Vor May-Besuch bei Merkel Viele Sorgen und ein großes Ziel
Mit Premierministerin May will Kanzlerin Merkel in Berlin besprechen, wie ein ungeordneter Brexit verhindert werden kann. Dennoch bereitet sich die Bundesregierung auch auf einen harten EU-Austritt vor.
Wenn Bundeskanzlerin Angela Merkel heute die britische Premierministerin Theresa May in Berlin empfängt, dann hat sie ein großes Ziel. Merkel will einen ungeregelten Brexit verhindern. Trotzdem müssen sich die Bundesregierung und die EU auf einen harten Brexit vorbereiten.
Nach einem ungeordneten EU-Austritt gäbe es zunächst wohl endlose Zollkontrollen an der Grenze zwischen Großbritannien und der EU. Lkw stünden an den Häfen im Stau. Bauteile für Maschinen kämen viel zu spät an. Vor diesem Szenario haben viele Unternehmen Angst.
Für eng vernetzte Lieferketten sei das ein Riesenproblem, sagt Ilja Nothnagel vom Deutschen Industrie- und Handelskammertag: "Stellen Sie sich vor, Sie haben ein Teil - sei es der Lüfter oder der Kühler -, das über Großbritannien nach Europa kommt. Und es wird auf einmal nicht mehr geliefert. Dann bekommen Sie die Maschine nicht fertig."
FDP: Personalpolitik beim Zoll "fahrlässig"
Um solche Situationen zu vermeiden, will die Bundesregierung den harten Brexit verhindern. Doch auch auf den Fall, dass das nicht klappe, stelle sie sich ein, sagt Regierungssprecher Steffen Seibert. Man müsse für alle Fälle vorbereitet sein - auf einen geordneten wie auf einen ungeordneten Brexit. Es gehe um die Rechte der Briten, die in Deutschland leben, oder um Vorbereitungen beim Zoll und der Bundespolizei.
Der Zoll soll mit mehr Personal verstärkt werden. Bisher geschieht das aber wohl nur mit mäßigem Erfolg. Der FDP-Abgeordnete Oliver Luksic hatte dazu eine Kleine Anfrage an die Bundesregierung gestellt. Das Ergebnis lautete, dass rund 900 neue Stellen bewilligt wurden, aber nur 70 davon schon in diesem Jahr besetzt werden. Im Fall eines harten Brexit sollen jedoch gut 600 Zoll-Mitarbeiter in vom Brexit betroffene Bereiche wechseln - wenn auch erst ab August. Das sei ungenügend und fahrlässig, sagt Luksic.
Von Großbritannien abhängig
DIHK-Experte Nothnagel warnt, dass Deutschland in Zollfragen ohnehin von Großbritannien abhängig sei: "Wenn unsere Zollbehörden oder die niederländischen und die französischen gut ausgestattet sind, aber in Großbritannien fehlt das Zollsystem, dann fehlt halt ein Rad am Wagen."
Es sind nicht nur die großen Wirtschaftsfragen, mit denen die Bundesregierung umgehen muss. Die Schicksale vieler in Deutschland lebender Briten sind ganz unmittelbar betroffen. Für eine Übergangszeit von mehreren Monaten dürften sie auch nach einem harten Brexit in Deutschland bleiben und arbeiten. Ab dann müssten sie sich um einen Aufenthaltstitel bemühen.
Britische EU-Anhänger vor dem Parlament in London. "Wenn in Großbritannien das Zollsystem fehlt, dann fehlt ein Rad am Wagen", sagt DIHK-Experte Nothnagel.
Grüne kritisieren kurze Übergangszeiten
Die Grünen-Abgeordnete Franziska Brantner findet das zu streng, gerade weil es für britische Finanzunternehmen längere Fristen geben soll. "Für die Finanzindustrie soll es 20 Monate, für die Bürger drei Monate geben - vielleicht neun Monate mit einer Verlängerung", so Brantner. "Wir fragen uns, warum die Finanzindustrie mehr Zeit als der normale Bürger bekommt."
Mit vielen weiteren Regelungen versucht die Bundesregierung, das Brexit-Chaos so klein wie möglich zu halten. Deutsche, die schon zum Studium in Großbritannien sind, sollen weiter Bafög bekommen, deutsche Rentner auf der Insel weiter ihre Rente aus Deutschland. Das sind Detailregelungen. Für die Betroffenen sind sie aber enorm wichtig.