Klimawandel Warum Schnee die Klimaerwärmung nicht widerlegt
Die Tatsache, dass es schneit, ist kein Gegenargument für den Klimawandel - darin sind sich Klimaexperten einig. Ganz im Gegenteil: Die Erderwärmung könnte teils sogar für mehr Schnee sorgen.
Der Wintereinbruch und damit verbundene heftige Schneefälle sorgen aktuell nicht nur in Deutschland für Unfälle, Ausfälle im Bahnverkehr, Chaos und Beeinträchtigungen am Flughafen München, sie sind gerade mit Blick auf die UN-Klimakonferenz in Dubai auch ein Thema in den sozialen Netzwerken. Sowohl auf dem Kurznachrichtendienst X als auch bei Telegram kursiert das Gerücht, Schnee sei ein Beweis dafür, dass die Erderwärmung und der Klimawandel nicht so schlimm wären oder es sie gar nicht gebe.
So schreibt etwa der ehemalige rbb-Moderator Ken Jebsen, der seit Jahren Verschwörungsmythen verbreitet, Ende Oktober auf Telegram: "Wo ist denn die globale Erwärmung, vor der wir permanent gewarnt werden und wegen der wir horrende Steuern zahlen müssen?"
DWD: "Zehnmal so schnell wie der normale Klimawandel"
Dass Schnee alleine kein Gegenargument dafür ist, dass die Temperaturen weltweit im Schnitt steigen - darin sind sich Klimaexperten einig. Während sich die gemessenen Hitzerekorde überschlagen, steigt die Temperatur auf der Erde wesentlich schneller als noch vor Tausenden Jahren. Nach Angaben des Deutschen Wetterdienstes (DWD) stieg das Jahresmittel der Lufttemperatur im Flächenmittel von Deutschland von 1881 bis 2022 statistisch gesichert um 1,7 Grad an.
Die Klimatologin Gudrun Mühlbacher vom DWD sagt dazu im Gespräch mit tagesschau.de: "Wir sind jetzt zehnmal so schnell wie der natürliche Klimawandel. Die Temperaturveränderungen, die wir in hundert Jahren sehen, das waren früher mehr als 1.000 Jahre." Und: Alleine die Veränderungen, die man in den vergangenen zehn Jahren sehe, seien laut Mühlbacher größer als das, was man seit Messbeginn gesehen habe.
Wärmere Winter - weniger Schnee
Die Winter würden generell wärmer, ergänzt Mühlbacher - "aber wir haben trotzdem Jahresschwankungen, die ebenfalls beinhalten, dass es im Winter kalt wird." Natürlich müsse man davon ausgehen, dass kalte Winter und Schnee seltener würden. Das bedeute aber nicht, dass sie nicht stattfänden, so die DWD-Klimatologin. Außerdem könne sich eine generelle Temperaturerhöhung im Winter auch in den Minusgraden abspielen.
Es ist dem Schnee dann prinzipiell schnuppe, ob dann -10 oder -5 Grad sind. Hauptsache, es ist kalt genug.
Kalt genug, damit es schneit und der Schnee liegen bleibt, ist es in den vergangenen Jahren seltener. Das belegen auch Zahlen des Deutschen Wetterdienstes. Die Tage, an denen es in Lagen unter 300 Meter eine Schneedecke von mindestens drei Zentimetern gibt, weisen demnach zwar eine hohe Variabilität auf - insgesamt geht der DWD aber von einem Rückgang dieser Tage um etwa 65 Prozent aus.
So zeigt eine Datenreihe des DWD zu Oberstdorf in Bayern, die mehr als 135 Jahre an Messungen enthält, einen deutlichen Rückgang solcher sogenannten Schneedeckentage. Gab es zwischen 1961 und 1990 demnach im Mittel noch 127 Schneetage, zählte der DWD zwischen 1991 und 2020 im Mittel nur noch 106 Tage mit Drei-Zentimeter-dicker Schneeschicht.
Wetter ist nicht gleich Klima
Bei der Einordnung von Schneemassen und der Erderwärmung ist ein zentraler Punkt die Unterscheidung zwischen Wetter und Klima. Da Schnee ein Wetterphänomen sei, könne man durch die Tatsache, dass es schneie, keine Rückschlüsse auf das Klima oder Klimaveränderungen ziehen, sagt Peter Hoffmann, Meteorologe am Potsdam Institut für Klimafolgenforschung (PIK). Er weiß: "Die Möglichkeit besteht immer noch bei einer bestimmten Konstellation von bestimmten Wetterbedingungen, dass Winter auch mal ungewöhnlich ausfallen." Entscheidend sei vor dem Hintergrund der Tendenz zu wärmeren Wintern, dass die Wahrscheinlichkeit für Tage mit Schnee in niedrigen Lagen sinke.
