BGH-Unterlagen AfD-Politikerin brachte "Reichsbürger" in Bundestag
Nach der "Reichsbürger"-Razzia Ende 2022 zeigen BGH-Akten nun, wie genau die Beschuldigten sich auf eine Erstürmung des Reichstagsgebäudes vorbereitet haben sollen. Eine Schlüsselrolle kam demnach der Ex-AfD-Abgeordneten Malsack-Winkemann zu.
Wochenlang beschäftigten im Dezember 2022 die Umsturzpläne einer Gruppe mutmaßlicher "Reichsbürger" die deutsche Politik und Öffentlichkeit. Bei einer Großrazzia waren zwei Dutzend Menschen festgenommen worden, kurz darauf wurden erste Details ihres Vorhabens bekannt.
Nun zeigen Unterlagen des Bundesgerichtshofs (BGH), wie genau die Beteiligten sich offenbar auf die bewaffnete Erstürmung des Reichstagsgebäudes sowie auf die "Verhaftung" von Regierungsmitgliedern und Abgeordneten vorbereitet hatten.
Demnach führte die ehemalige AfD-Bundestagsabgeordnete Birgit Malsack-Winkemann mehrere Mitbeschuldigte durch das Regierungsviertel. Einer der Männer machte dort auch Fotos und Videos: vom Paul-Löbe-Haus, in dem Büros und Sitzungssäle der Parlamentarier sind, von dessen unterirdischen Zugängen zu anderen Gebäuden einschließlich des Reichstags sowie vom Inneren des Plenarsaals des Bundestages.
Munition, Gewehrmagazine, Fesselungsmaterial
Die Details entstammen Beschlüssen zur Untersuchungshaft, deren Fortdauer der BGH vor wenigen Wochen für 22 der Festgenommenen angeordnet hatte. Der Vorwurf lautet auf Bildung einer terroristischen Vereinigung und Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens.
Die Gruppe um Heinrich XIII. Prinz Reuß als einen der mutmaßlichen Rädelsführer soll vorgehabt haben, das politische System in Deutschland mit Waffengewalt zu stürzen und eine neue Regierung zu installieren. Die Beteiligten hätten auch Tote in Kauf genommen.
Den Planungen zufolge sollten bis zu 16 Menschen das Reichstagsgebäude erstürmen, vornehmlich aus den Reihen aktiver oder ehemaliger Angehöriger des sogenannten Kommando Spezialkräfte (KSK) oder anderer Spezialeinheiten der Bundeswehr und Polizei. Einer der Mitbeschuldigten soll 50.000 Euro beigesteuert haben, um das Vorhaben umzusetzen. Ein anderer verschaffte sich den Angaben zufolge mehrere Hundert Schuss Munition, sechs Gewehrmagazine, Nachtsichtgeräte, Fesselungsmaterial, weitere Militärausrüstung und einen Totschläger.
Malsack-Winkemann führte ihn und weitere Mitbeschuldigte demnach im September 2022 durch das Reichstagsgebäude. Als ehemalige Bundestagsabgeordnete hatte sie noch ungehinderten Zugang und konnte jederzeit bis zu sechs Personen mitnehmen.
Etwa drei Wochen später war sie erneut mit einem der Männer im Regierungsviertel. Er habe eine Liste mit Namen zahlreicher Mitglieder der Bundesregierung und der bayerischen Staatsregierung sowie von weiteren Politikern, Journalisten und Personen des öffentlichen Lebens erstellt.
Ex-Bundestagabgeordnete Malsack-Winkemann (Archiv)
Die Beschuldigte habe zudem Übersichten über Sitzungswochen des Bundestages für das Jahr 2022 und eine vorläufige Tagesordnung für eine Plenarwoche im September an Mitbeschuldigte versandt - solche Informationen sind prinzipiell frei zugänglich. Ferner habe Malsack-Winkemann eine Chatnachricht verschickt mit Angaben, wo Mitglieder der Bundesregierung zu finden sind: "Die Fuehrungscrew sitzt uebrigens bei den BT-Sitzungen auf der Regierungsbank. Wenn man auf das Rednerpult schaut, auf der linken Seite. Da sitzen sie dann geschlossen. [sic!]", wird im Beschluss des BGH zitiert.
Ex-Abgeordnete bestreitet "terroristische Zwecksetzung"
Die Bundesanwaltschaft hatte Anfang Dezember 25 Verdächtige in Deutschland, Österreich und Italien festnehmen lassen. Einige von ihnen wurden zwischenzeitlich aus der U-Haft entlassen. Weitere Beschuldigte gerieten nach und nach ins Visier, inzwischen wird gegen mehr als 60 Verdächtige - überwiegend Deutsche - ermittelt.
Die Fahnder stützen sich unter anderem auf Videos und Fotos, die sie bei Beschuldigten gefunden haben, auf Observationsmaßnahmen und überwachte Telekommunikation sowie Geständnisse von Verdächtigen.
Auch die ehemalige Berliner Richterin Malsack-Winkemann habe eingeräumt, Mitglied eines sogenannten Rates - dem mutmaßlichen Führungsgremium - und dort für das Justizressort zuständig gewesen zu sein, heißt es in den BGH-Unterlagen. Ferner habe sie bestätigt, bei zwei Gelegenheiten mehrere Mitbeschuldigte durch das Reichstagsgebäude geführt zu haben. Die "terroristische Zwecksetzung" der Gruppierung habe sie jedoch bestritten. Weder sei ein Umsturz noch ein gewaltsames Eindringen in das Reichstagsgebäude geplant gewesen.
Als Folge unter anderem dieses Falls hatte der Bundestag im Mai die Hausordnung sowie Zugangs- und Verhaltensregeln geändert: So wurde etwa beschlossen, ehemaligen Abgeordneten nur auf Antrag und nach einer Zuverlässigkeitsüberprüfung einen Ausweis für den Bundestag mit einer Gültigkeit nur für die aktuelle Wahlperiode auszustellen. Die Kontrollen vor der Einfahrt in die Tiefgarage wurden intensiviert.