Umstrittene Gesetze "Die Regierung will Stille in Polen"
In Polen hat die neue Regierung Nägel mit Köpfen gemacht: Erst wurde das Verfassungsgericht entmachtet, dann folgte ein umstrittenes Mediengesetz. Die Regierung wolle Stille im Land, meint der Journalist Wielinski im Interview mit tagesschau.de. Daher sei es wichtig, laut zu widersprechen.
tagesschau.de: Die vergangenen Tage waren turbulent in der polnischen Politik. Wie ergeht es Ihnen als politischer Journalist?
Bartosz Wielinski: Jeden Morgen wacht man auf und schaut erst einmal, was im Parlament nun wieder beschlossen wurde. Es ist schon erstaunlich, was die neue Regierung und das Parlament in den vergangenen Tagen mit dem Land gemacht haben.
tagesschau.de: Überrascht Sie das Tempo, mit dem Gesetze verabschiedet werden?
Wielinski: Ja, damit haben wir nicht gerechnet. Wir hatten erwartet, die Regierung gehe zwar konsequent, aber langsamer und vorsichtiger vor, weil klar ist, dass Europa gegen solche Gesetze protestieren wird.
Nur vorsichtige Kritik aus Deutschland
tagesschau.de: Aus Deutschland kommt bislang wenig Kritik an dem Kurs der polnischen Regierung. Warum ist das so?
Wielinski: Der deutsche Botschafter in Warschau bemüht sich sehr, die Politik in Berlin davon zu überzeugen, kein böses Wort über Polen zu verlieren, weil dies kontraproduktiv sei. Denn Kritik aus Deutschland könnte die PiS nutzen, um zu behaupten, Deutschland sei polenfeindlich eingestellt. Die einzigen deutschen Politiker, die außerhalb der Reichweite des Botschafters sind, das sind die EU-Politiker Martin Schulz und Günther Oettinger - und das sind die deutschen Politiker, die sich deutlich äußern.
tagesschau.de: Was wäre denn eine kluge und hilfreiche Strategie, um auf die Entwicklung in Polen zu reagieren?
Wielinski: Die polnische Regierung muss ermahnt werden - und zwar ständig! Denn weder die Ausschaltung des Verfassungsgerichts noch die Übernahme von öffentlich-rechtlichen Medien sind konform mit EU-Recht. Europa muss laut und deutlich kritisieren, dass Polen in die falsche Richtung geht. Und wenn Polen isoliert wird, wird es peinlich für die Regierung in Warschau.
"Die Opposition ist wieder aufgewacht"
tagesschau.de: Wie reagiert die demokratische Opposition auf die Gesetze?
Wielinski: Wir erleben das Erwachen der Zivilgesellschaft, die in den vergangenen Jahren lethargisch war. Polen hatte die große Krise überwunden, vielen Bürgern ging es gut, man hat sich mit sich selbst beschäftigt: Geld verdienen, Urlaub planen, Freizeit genießen. Doch nun sind die Bürger wieder wach.
tagesschau.de: Woran sieht man das?
Wielinski: Das sieht man beispielsweise daran, dass am Samstag zu einer Demonstration in Posen mehr als 2000 Menschen gekommen sind - obwohl es kälter als minus zehn Grad war. Kurz vor Weihnachten hatte es in mehreren Städten große Demonstrationen gegen die Regierung gegeben. Die Menschen sind bereit, Widerstand zu leisten. Das ist für die Regierung eine Überraschung: Sie dachte, mit der Mehrheit im Parlament könne sie mit dem Land machen, was man wolle.
Vorbild Viktor Orban
tagesschau.de: Der Kurs ist in Osteuropa kein Einzelfall, in Ungarn hat Viktor Orban eine autoritäre Regierung aufgebaut. Ist das auch das Ziel der Regierung in Polen?
Wielinski: Für Kaczynski ist Orban ein Vorbild. Orban hat allerdings mit Gelassenheit sowie Schritt für Schritt seine Ziele realisiert. Die polnische Regierung will dies alles in wenigen Monaten erreichen. Aber die Gesellschaft in Ungarn ist viel passiver als die polnische. In Polen gibt es eine starke liberale, demokratische Opposition.
tagesschau.de: Wie reagieren die Medienschaffenden in Polen auf die Entwicklung?
Wielinski: Meine Zeitung, die "Gazeta Wyborcza", hat von Anfang an gewarnt, dass es unter dieser Regierung gespenstisch werde. Manche fanden das lächerlich, weil viele dachten, PiS agiere viel moderater. Dies denkt mittlerweile niemand mehr. Die Stimmung ist eindeutig: Die Kollegen wollen nicht akzeptieren, was hier passiert. In großen Nachrichtensendungen verabschieden sich die Moderatoren beispielsweise mit dem Hinweis, dass man ja nicht wisse, ob man sich morgen wiedersehe. Es wurde bereits eine Stiftung gegründet, um suspendierten Journalisten zu helfen. Und alle warten noch gespannt darauf, ob Präsident Andrzej Duda dieses Mediengesetz tatsächlich unterzeichnen wird.
"Regierung will Diskussionen verhindern"
tagesschau.de: Was hat das Gesetz zum Verfassungsgericht mit dem Mediengesetz zu tun? Hängen diese zusammen?
Wielinski: Die Zukunft des Verfassungsgerichtes ist noch nicht entschieden: Am 12. Januar soll es ein Urteil des Gerichts selbst darüber geben, ob die Gesetzesänderung überhaupt zulässig ist. Vermutlich wird es das Gesetz kippen. Doch dann stellt sich die Frage, ob diese Entscheidung veröffentlicht wird. Denn die Regierung ist dafür zuständig. Das wird eine spannende Angelegenheit. Die Regierung drückt auf das Tempo, doch sie wird nun Zeit verlieren; die Diskussionen und die Kritik werden dadurch lauter. Und genau das will sie verhindern, deswegen hat man das Mediengesetz durchgepeitscht: Die Regierung will Stille in Polen.
Das Interview führte Patrick Gensing, tagesschau.de