Fässer mit radioaktivem Abfall stehen neben einem Weg im Zwischenlager der Wiederaufarbeitungsanlage Karlsruhe.

Zukunft der Atomenergie Worauf die Nuklearbranche jetzt setzt

Stand: 14.04.2023 17:51 Uhr

Deutschland steigt aus der Atomenergie aus - während andere Länder neue Kraftwerke bauen. Richtige Entscheidung oder Irrweg? Und welche Rolle spielt die Forschung bei der friedlichen Nutzung der Kernenergie?

Von Werner Eckert, SWR

"Deutschland steigt aus und alle anderen ein …" Ein viel kolportierter Satz in diesen Tagen. Aber der Anteil der Kernenergie an der weltweiten Stromproduktion ist über die Jahre gesunken. Wie passt das zusammen? Und wird sich das ändern, wenn wahr wird, was die Branche seit langem verspricht: neue, kleine, sichere Atomkraftwerks-Generationen?

Neubauten von Atomkraftwerken

Geredet wird über Neubauten in Europa tatsächlich viel, Ankündigungen gibt es, anvisierte Baustarts. Tatsächlich gebaut wird aber wenig. Polen will erstmals einsteigen in die Nutzung der Kernenergie. Sechs konventionelle Reaktorblöcke und möglicherweise auch einen Schwarm von Mini-Reaktoren. Ungarn, Bulgarien und Slowenien planen neue Meiler, Rumänien prüft den Bau von Mini-AKW. Schweden hat die Absicht, irgendwann zu bauen. Nur die Slowakei und Finnland haben konkrete Projekte.

Sehr speziell ist die Situation in Frankreich. Mehr als 50 Blöcke decken 70 Prozent des Strombedarfes dort. International ein Spitzenwert. Im Durchschnitt sind die Anlagen 38 Jahre alt. Und im vergangenen Jahr lag fast die Hälfte wegen Wartungsarbeiten und Pannen zeitweise still. Zwei Reaktoren in Fessenheim wurden schon stillgelegt. Der einzige Neubau, der in Flamanville, sprengt alle Zeit- und Kostenpläne. Bis Mitte der 30er-Jahre sollen sechs Blöcke als Ersatz für dann auszumusternde neu gebaut werden.

Werner Eckert, Leiter Umweltredaktion SWR, zur Versorgungssicherheit nach Abschaltung der letzten AKW

tagesschau24 15:00 Uhr

Erneuerbare stillen Energiehunger

Auch weltweit sinkt der Anteil der Kernenergie an der Stromproduktion seit dem Höhepunkt kurz vor der Jahrtausendwende. Von gut 17 Prozent 1996 auf 9,8 Prozent im vergangenen Jahr. Der wachsende Hunger der Welt nach Energie wird überwiegend durch Erneuerbare Energien gestillt. Und in der aktuellen Situation auch wieder durch mehr Kohlestrom.

Der jährlich erscheinende Status-Bericht zur Lage der Atomindustrie weist aus, dass die Konjunktur der Branche sich stark auf China konzentriert. Über die vergangenen beiden Jahrzehnte, stehen global 98 Inbetriebnahmen 105 Stilllegungen gegenüber. Die Hälfte der neuen Kraftwerke steht aber alleine in China. Rechnet man dieses Land heraus, sind im Rest der Welt 57 Blöcke mehr stillgelegt, als in Betrieb genommen wurden. Und auch die Leistung des Kraftwerksparks außerhalb Chinas ist um 25 Gigawatt gesunken.

Neubau von Kraftwerken ist politische Entscheidung

Noch wird die Renaissance der Industrie eher beschworen, als dass sie stattfände. Der Bau von Kernkraftwerken ist immer auch eine politische Entscheidung. Dahinter stehen fast immer Staaten oder Staatsunternehmen. Neben Russland, das die weitaus meisten Kraftwerke für andere Nationen baut, sind nur Frankreich und Südkorea nennenswert am Markt.

Die Kosten-Risiken solcher Großprojekte sind generell hoch, bei Nuklearanlagen wegen der Sicherheitsanforderungen noch einmal höher. Die Kraftwerksbauten in Flamanville (wahrscheinlich 12,7 Milliarden Euro statt geplanter 3 Milliarden) und im finnischen Olkiluoto (11 statt geplant 3 Milliarden Euro) zeigen das. Auch die beiden Blöcke, die Großbritannien in Hinkley Point plant, sollen nur nach derzeitiger Planung für 28 bis 30 Milliarden fertigzustellen sein. Die Regierung sagt dem Betreiber zudem einen garantierten Strompreis von rund 10 Cent pro Kilowattstunde plus Inflationsausgleich für 35 Jahre zu. Das ist deutlich mehr und länger, als für die Förderung Erneuerbarer Energien in Deutschland gezahlt wird.

