EU-Kommission prüft polnisches Mediengesetz Debatte statt Druck
Die EU-Kommission will in Brüssel darüber beraten, ob Polen Konsequenzen wegen seines umstrittenen Mediengesetzes befürchten muss. Falls ja, könnte ein Verfahren jedoch an den zerklüfteten Machtverhältnissen innerhalb der EU scheitern.
Am Anfang steht eine Frage: Muss die EU überhaupt aktiv werden gegen Polen? Auf diese Frage dürfte es heute eine Antwort geben. Dementsprechend müsste dann über mögliche Konsequenzen beraten werden. In der Diskssion: ein dreistufiges Verfahren "zum Schutz der Rechtsstaatlichkeit in der EU". In diesem Verfahren müsste dann genau geprüft werden, ob "eindeutige" Anzeichen für eine dauerhafte und "systembedingte" Gefahr für die Demokratie auszumachen sind.
Weniger Ursachenprüfung als Rechtsfolgen-Abschätzung
Im Klartext: Brüssel müsste Warschau nachweisen, dass ihre bereits beschlossene Medien- und Verfassungsrefomen nicht nur eine partielle Verschärfung der Rechtslage darstellen, die eine demokratisch gewählte Regierung aus politischen Gründen umsetzen darf, ohne ihre Kompetenzen zu überschreiten. Brüssel müsste außerdem belegen, dass mit dem Vorgehen in Warschau elementare Grundrechte außer Kraft gesetzt wurden - und Polen somit keine vollwertige Demokratie ist, die sich an Normen hält, der sie sich auch der EU gegenüber verpflichtet hat. Es ist weniger eine Ursachenprüfung, mehr eine Rechtsfolgen-Abschätzung.
Die vom polnischen Parlament beschlossene Medienreform wird nun von der EU-Kommission geprüft.
Die Fronten sind verhärtet. Der polnische Justizminister Zbigniew Ziobro reagierte, wenn auch reichlich spät, auf einen mahnenden Brief des stellvertretenden Kommissionschefs Frans Timmermans, den er schon nach Warschau schickte, bevor die umstrittenen Gesetze unterschrieben wurden. "Ich habe Ihren Brief als Versuch aufgefasst, Druck auf ein demokratisch gewähltes Parlament und die Regierung eines souveränen Staates auszuüben", heißt es in einer Antwort, die auf einer polnischen Nachrichten-Webseite veröffentlicht wurde.
Zuvor hatte Timmermans geklagt, "bis heute keine Antwort auf zwei Schreiben aus Brüssel bekommen zu haben". In diesem Schreiben hatte er Warschau aufgefordert, mit der Umsetzung der Reformen noch zu warten - und die Brüsseler Bedenken nicht in den Wind zu schlagen.
Polnische Bürger nicht verprellen
Trotz dieser scharfen Töne könnte sich die Lage durch das angedrohte Verfahren aber auch entspannen. Anzeichen dafür gibt es bereits. Der Chef des Auswärtigen Ausschusses im EU-Parlament, Elmar Brok von der CDU, wandte sich gegen eine "Vorverurteilung" der polnischen Regierung. Die Sorge, dass sich die polnischen Bürger um so mehr mit der Politik ihrer Regierung abfinden könnten, je größer der Druck aus Brüssel wird, ist groß.
Zumal nicht nur die EU-Kommission involviert ist. Die polnische Regierung forderte ihrerseits den Europarat auf, vor allem die Reformen des Verfassungsgerichts zu prüfen. Das bedeutet: Polen zeigt Interesse, den Konflikt nicht bis zum Äußersten zu treiben, auch wenn man nicht bereit ist, schnell auf Brüssel zuzugehen.
"Diese Art der Politik kann nicht im Interesse Polens sein", hatte EU-Kommissar Günther Oettinger vor wenigen Tagen erklärt, "Polen ist auf Investitionen angewiesen. All' das sollte man nicht gefährden".
Schnelles Einlenken Polens nicht zu erwarten
Dass sich einige in der EU-Kommission vorstellen können, Polen am Ende sogar entscheidende Mitspracherechte in Brüssel zu entziehen, lässt nicht erwarten, dass Polen schnell einlenkt. Das glaubt auch EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker offenbar nicht. Er setzt mehr auf Zuckerbrot und weniger auf Peitsche. Beim Wechsel der Ratspräsidentschaft von Luxemburg zu den Niederlanden in der vergangenen Woche sagte Juncker demonstrativ: "Wir prügeln nicht auf Polen ein." Dass Polen zum Paria der EU wird - soweit will es Juncker nicht kommen lassen.
Das Verfahren gegen Polen - sofern es in Gang gesetzt wird - ist langwierig und weniger auf Druck, mehr auf Debatte und gegenseitiges Einfühlungsvermögen ausgelegt. "In der Vergangenheit hatten wir die Wahl, in disem Fällen entweder gar nichts zu tun oder mit dem Äußersten zu drohen", erklärte der niederländische Regierungschef Mark Rutte. "Aber jetzt haben wir ein mehrstufiges Verfahren: Erst prüfen wir, ob der Rechtsstaat systematisch bedroht ist. In diesem Fall fordert die EU-Kommission eine Stellungnahme der polnischen Regierung. Werden die Bedenken nicht ausgeräumt, bekommt die polnische Regierung mitgeteilt, was sie bis wann ändern muss." Falls nichts passiere, könne die Kommission einen der Mechanismen nach Artikel 7 des EU-Vertrages einleiten. "Schritt für Schritt bekommen wir mehr Klarheit über das, was in Polen passiert."
Verfahren könnte an Bündnissen scheitern
Am Ende könnte es aber schon an der Frage scheitern, was klar ist und was unklar. Und vor allem an den zerklüfteten Machtverhältnissen in der EU mit diversen Bündnissen und Unterstützergruppen. Die Mitgliedstaaten müssen einstimmig entscheiden, ob Grundrechte "schwerwiegend und anhaltend" verletzt werden. Ungarn ist mit Polen verbündet. Und hat schon klar gemacht, dass Ungarn keine Sanktionen gegen Warschau unterstützen wird. Unwahrscheinlich also, dass diese Hürde genommen wird, die nicht einmal die letzte mögliche des Verfahrens ist. Noch unwahrscheinlicher wäre es dann, dass Polen Mitspracherechte in Brüssel aberkannt werden - die stärkste Waffe der EU-Sanktionspolitik gegen Mitgliedsstaaten.
Die Gefahr, dass in Brüssel Bündnisse und nicht Prinzipien entscheiden, ist momentan größer denn je. EU-Kommissionsvize Timmermans mag daran gedacht haben, als er unlängst vor einer tiefen Spaltung der EU warnte: "Es war ein großer Erfolg der europäischen Integration, dass aus Diktaturen in Zentral- und Osteuropa Demokratien wurden. Diese Werte müssen geschützt werden". Ob sein Appell Früchte trägt, ist völlig offen. Das Verfahren - so sieht es jedenfalls die EU-Kommission - bietet eine Chance dafür.