Falschmeldungen zu H5N1 Verschwörungserzählungen zur Vogelgrippe gehen viral
Die Vogelgrippe breitet sich aus - ebenso wie Falschmeldungen und Verschwörungserzählungen darüber. Es wird unter anderem über Impfpläne und ein brisantes Gipfeltreffen gemunkelt. Die Feindbilder sind gut bekannt.
Das Vogelgrippevirus H5N1 kursiert aktuell unter Nutz- und Wildtieren weltweit. Nach neuen Ausbrüchen auf Rinderfarmen gibt es nun weitere Fälle bei Menschen in den USA. Das ruft Verschwörungsideologen auf den Plan, die wissen wollen, dass das Ganze geplant gewesen sei. "Erst manipuliert man Viren im Labor und jetzt holt man sie nach und nach raus, um Pandemien bei Menschen auszulösen. (…) verdammtes Dreckspack!", unterstellt ein User auf der Plattform X.
Forscher hätten angeblich Rinder mit dem Vogelgrippevirus infiziert, ist ein weiterer Vorwurf. Microsoft-Mitbegründer Bill Gates soll auch dahinterstecken. Er "investierte Millionen von Dollar in Biowaffenexperimente". Das angebliche Ziel: Die Entwicklung eines Impfstoffs, um Geld zu verdienen. An diesen Verschwörungserzählungen ist jedoch nichts dran.
BioNTech und das angebliche Insiderwissen
Angeblich mittendrin: Pharmaunternehmen wie BioNTech. "BioNTech rechnet mit Umsatzexplosion im Herbst - und die Planspiele für die Vogelgrippe sind schon konkret vorbereitet" und "BioNTech weiß mehr" wird beispielsweise auf X und TikTok behauptet.
Zitiert wird dazu eine Aussage von BioNTech-Finanzchef Jens Holstein aus dem Pressebericht zu den Ergebnissen für das erste Quartal 2024: "Wir gehen davon aus, dass wir etwa 90 Prozent unserer Gesamtjahresumsätze in den letzten Monaten des Jahres 2024 erzielen werden." In verschiedenen Postings wird dem Unternehmen nun Insiderwissen unterstellt und erzählt, dass eine neue Pandemie geplant werde.
Doch Holsteins Aussage "wurde irreführend und fälschlicherweise mit der Vogelgrippe in Verbindung gebracht", erklärt BioNTech auf Anfrage des ARD-faktenfinders. "Zur Richtigstellung: Der Satz stammt aus der Analysten-Telefonkonferenz des Unternehmens zum ersten Quartal. Der erwähnte Satz bezieht sich ausschließlich auf erwartete Umsätze aus dem Verkauf von COVID-19-Impfstoffdosen durch BioNTech und Pfizer. Hierbei erklärt Herr Holstein, dass das Unternehmen von einer eher saisonalen Nachfrage nach dem COVID-19-Impfstoff ausgeht, sodass der Großteil der Umsätze, ähnlich wie Grippeimpfungen, im Herbst und Winter zu erwarten ist."
Keine Verhaftungen wegen Vogelgrippe-Impfung
Eine andere Falschbehauptung ist, dass alle Mitgliedsländer der Weltgesundheitsorganisation WHO beschlossen hätten, Menschen, die Impfungen gegen die Vogelgrippe kritisieren, zu inhaftieren. Das ist frei erfunden. Die WHO hat keine Legitimation, in die Gesetzgebung von Staaten einzugreifen.
Für die Falschbehauptung wird eine Pressemitteilung der WHO als Beleg verwendet. In dieser geht es jedoch nicht um das Vogelgrippevirus, sondern darum, dass die WHO-Mitgliedsstaaten Anfang Juni dieses Jahres "ein Paket beschlossen hätten, in dem es unter anderem darum geht, eine gemeinsame Definition eines Pandemie-Notfalls festzulegen und sich zu Solidarität und Gerechtigkeit zu bekennen", klärt zum Beispiel das Recherchenetzwerk Correctiv auf.
Muster aus Corona-Pandemie bekannt
Solche Falschbehauptungen folgen Mustern, die bereits aus der Corona-Pandemie bekannt sind. Sie richten sich gegen Regierungen, Pharmaunternehmen und seriöse Forscher und unterstellen stets geheime Absprachen und Zusammenschlüsse.
"Verschwörungserzählungen haben immer ein Kernnarrativ: Eine kleine Gruppe vermeintlicher Verschwörer verfolgt ein illegitimes und bösartiges Ziel und kann sich eines gigantischen Machtapparats bedienen. Dank dieser Macht erlaubt es auch die umfassende Vertuschung der angeblichen Verschwörung", sagt Josef Holnburger, Co-Geschäftsführer bei CeMAS (Center für Monitoring, Analyse und Strategie), das Informationen zu Verschwörungsideologien und Desinformation sammelt.
Menschen, die an eine Verschwörungserzählung glauben, würden oft auch an weitere glauben. So präge sich ein Weltbild aus, das durch vermeintliche Verschwörungen bestimmt sei. "Deswegen glauben Menschen, die die Corona-Pandemie für eine weltweite Verschwörung hielten, nun auch eher, dass es sich bei der Vogelgrippe nun auch um eine angebliche Verschwörung handeln würde. Das konnten wir auch beispielsweise schon bei den Affenpocken beobachten."
