Vogelgrippe Wie groß ist die Gefahr einer Pandemie?
In US-amerikanischen Kuhställen grassiert die Vogelgrippe. Wie gefährlich ist der Ausbruch? Und wie groß ist die Sorge in der Wissenschaft, dass sich aus dem Erreger eine humane Pandemie entwickeln könnte?
Vogelgrippeviren wie H5N1, wissenschaftlich aviäre Influenzaviren genannt, gelten als die Viren, die das größte Potential haben, die nächste Pandemie zu verursachen. Und zwar deshalb, weil diese Viren enorm wandlungsfähig sind, deutlich wandlungsfähiger als SARS-CoV-2 beispielsweise. Sie infizieren bereits fleischfressende Säugetiere wie Katzen, Otter und Robben, aber auch Füchse oder Nerze in Pelztierfarmen. Seit März ist das Virus auch bei Milchkühen nachgewiesen.
Zunächst war unklar, wie es zu den Infektionen bei den pflanzenfressenden Kühen kommen konnte, denn die Möglichkeit, dass sie infizierte toten Vögel gefressen haben, scheidet aus.
Wie kommt es zur Infektion der Milchkühe?
Bis heute konnten die Forschenden nicht herausfinden, wie sich die erste Kuh mit H5N1 angesteckt hat. Vermutet wird der Kontakt mit den Ausscheidungen infizierter Vögel. Aber Stück für Stück klärt sich auf, wie sich das Virus von Kuh zu Kuh überträgt. Und wieso mittlerweile weit mehr als hundert Herden in mindestens zwölf Bundesstaaten der USA infiziert sind.
Die genetischen Analysen "weisen auf etwas hin, was man als Punkteintrag bezeichnet", so erklärt es Martin Beer vom Friedrich-Loeffler-Institut (FLI), dem Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit. "Das heißt, es ist tatsächlich so, dass es bei einer Kuh im Euter losgegangen ist und dann auch über das Melkgeschirr weitergegeben wurde. Und wenn ich dann mehr infizierte Tiere habe und die transportiere, dann habe ich plötzlich ein Geschehen, was sich ausbreitet".
H5N1 vor allem im Euter nachgewiesen
Denn, das steht inzwischen fest, das Vogelgrippevirus H5N1 ist vor allem im Euter der Kühe in hoher Konzentration nachweisbar. Eher selten dagegen in ihrer Nase oder in den oberen Atemwegen. Das liegt daran, dass die Vogelgrippeviren nur an speziellen Rezeptoren andocken können, um Zellen zu infizieren.
Diese Rezeptoren sitzen bei der Kuh im Euter, so Wissenschaftler Beer. "Der aviäre Rezeptor, also der Vogel-Rezeptor, der ist im Euter in großer Menge vorhanden. Also man kann im Grunde sagen, das Euter sieht für das Virus aus wie ein Huhn und kann sich deswegen in sehr hoher Menge vermehren."
Das Kuh-Euter und die Melkmaschinen sind also der Dreh- und Angelpunkt, um die H5N1-Infektionswelle bei den Milchkühen in den USA zu erklären. Und, wie der Virusdiagnostiker Beer und sein Team zeigen konnten, trifft das nicht nur auf die US-amerikanische Variante des Virus zu. Auch die hierzulande zirkulierenden H5N1-Stämme könnten theoretisch an die Rezeptoren der Kühe im Euter andocken, haben Experimente im Labor des FLI gezeigt.
Deshalb laufen jetzt unter Beobachtung des FLI bundesweite Stichprobenuntersuchungen von Milch und Kuhherden, um zu verhindern, dass sich H5N1 auch in Deutschland in Nutztierpopulationen niederlässt.
Krankheitslast bei Kühen und Menschen in den USA
Nach gegenwärtigem Wissensstand geben infizierte Milchkühe deutlich weniger Milch, die Konsistenz der Milch verändert sich, und sie können Fieber haben.
Bis heute haben sich in den USA vier Menschen mit der dort zirkulierenden Variante von H5N1 angesteckt. Aber nach Angaben der US-Gesundheitsbehörde haben sie keine weiteren Krankheitssymptome als gerötete Augen, medizinisch gesprochen eine Konjunktivitis.
