Affenpocken Stigmatisierung und falsche Beschuldigungen
Die Affenpocken breiten sich weiter aus: Mittlerweile sind mehr als 30.000 Fälle weltweit registriert. Doch das Wissen in der Bevölkerung über die Krankheit ist noch lückenhaft - und öffnet damit die Tür für Falschmeldungen.
Lily Simon aus New York war schockiert, als sie bemerkte, dass ein Video von ihr auf der Plattform TikTok die Runde machte, berichtet sie der "New York Times". Das Video - heimlich aufgenommen -, zeigt, wie Simon in der U-Bahn sitzt - versehen mit einem Affen-Emoji. Denn der User, der Simon heimlich gefilmt hatte, hielt ihre Hautveränderungen fälschlicherweise für ansteckende Affenpocken. Dabei hat Simon die genetische Erkrankung Neurofibromatose. Ein Merkmal der Krankheit: viele oberflächliche Hauttumore.
Simon aus den USA ist kein Einzelfall. Auf Twitter wurde ein Foto aus einer Madrider U-Bahn Tausendfach geteilt, das ebenfalls einen Menschen mit Affenpocken zeigen sollte. Zahlreiche Medien griffen die Geschichte auf und verbreiteten sie. Auch hier meldete sich einige Zeit später der Betroffene zu Wort und stellte klar: Er habe keine Affenpocken, sondern Neurofibromatose.
Affenpocken für Laien schwer zu erkennen
Die Beispiele zeigen: Beim Thema Affenpocken gibt es noch einiges an Aufklärungsbedarf. Medizinische Laien sollten sich ohnehin davor hüten, vermeintlich Infizierte öffentlich anzuprangern. "Andere Krankheiten wie beispielsweise Windpocken, Herpes Zoster, Scharlach, Herpes Simplex und Syphilis können auch Hautveränderungen hervorrufen, die sich nicht immer eindeutig von Affenpocken unterscheiden lassen", teilt eine Sprecherin vom Robert Koch-Institut (RKI) mit.
Auch Uwe Schwichtenberg, Vorstandsmitglied im Berufsverband der Deutschen Dermatologen, sagt, dass sich Affenpocken optisch nur schwer von anderen Krankheiten unterscheiden lassen. "Affenpocken sind vielschichtig und können in verschiedenen Formen auftreten." So gebe es Infizierte mit sehr vielen Knoten am ganzen Körper, andere hätten lediglich drei bis vier. Im Unterschied zu beispielsweise Neurofibromatose seien die Knoten jedoch prall und nicht weich und ließen sich auch nicht so einfach eindrücken. Beispielbilder von Affenpocken hat das RKI auf seiner Website veröffentlicht.
"Wir bekämpfen die Stigmatisierung seit Jahren"
Schwichtenberg befürchtet, dass die Stigmatisierung von Menschen mit Hautkrankheiten im Zuge der Affenpockenepidemie zunehmen kann. Durch die Epidemie sei die Wahrnehmung der Menschen für Hautveränderungen verschärft und könne dazu führen, dass Menschen mit Hautkrankheiten gemieden werden - aus Angst, sich mit den Affenpocken anzustecken.
"Schon bei Corona haben wir gesehen, wie Menschen auf Abstand voneinander gingen, auch als das Infektionsrisiko noch sehr gering war", sagt Schwichtenberg. Ähnliches könne nun auch bei den Affenpocken drohen. Dabei hätten es Menschen mit Hautkrankheiten ohnehin schon schwer. "Wir bekämpfen die Stigmatisierung von Hautkrankheiten schon seit Jahren", sagt er.
In den USA führte zu Beginn der Corona-Pandemie die Stigmatisierung von Asiaten zu vermehrten rassistischen Angriffen gegenüber der asiatisch-amerikanischen Community.
Anfeindungen gegen schwule und bisexuelle Männer
Nicht nur Menschen mit Hautkrankheiten sind bereits infolge der Ausbreitung der Affenpocken zu Unrecht stigmatisiert worden. Auch Männer, die Sex mit Männern haben, sind Falschbehauptungen ausgesetzt. "Wir beobachten mit Sorge, dass Begriffe wie 'Schwulen-Seuche' im Zusammenhang mit dem Affenpockenvirus wieder salonfähig werden", sagt René Mertens vom Lesben- und Schwulenverband. "Damit wird vor allem Hass gegen Schwule und bisexuelle Männer geschürt."
Das führe zu Anfeindungen besonders in den Sozialen Netzwerken, sagt Mertens: "Es besteht die Gefahr, dass durch eine stigmatisierende Berichterstattung diese Anfeindungen zunehmen und auch in Gewalt gipfeln können. Dabei ist für das Virus ist die sexuelle Orientierung eines Menschen unerheblich." Bereits vor dem Ausbruch der Affenpocken in Deutschland habe es mindestens drei LSBTI-feindliche Straftaten pro Tag gegeben. "Dass diese Zahlen jetzt noch mal steigen, ist nicht auszuschließen."
Die aktuelle Situation wecke Erinnerungen an den Ausbruch von HIV in den 1980er-Jahren, sagt Mertens. Auch damals wurde das Virus vor allem mit homosexuellen Männern in Verbindung gebracht, in den Medien war unter anderem von "Schwulen-Pest" die Rede. "Aus der Geschichte der HIV-Prävention wissen wir, wie schmerzhaft und gefährlich solche Begriffe sind", sagt Mertens. "Sie wirken als Brandbeschleuniger für homosexuellenfeindliche Einstellungen und Ideologien."
Auch das RKI teilt mit, dass das Risiko einer Infektion nicht auf Menschen beschränkt ist, "die sexuell aktiv sind oder auf Männer, die Sex mit Männern haben". Jeder, der engen körperlichen Kontakt mit einer ansteckenden Person habe, könne sich infizieren.
Gürtelrose statt Affenpocken?
Auch Verschwörungsideologen haben die Affenpocken bereits für sich entdeckt. So sei der Ausbruch der Krankheit geplant gewesen und bereits von der Münchner Sicherheitskonferenz im vergangenen Jahr "durchgespielt" worden - was unter anderem vom Faktenfuchs des Bayerischen Rundfunks bereits widerlegt wurde. In einem bei Telegram geteilten Beitrag heißt es hingegen, die Affenpocken seien eine Folge der Coronaimpfung. Auch dafür gibt es keinerlei Anhaltspunkte.
Ebenso wenig für die in den Sozialen Netzwerken aufgestellte Behauptung, in den meisten Fällen handele es sich gar nicht um eine Affenpockeninfektion sondern um eine Gürtelrose (Herpes Zoster) infolge der Coronaimpfung. Diese sehe ähnlich aus und werde daher fälschlicherweise mit Affenpocken verwechselt. Nach Angaben des Paul-Ehrlich-Instituts gibt es 1,42 gemeldete Fälle von Herpes Zoster pro 100.000 Corona-Impfdosen.
"Eine Gürtelrose kann zu Beginn einer Affenpockeninfektion durchaus optisch ähneln", sagt Schwichtenberg. Allerdings würde sich der Verlauf der beiden Krankheiten dann doch deutlich voneinander unterscheiden. Zudem zählen nur mit PCR-Test nachgewiesene Infektionen in die Statistik der Affenpockenfälle des RKI ein, so dass falsche Zahlen aufgrund von Fehldiagnosen ausgeschlossen werden können.