Deutschlands Atomausstieg Die letzten Atommeiler sind abgeschaltet
Die Ära der Atomenergie in Deutschland ist vorbei. Kurz vor Mitternacht gingen die letzten drei Atommeiler Isar 2, Neckarwestheim 2 und Emsland vom Netz. Atomkraftgegner feierten den historischen Schritt.
Die letzten drei Atomkraftwerke in Deutschland haben ihre Stromproduktion beendet. Die Meiler Emsland im niedersächsischen Lingen, Isar 2 in Bayern und Neckarwestheim 2 in Baden-Württemberg wurden planmäßig vor Mitternacht vom Netz genommen. Das teilten die Betreiber RWE, PreussenElektra und EnBW mit.
Mit der Trennung des Generators vom Stromnetz sei das Kraftwerk Emsland um 22.37 Uhr heruntergefahren worden, teilte RWE mit. Damit ende nach 35 Jahren "der sichere und zuverlässige Leistungsbetrieb der Anlage", die 1988 in Betrieb genommen worden war. Um 23.52 Uhr wurde dann im Atomkraftwerk Isar 2 im niederbayerischen Essenbach die Verbindung zum Netz getrennt, wie eine Sprecherin des Betreibers Preussen-Elektra der Nachrichtenagentur dpa mitteilte. Der Reaktor sei inzwischen auch abgeschaltet. Isar 2 war im Jahr 1988 ans Netz gegangen. Als letztes ging nach Betreiberangaben das Kraftwerk Neckarwestheim 2 um 23.59 Uhr vom Netz. Es war seit 1982 in Betrieb gewesen.
"Wir arbeiten nach Recht und Gesetz, und da ist es eindeutig, dass der Leistungsbetrieb ab dem 16. April eine Straftat wäre", sagte der Chef-Atomaufseher des Bundes, der Abteilungsleiter für Nukleare Sicherheit und Strahlenschutz im Umweltministerium, Gerrit Niehaus, der dpa.
Ära der Atomenergie endet nach mehr als 60 Jahren
Mit der Trennung der letzten drei Meiler vom Netz endete nach mehr als sechs Jahrzehnten die Ära der Nutzung der Atomenergie in Deutschland. Als erstes kommerzielles Kernkraftwerk war der Meiler in Kahl in Bayern im November 1960 in Betrieb gegangen - seit Juni 1961 speiste er Strom ins Netz ein. In der DDR begann die Nutzung der Technologie zur Stromerzeugung 1966.
Den ersten Beschluss zum Ausstieg aus der Nutzung der Atomenergie hatte 2001 die damalige rot-grüne Koalition getroffen. Die von 2009 bis 2013 regierende schwarz-gelbe Bundesregierung verlängerte die Laufzeiten der Atomkraftwerke zunächst, leitete aber unter dem Eindruck der Reaktorkatastrophe in Fukushima 2011 den Atomausstieg bis Ende 2022 doch wieder ein. Den ursprünglichen Termin hatte die Ampel-Koalition nach langem Streit und einem Machtwort von Bundeskanzler Olaf Scholz dann nochmals um dreieinhalb Monate nach hinten verschoben. Hintergrund waren Sorgen um die Versorgungssicherheit angesichts der Folgen des russischen Angriffskriegs in der Ukraine und der damit verbundenen Gas- und Energiekrise.
Debatte über Atomenergie hält an
Auch wenn der Atomausstieg seit langem beschlossene Sache war, ging die Debatte über das Für und Wider des Schrittes in den Stunden vor dem Aus für die verbliebenen drei Meiler weiter. Bundesumweltministerin Steffi Lemke sagte der Nachrichtenagentur dpa, dass der Atomausstieg Deutschland sicherer mache. "Die Risiken der Atomkraft sind im Falle eines Unfalles letztlich unbeherrschbar", erklärte sie. Grünen-Chefin Ricarda Lang twitterte, der Atomausstieg bedeute den "endgültigen Einstieg ins Zeitalter der erneuerbaren Energien".
Die SPD-Vorsitzende Saskia Esken sagte den Zeitungen der Funke Mediengruppe, dass sie "sehr froh" sei, dass Deutschland den Ausstieg "aus der hochgefährlichen Atomkraft nun endlich geschafft" habe. Forderungen der FDP, nach der Abschaltung der letzten Atommeiler für die Energiegewinnung auf Kernfusion zu setzen, wies sie zurück. FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai forderte erneut, diese Technologie nicht völlig aufzugeben. "Die Kernenergie muss auch nach dem Ausstieg eine Zukunft in Deutschland haben", sagte er der dpa. "Dazu gehört, dass wir die Forschung auf dem Gebiet der Kernfusion ausweiten und die Chancen neuer und sicherer Technologien der Kernspaltung nutzen."
Atomkraftgegner feiern
Die Umweltschutzorganisation Greenpeace feierte den Ausstieg aus der Atomenergie. Am Brandenburger Tor in Berlin zeigte sie ein rotes Männchen, das mit einem "Atomkraft? Nein Danke"-Schild und einem Schwert auf einem nachgebauten Dinosaurier stand. Auf dem Bauch des Dinos stand "Deutsche Atomkraft" und "Besiegt am 15. April 2023!". In Berlin protestierten aber auch einige Menschen gegen die Abschaltung der Kernkraftwerke. Der Verein Nuklearia hatte in einem Aufruf angekündigt, ein positives Zeichen für Atomkraft setzen zu wollen: "Wir sehen die Kernkraft als besten Weg, unseren Wohlstand zu erhalten und gleichzeitig die Natur und das Klima zu schützen."
In München veranstalteten der Bund Naturschutz und Greenpeace ein Atomausstiegsfest. Zur Kundgebung kamen nach Schätzungen der Polizei rund 1000 Teilnehmer. In Baden-Württemberg feierten Hunderte Kernkraftgegner vor dem Meiler Neckarwestheim ein "Abschaltfest". Wenige Stunden vor der Abschaltung des Kernkraftwerks Emsland forderten Atomkraftgegner in Lingen einen konsequenten Ausstieg aus der Atomindustrie in Deutschland.