben. Wir brauchen eine Sonderzone." Man brauche Verfahrenserleichterungen, sonst werde man nie weiterkommen. Zudem seien die Verwaltungen zur Bearbeitung völlig überlastet.
Helmut Lussi, Ortsbürgermeister von Schuld, fühlt sich alleingelassen.
Vereinfachungen im Katastrophenfall
Schnelle und unbürokratische Hilfe, wie sie versprochen wurden, sehe anders aus, kritisieren viele. Damit konfrontiert, sagt der Innenminister von Rheinland-Pfalz, SPD-Politiker Michael Ebling: Er könne die Ungeduld vor Ort verstehen. Für ihn gehe es nun darum, in den bestehenden Regularien "schlanke Verfahrenswege zu finden, die erkennbar den Wiederaufbau stärken."
In Berlin geht man etwas weiter. Ein Entwurf des Bundesbauministeriums schlägt in bestimmten Bereichen Vereinfachungen im Katastrophenfall vor. Über den Entwurf soll Ende April im Bundestag abgestimmt werden. Ob dadurch der Wiederaufbau an der Ahr an Fahrt gewinnt? Viele Ortsbürgermeister bleiben skeptisch.
Dieses und weitere Themen sehen Sie am Dienstag, den 28. März bei Report Mainz im Ersten.