Ominöses Gipfeltreffen in Washington
In diesem Zusammenhang verbreitet sich seit einiger Zeit auch, dass angeblich vom 2. bis 4. Oktober ein "Internationaler Vogelgrippe-Gipfel" in der Nähe von Washington stattfinden soll. Berichtet wird darüber zum Beispiel auf X, TikTok und Telegram. Auch Blogs aus der rechtsextremen Ecke beschäftigen sich damit. Unterstellt wird, dass es sich bei dem Treffen um eine Übung handelt, bei der man "eine kommende Vogelgrippe-Pandemie durchspielen wolle". So werden Parallelen zur Corona-Pandemie gezogen. Auch damals wurde fälschlicherweise behauptet, dass es im Jahr vor Pandemiebeginn solche Planspiele gegeben habe.
Im Netz existiert eine Internetseite des angeblichen Gipfeltreffens. Dort finden sich in der Tat Ankündigungen von Workshops, die sich wie die Planung einer inszenierten Pandemie lesen. Man wolle sich "mit den dringenden Problemen im Zusammenhang mit den jüngsten Entwicklungen der Vogelgrippe" beschäftigen. Dazu seien Programmpunkte geplant wie "Planung des Managements von Massensterben", "Überwachung und Datenmanagement", "Risikokommunikation". Eingeladen seien unter anderem Politiker, Wissenschaftler und Vertreter der Pharma- und Agrarindustrie.
Aber: Über diesen angeblichen großen internationalen Gipfel wird außerhalb von sozialen Netzwerken nicht berichtet. Auf der Webseite sind lediglich drei Wissenschaftlerinnen als Rednerinnen gelistet - ohne eine konkrete Tagesordnung. Die Profile der Speakerinnen ähneln den Profilen auf der Business-Plattform LinkedIn. Auf Anfrage des ARD-faktenfinders hat bislang keine der drei Rednerinnen bestätigt, dort zu sprechen. Wissenschaftlerinnen oder Wissenschaftler, die international anerkannt zum Vogelgrippe-Virus forschen, sind nicht gelistet.
Es ist auch möglich, dass die Betreiber hoffen, dass ihre Website zum angeblichen Gipfeltreffen mit einem real geplanten Treffen zum Themenkomplex Vogelgrippe verwechselt wird - das fast zeitgleich in Arkansas stattfindet und nicht neu einberufen wurde. Es fand bereits im vergangenen Jahr statt. Zielgruppe sind unter anderem Tierärzte für Geflügel. In rechtsextremen Blogs werden das Treffen in Arkansas und das angebliche Treffen nahe Washington miteinander verwechselt beziehungsweise vermengt.
Verlinkungen funktionieren nicht
Watchlist Internet ist eine unabhängige Informationsplattform zu Internet-Betrug und betrugsähnlichen Online-Fallen aus Österreich. Projektleiter Thorsten Behrens hat für den ARD-faktenfinder die Website des angeblichen Gipfeltreffens gecheckt. "Auf den ersten Blick könnte es eine seriöse Website für eine Konferenz sein. Zum einen schauen Websites in den USA anders aus als bei uns, zum anderen wurde zur Erstellung der Seite einiges an Aufwand betrieben, um Speaker, Programm und weitere Infos auf der Website und in PDFs darzustellen."
Ein genauerer Blick auf Programm und Speaker hätte ihn aber stutzig werden lassen. Es sei nicht herauszufinden, wo die angekündigten Speaker im Programm vorkommen und wer die Speaker bei den anderen Programmpunkten sind. "Zudem funktionieren die Verlinkungen zum angegebenen Veranstaltungsort nicht. Außer auf dieser Website ist nirgends etwas über die Veranstaltung zu finden - nicht einmal auf der Website des angeblichen Veranstalters. Dort werden zudem noch Veranstaltungen aus dem Jahr 2020 beworben."
Seinem Portal würden immer wieder Internetseiten zu angeblichen Kongressen gemeldet, die es gar nicht gibt. Diese Internetseiten wiesen ähnliche Merkmale auf: Keine Verknüpfung von Speakern und Programm, keine Infos zu dem Kongress auf anderen Internetseiten.
"Aus früheren Fällen wissen wir, dass es primär um die Zahlung der Teilnahmegebühren geht", so Behrens. Darüber hinaus werden bei der Registrierung sehr viele Daten abgefragt, die für Folgebetrug genutzt werden könnten: Persönliche Informationen, Unternehmens- und Zahlungsdaten bilden eine gute Grundlage für Kriminelle, um Phishing-Nachrichten sehr gezielt zu formulieren und damit die Erfolgsquote der Phishing-Fallen deutlich zu erhöhen." Auf der Website des Gipfeltreffens kann man Tickets ab umgerechnet 845 Euro kaufen.
Screenshot der "International Bird Flu Summit"-Homepage.
Verbreitung in Zeiten von Unsicherheit
Warum werden solche Desinformationen verbreitet? Holnburger von CeMAS erklärt, dass diese "sich vor allem in Zeiten von Unsicherheiten verbreiten. Man kann vermeintliche Antworten liefern, während die Lage eigentlich noch unklar ist". Nicht immer gebe es "einen klaren Ursprung von Verschwörungerzählungen".
"Wie Gerüchte wandeln sie sich mit der Zeit - neue Elemente werden aufgegriffen, neue Ereignisse integriert. Der Kern von Verschwörungserzählungen bleibt dabei immer gleich - leider auch die Feindbilder", so Holnburger. Oft enthielten sie antisemitische Elemente.