Und auch von der Milch, in der Virusbestandteile gefunden wurden, geht nach Angaben der Forschenden keine Gefahr aus, weil die Viren durch die Pasteurisierung zerstört werden. Auf Rohmilchprodukte sollte aber in den USA deshalb verzichtet werden, so Beer.
Risiko für den Menschen?
Noch gehe für die Menschen bei diesem Subtyp von H5N1 wenig Gefahr aus, betonen die Forschenden auch unter Hinweis auf die bisher eher milden Krankheitsverläufe. Und, ganz entscheidend: Von Mensch zu Mensch verbreitet sich dieses Virus bisher nicht, wie die Influenzaforscherin Gülsah Gabriel vom Leibniz-Institut für Virologie in Hamburg sagt.
"Aber wir wissen natürlich, dass Influenza-Viren weiter evolvieren, und das machen sie, indem sie mehr Kontakt zu Säugern haben. Da kann das Virus eben hinsichtlich der Mensch-zu-Mensch-Übertragung mutieren und dann aber auch aerosol übertragbar werden."
Aerosol übertragbar zu werden, heißt: Das Virus müsste sich so verändern, dass es, ähnlich wie das Coronavirus, durch die Atemluft von Mensch zu Mensch gelangt. Das ist zur Zeit aber noch nicht der Fall, weil es bisher nur an Zellen andocken kann, die bei den Kühen im Euter, bei den Menschen im unteren Teil des Atemapparates sitzen.
Aber jeder einzelne Fall, in dem sich ein Mensch mit H5N1 ansteckt, erhöhe das Risiko, dass sich die Viren veränderten und an den menschlichen Wirt anpassten. Dass es zu einem sogenannten Spill Over kommt, so wie wir es bei der Corona-Pandemie mit SARS-CoV-2 erlebt haben.
Wie groß ist die Gefahr einer Pandemie?
Aktuell geht von den in den USA bei den Milchkühen zirkulierenden Vogelgrippeviren keine pandemische Gefahr für den Menschen aus, da sind sich die Forschenden einig. Dennoch, auch hier besteht Einigkeit, sei die gegenwärtige Entwicklung beunruhigend. Das sagen in Interviews beispielsweise auch Christian Drosten von der Charité in Berlin oder Isabella Eckerle von der Universitätsklinik in Genf.
Denn das Hauptrisiko liege nicht nur in der enormen Mutationsfähigkeit des Virus, so Influenza-Forscherin Gabriel, sondern auch darin, dass H5N1-Viren "in der Vergangenheit vermehrt vom Tier auf den Menschen übergegangen" sind und dort zu einer "sehr hohen Letalität" - also Sterblichkeit - geführt hatten. Allerdings waren das Infektionen mit Subtypen von H5N1, die bisher vor allem im asiatischen Raum verbreitet sind.
Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation WHO sind bis zu 50 Prozent der Erkrankten, die sich in den vergangenen Jahren dort auf Vogelfarmen oder auf Wildtiermärkten angesteckt haben, daran gestorben. In Deutschland hat sich nach Angaben des Robert Koch-Instituts bisher noch kein Mensch mit einem Vogelgrippevirus angesteckt.
Impfungen für gefährdete Gruppen in Finnland
Zu den Schutzmaßnahmen in Deutschland gehört die Überwachung der Milchkuhherden und der Milch durch das FLI. Und die Empfehlung, die geltenden Schutzmaßnahmen in den Ställen einzuhalten, auf Besonderheiten verstärkt zu achten und diese zu melden.
In Finnland können sich dagegen bereits Menschen gegen das Vogelgrippevirus impfen lassen. Das Angebot gilt für Menschen, die zum Beispiel auf Pelztierfarmen oder als Tierärzte arbeiten. Wie gut diese Impfung schützt, ist noch nicht klar, eben weil H5N1 noch nicht unter Menschen zirkuliert.
Aber fest steht: Je mehr Anpassungen es durchläuft, an Menschen und andere Säugetiere, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass H5N1 die nächste humane Pandemie auslösen wird.