Forschung an Mini-AKW

Die Hoffnung der Nuklearbranche ruht auf zwei Entwicklungen. Zum einen sollen Mini-AKW gebaut werden und zum anderen völlig neue Kraftwerkstypen entwickelt werden. Kleine Ausgaben der üblichen Leichtwasser-Reaktoren hat es schon früher gegeben (Schiffe, U-Boote), sie konnten sich wirtschaftlich in der Energiegewinnung aber nicht gegen die Großkraftwerke durchsetzen. Als SMR, small modular reactor, sollen sie in Serienbauweise nun - etwa mit Unterstützung der Gates-Stiftung - diesen Schritt schaffen.

Vorteil: Jeder einzelne Block hat deutlich weniger strahlendes Material, Unfälle werden unwahrscheinlicher, und die Folgen eines Unfalls könnten deutlich geringer sein. Allerdings wird in Summe sehr viel strahlendes Material an vielen Stellen verstreut. Das wirft neue Sicherheitsprobleme auf, und die Menge an hoch strahlendem Atommüll ist gemessen an der erzeugten Strommenge höher als bei klassischen Großkraftwerken. Zudem stellt sich die Standortfrage.

Problem: Zulassung von Standorten

Um eine Stadt wie Stuttgart zu versorgen, brauchte man zwei bis zier dieser SMR. Einige kleinere Reaktoren sind bereits gebaut worden, in China und Argentinien etwa. Ein Problem ist die Zulassung. Wenn sie wie bisher an jedem einzelnen Standort erfolgt, haben SMR wohl keine Chance. Die Investoren und Firmen hoffen auf eine Zulassung vergleichbar der für Flugzeuge. Dort werden die Prüfungen der europäischen und der US-amerikanischen Behörden weltweit akzeptiert. Dann könnten solche Anlagen wohl schon in fünf bis zehn Jahren in größerer Stückzahl ausgerollt werden.

Ältere Konzepte werden aufgegriffen

Anders sieht das mit weitgehend unerprobten Konzepten von Nuklearanlagen aus. Oft werden diese als neuartig bezeichnet, doch nicht-wassergekühlte Reaktoren wie Flüssigsalzreaktoren oder auch Laufwellenreaktoren sind schon zu Beginn des Atomzeitalters erdacht worden. Sie wurden damals nur verworfen. Jetzt sollen sie weiterentwickelt werden. Sie sollen deutlich mehr Sicherheit bieten und auch das zweite große Problem der Kernenergie-Nutzung vermindern: die Endlagerung. Einige dieser Konzepte setzen darauf, dass gerade dieser Atommüll noch einmal als Brennstoff dienen könnte. Auch dabei werden teilweise ältere Konzepte, wie das des "Schnellen Brüters" aufgegriffen.

Start-ups suchen nach Lösungen

Utopien gibt es hier viele. Das von deutschen Wissenschaftlern mit Sitz in Kanada gegründete Start-up "Fluid" etwa will einen Reaktor bauen, der keine Brennstäbe hat, sondern bei dem Brennmaterial und Kühlungsmittel beide in flüssiger Form vorliegen. Zehntausende dieser Meiler weltweit - das sind die Visionen des Physikers und Vorstands Björn Peters. Mithilfe dieser Anlagen könne dann auch die Wärmeversorgung für Gebäude und die Herstellung von E-Fuels gesichert werden.

Forschung noch am Anfang

Allerdings sind die meisten dieser Ideen und Reißbrettentwürfe nicht einmal ins Stadium einer Demonstrationsanlage gekommen. In Belgien wird an einem Konzept real gebaut. Bis allerdings daraus kommerzielle Kraftwerke werden, dürften zwei Jahrzehnte vergehen. Bis dahin aber will Deutschland zum Beispiel schon vollständig klimaneutral sein, nicht erst werden.

Kosten, Sicherheit und Verfügbarkeit für alle Staaten dieser Welt sprechen für Erneuerbare Energien als Rückgrat des weltweiten Ausstiegs aus der Verbrennung von Kohle, Gas und Öl. Ob und in welchem Umfang Nuklearenergie einen Beitrag leisten kann und wird, das werden die Staaten souverän entscheiden.