Drohender No-Deal-Austritt Unterhaus stimmt für Brexit-Verschiebung
In London wächst die Angst vor einem ungeordneten EU-Austritt. Das Unterhaus verabschiedete ein Gesetz, das die Regierung zu einem weiteren Brexit-Aufschub verpflichten soll. Brüssel reagiert zunehmend genervt.
Die britische Regierung und die Opposition ringen weiter um einen Kompromiss, mit dem ein ungeordneter EU-Austritt am 12. April abgewendet werden soll. Am späten Abend billigte das Unterhaus ein Gesetz, das die Regierung zu einem weiteren Brexit-Aufschub verpflichten soll. Er wurde in dritter Lesung einer Mehrheit von nur einer Stimme gebilligt. Allerdings muss das Oberhaus noch zustimmen.
Sollte das Gesetz rechtzeitig in Kraft treten, könnten die Abgeordneten gegen den Willen der Regierung einen längeren Brexit-Aufschub anordnen - inklusive der Teilnahme an der Europawahl.
Premierministerin Theresa May hatte zuvor angekündigt, eine Verlängerung der Austrittsfrist beantragen zu wollen. Allerdings will May nur eine Verschiebung bis zum 22. Mai erreichen. Tags darauf beginnt die Wahl zum Europaparlament, an der die Briten nach Mays Willen nicht mehr teilnehmen sollen.
Offen ist, ob sich die übrigen EU-Staats- und Regierungschefs auf Mays Vorschlag einlassen. Eine Verlängerung der Brexit-Frist müssen die verbleibenden 27 Mitgliedstaaten einstimmig billigen.
"Konstruktive" Gespräche mit Corbyn
Auf der Suche nach einem Ausweg aus der Brexit-Sackgasse hatten sich May und Oppositionschef Jeremy Corbyn gestern an einen Tisch gesetzt. Nach Regierungsangaben waren die Gespräche "konstruktiv". Beide Seiten hätten "Flexibilität und Engagement gezeigt, die gegenwärtige Brexit-Unsicherheit zu einem Ende zu bringen", sagte ein Sprecher. Corbyn nannte das Treffen "nützlich". Es habe aber noch kein Ergebnis gegeben.
Für die weiteren Gespräche bildeten Regierung und Opposition zwei Verhandlungsteams. Auf Regierungsseite gehören Vizepremier David Lidington und Brexit-Minister Steve Barclay dazu. Angesichts des Zeitdrucks wollten beide Seiten noch gestern Abend ein gemeinsames Arbeitsprogramm erstellen. Heute soll den ganzen Tag weiter verhandelt werden.
Bei Mays Tories wächst jedoch der Ärger über den gemeinsamen Vorstoß, denn Labour fordert eine sehr viel engere Bindung an die EU, als von der Regierung geplant. Aus Protest erklärten gestern zwei Staatssekretäre ihren Rücktritt.
Damit sind in den vergangen zwölf Monaten bereits 36 Regierungsmitglieder zurückgetreten - fast alle im Streit um den Brexit. Weitere konservative Parlamentarier kündigten Widerstand an.
"Wir können nicht unendlich so weitermachen"
EU-Ratspräsident Donald Tusk rief für den kommenden Mittwoch einen weiteren Brexit-Sondergipfel ein. Dort soll May den Staats- und Regierungschef der 27 verbleibenden EU-Länder sagen, wie es nun in Sachen Brexit weitergehen soll.
Einen nochmaligen Brexit-Aufschub ohne Teilnahme an der Europawahl dürfte May dort jedoch nur bekommen, wenn zuvor der Austrittsvertrag gebilligt ist, den das Parlament bereits dreimal abgelehnt hat.
EU-Kommissionsvize Frans Timmermans forderte May und Corbyn zur Einigung auf. "Wir können doch nicht unendlich so weitermachen bei den Brexit-Verhandlungen und immer wieder verlängern um ein paar Wochen", sagte er der "Welt". "Das britische Parlament muss jetzt eine Entscheidung treffen und uns endlich sagen, was man in London will."
Ungewöhnlich scharf kritisierte der stellvertretende Kommissionspräsident das Verhalten der britischen Regierung: "In welchem Land würde es fast drei Jahre dauern, dass eine Regierung, die sich nicht einig ist, mal daran denkt, in einer lebenswichtigen Frage mit der Opposition zusammenzuarbeiten? Das ist eigentlich unvorstellbar, dass das in Großbritannien erst jetzt passiert."