Ändert sich das Klima, verändert sich auch die Wettervariabilität.
Mehr Schnee statt oft Schnee
Hoffmann rechnet damit, dass die Klimaerwärmung sogar dazu führen könnte, dass wir künftig mehr Schnee sehen - allerdings nicht in der Häufigkeit, sondern in der Intensität. Heißt: Es könnte durch die Klimaerwärmung zwar seltener schneien, dafür aber in der Masse genauso viel oder gar mehr. Ein Grund dafür ist, dass es durch die Klimaerwärmung mehr regnet - vor allem im Herbst und im Winter. Laut dem DWD hat die mittlere Niederschlagsmenge in Deutschland seit dem Winter 1881/1882 um rund 48 Millimeter zugenommen. Das sind etwa 26 Prozent mehr Regen, jedoch mit räumlichen Unterschieden. Der DWD beobachtet damit eine leichte Verschiebung der Niederschlagsaison zu den Wintermonaten.
Das bestätigt auch Niklas Höhne vom NewClimate Institute: "Wir sehen jetzt, dass im Winter zurzeit tatsächlich mehr Niederschlag fällt." Das könne dazu führen, dass mehr Schnee liege, auch wenn die Temperaturen insgesamt hochgingen.
Hoffmann erklärt den Zusammenhang zur Erderwärmung so: "Es ist bekannt, dass durch den Klimawandel höhere Temperaturen herrschen - und die Atmosphäre kann mehr Feuchtigkeit halten, wenn es warm ist." Das könne im Sommer zu Dürren führen, weil die Feuchtigkeit dann eher verdunstet und nicht abregnet. Im Herbst und Winter werde die Feuchtigkeit dagegen entladen - als extremer Regen oder bei sehr niedrigen Temperaturen als extremer Schnee oder Schneemassen.
Wenn der Schnee fehlt, fehlt ein Reflektor
Dabei ist Schnee wichtig dafür, dass die Natur funktioniert. Das Ausbleiben von Schnee kann die Klimaerwärmung sogar begünstigen. So erklärt der Klimaexperte Mojib Latif, eine Schneedecke funktioniere wie ein großer Reflektor: "Schnee und Eis reflektieren ja sehr viel Sonnenlicht zurück in den Weltraum. Und wenn das nicht mehr stattfindet, dann wird das Sonnenlicht von der Erdoberfläche absorbiert." Das sei sozusagen ein verstärkender Prozess, was die Erhöhung der Lufttemperatur angehe, so Latif.
Aber Schnee habe noch eine weitere Aufgabe, fügt Hoffmann an. Schnee agiere gerade in höheren Lagen als Wasserspeicher für Jahreszeiten, in denen die Natur viel Wasser brauche. "Wenn bereits der Winter relativ warm und trocken ausfällt, starten wir bereits im Frühjahr, wo Pflanzen Vegetation sehr viel Wasser benötigen, schon relativ trocken."
Der Winter wird kürzer
Auf der anderen Seite habe der Schnee durch die oft schwankenden Temperaturen im Winter keine so große Beständigkeit mehr. Wenn es schneie, dann sei der Schnee eine Woche später oft schon wieder weg, so Hoffmann. So könne eine schnell einsetzende Schneeschmelze genauso Hochwasser begünstigen.
Das alles wird laut DWD-Expertin Mühlbacher dadurch verstärkt, dass sich die Winter durch die höheren Temperaturen verkürzen. Mühlbacher sagt: "Wir bekommen zum Frühjahr hin dann eine intensivere Sonneneinstrahlung und das allgemeine Temperaturniveau steigt." Damit würden eher Temperaturen über null Grad erreicht.
Schnee ist nicht gleich Schnee
Obwohl Schnee im Winter etwa wichtig für die Ökosysteme ist, sind auch die Eigenschaften des Schnees entscheidend - etwa für die Tragfähigkeit von Dächern und anderer Infrastruktur. Bei höheren Temperaturen sei der Schnee eher feucht, erklärt DWD-Expertin Mühlbacher. Er enthalte dann viel Wasser und werde dementsprechend schwerer. "Dann werden diese Lasten viel schneller erreicht." Auch in Bezug darauf müsse sich die Gesellschaft im Rahmen der Klimaerwärmung einstellen.