Vor Brexit-Sondergipfel EU gibt Briten wohl mehr Zeit
Die Zeichen verdichten sich: Die EU dürfte Premierministerin May einen weiteren Aufschub für den Brexit gewähren. Unklar ist, wie lange - und unter welchen Bedingungen.
Großbritannien wird die Europäische Union vermutlich doch deutlich später als geplant verlassen. Laut dem Entwurf für eine Gipfel-Erklärung, der dem ARD-Studio Brüssel vorliegt, will die EU Großbritannien einen weiteren Brexit-Aufschub gewähren. Kurz vor dem EU-Sondergipfel am heutigen Mittwoch werde nur noch über die Bedingungen für eine Fristverlängerung und die zeitliche Dauer diskutiert, hieß es nach einem Ministertreffen in Luxemburg.
Ein Teil der Mitgliedstaaten ist demnach dafür, die Austrittsfrist - wie von London gewünscht - bis zum 30. Juni zu verlängern. Ein anderer Teil bevorzugt einen längeren Aufschub, um das Risiko erneuter Diskussionen im Sommer auszuschließen. Der Trend soll den Angaben zufolge in Richtung einer längeren Frist gehen. Einige Diplomaten sagten, derzeit werde eine Lösung favorisiert, die einen neunmonatigen Aufschub bis zum 31. Dezember vorsehe. Es würden aber auch Optionen besprochen, die ein schnelleres Ausscheiden vorsähen.
Teilnahme an Europawahl als Bedingung
Dem Entwurf zufolge soll eine Bedingung für eine erneute Verschiebung des Brexit-Datums sein, dass die Briten am 23. Mai an der Europawahl teilnehmen. Sollten die Briten dem nicht zustimmen, endet die Mitgliedschaft automatisch am 1. Juni. Dies soll sicherstellen, dass es keine rechtlichen Probleme gibt, wenn Großbritannien im Sommer noch EU-Mitglied sein sollte, aber keine Abgeordneten gewählt hat.
Zudem wollen die Mitgliedstaaten erreichen, dass sich die britische Regierung verpflichtet, während einer längeren Übergangsphase nicht aktiv in EU-Entscheidungen einzugreifen. Relevant könnte dies etwa bei der Ernennung des neuen EU-Kommissionspräsidenten oder den Verhandlungen über den EU-Finanzrahmen für die Jahre 2021 bis Ende 2027 sein.
Laut ARD-Korrespondent Markus Preiß ist dieser Punkt allerdings rechtlich problematisch. "Denn auch während einer Übergangsphase und einer Verlängerung ist Großbritannien formal - mit allen Rechten und Pflichten - Mitglied der EU."
Tusk will längeren Aufschub
EU-Ratspräsident Donald Tusk warb erneut für einen Brexit-Aufschub um bis zu ein Jahr. Die Erfahrung habe gezeigt, dass eine Zustimmung des britischen Unterhauses zum Brexit-Vertrag bis Ende Juni unwahrscheinlich sei. Stattdessen würde eine kurze Verschiebung wohl zu immer neuen Sondergipfeln führen, und die andere Arbeit der EU würde davon überschattet. "Deshalb glaube ich, dass wir über eine alternative, längere Fristverlängerung diskutieren sollten."
Merkel sieht gute Chancen auf Fristverlängerung
Auch Kanzlerin Angela Merkel hält eine Verschiebung des Brexits bis Ende 2019 oder Anfang 2020 für möglich. Beim Sondergipfel werde es um eine flexible Erweiterung ("Flextension") des Austrittstermins gehen, sagte die Kanzlerin nach Angaben von Teilnehmern in einer Sitzung der Unionsfraktion im Bundestag.
Merkel sagte demnach, sie sehe die Chance, dass der Brexit-Termin verlängert werde. Eine solche Lösung werde dann flexibel gestaltet. Bei einer Einigung auf eine Verschiebung werde ein vorheriger Austritt jederzeit möglich sein, wenn Großbritannien dies so entscheide. Sie gehe davon aus, dass das britische Unterhaus die Entscheidung des EU-Gipfels vom Mittwoch akzeptieren werde. Abgeordnete gewannen den Eindruck, dass Merkel den Briten Brücken bauen wolle.
Zuvor hatte sie eineinhalb Stunden lang mit der britischen Premierministerin Theresa May im Kanzleramt über die Lage beraten. Beide wollen einen Austritt Großbritanniens aus der EU ohne Abkommen am 12. April verhindern. May will einen weiteren Aufschub bis zum 30. Juni.
May trifft Macron
Am Abend traf May beim französischen Präsidenten Emmanuel Macron in Paris ein. Nach Angaben ihres Büros informierte sie ihn über den Stand der Gespräche mit der oppositionellen Labour-Partei. Zudem sei die Europawahl ein Thema gewesen. May habe Macron gesagt, ihre Regierung arbeite sehr hart daran, dass eine Teilnahme der Briten an der Abstimmung nicht nötig sein werde.
Frankreich will einem weiteren Aufschub des Brexits nur unter strikten Bedingungen zustimmen. Eine Verschiebung um ein Jahr erscheine zu lang, hieß es in Élyséekreisen.