Polens Einstieg in die Atomkraft Choczewo streitet über ein AKW
Im Kampf gegen die Klimakrise setzt Polen auf Atomkraft. Im Dorf Choczewo an der Ostsee soll ein erstes AKW entstehen. Die Bevölkerung trägt das mit großer Mehrheit mit, doch vor Ort gibt es auch Widerstand.
Was von weitem aussieht wie ein Strandspaziergang einer Gruppe von Freunden, ist, aus der Nähe betrachtet, ein Protest. Die dreizehn Mitglieder der Bürgerinitiative "Ostsee-SOS" tragen T-Shirts mit Anti-Atomkraft-Sprüchen über ihren dicken Winterjacken, und "Stop Atom"-Aufkleber zieren sogar die mitgebrachten Hunde.
Sie alle eint die Angst um eine besondere Landschaft. Denn hier, in der Gemeinde Choczewo, die mit den schönsten Stränden Polens wirbt, soll das erste Atomkraftwerk des Landes gebaut werden.
Der Ort liegt etwa 75 Kilometer nordwestlich von Danzig. Für die Gegner des AKW ist das ein Albtraum. "Wenn man sich vorstellt, dass diese Strände kaputt gemacht werden, will man einfach nur weinen. Es gibt ganz wenig solcher Strände hier in Polen", sagt Jolanta Gruba.
Gruba besitzt hier, wie auch die meisten der anderen Mitglieder der Bürgerinitiative, ein Ferienhaus, das sie vor allem im Sommer an Touristen vermietet. Damit dürfte Schluss sein, wenn hier großflächig gebaut wird und am Ende ein AKW in die Landschaft ragt, so ihre Befürchtung.
Klimaziele schaffen Zwänge
Polens Regierung muss und will aus der Kohle aussteigen. Allein die EU-Klimaziele zwingen das Land dazu. Momentan kommen fast 80 Prozent des in Polen erzeugten Stroms aus Kohlekraftwerken. Und weil diese relativ veraltet sind, ist Polen eine der stärksten Luftverschmutzer Europas.
Neben Atomkraft setzt die Regierung dabei auch auf den Bau von Offshore-Windparks und Solarkraftwerken. Doch allein mit erneuerbaren Energien wäre die Dekarbonisierung nicht zu schaffen, so Experten.
Die Gegner des AKW eint die Sorge um die Landschaft bei Choczewo an der Ostsee. Ihre Kritiker werfen ihnen vor, vor allem an ihre Einnahmen zu denken.
Sieben Jahre Bauzeit geplant
Den Zuschlag für den Bau des ersten AKW Polens in Choczewo hat der US-Konzern Westinghouse im Oktober bekommen. Die Baukosten sollen umgerechnet 18,6 Milliarden Euro betragen.
2026 soll es losgehen. 2033, so der Plan, könnte der erste Reaktorblock ans Netz gehen. Dafür müsste der Kiefernwald entlang der Küste großflächig gerodet werden. Das Kühlwasser des fertigen AKW soll über große Rohre direkt ins Meer fließen. Die ganze Gegend hier würde anders aussehen.
Dörfer hoffen auf Aufschwung
Und trotzdem sind hier viele auch für den Bau des AKW. In den kleinen Dörfern der Gegend wie Slajszewo oder Kopalino hängen Protestplakate eigentlich nur an den Zäunen derer, die Ferienhäuser besitzen und mit dem Tourismus Geld verdienen.
Die anderen sagen, die Gemeinde werde zwar nicht mehr schön sein, aber dafür reich. Auch der Ortsvorsteher von Kopalino, Jerzy Zuczek, sieht das so: "Unsere Gemeinde verfügt doch sonst über keine Ressourcen und es gibt keinerlei Industrie hier."
Zuczek setzt auf Entwicklungsmöglichkeiten, hofft auf eine neue Infrastruktur, auf einen Anschluss an die Kanalisation. Dass diejenigen mit Ferienhäusern dagegen sind, kann er verstehen. "Die haben hier Geld investiert und sind nun sauer. Aber ich sage ihnen auch, dass sie dann eben Entschädigung bei der Regierung beantragen müssen."
Der zweite Anlauf
Mit dem Für und Wider von Atomkraft beschäftigen sich die Alteingesessenen hier in der Region nicht zum ersten Mal. Schon einmal gab es den Versuch, hier ein AKW hinzusetzen. Das war in den 1980er-Jahren. Nur 20 Kilometer entfernt von Choczewo steht noch das Gerippe des Rohbaus.
Damals kam die Wende und die Katastrophe von Tschernobyl dazwischen. In der Bevölkerung regte sich Protest. Doch heute sind 75 Prozent der polnischen Bevölkerung für Atomkraft - seit dem Krieg in der Ukraine und der damit verbundenen Energiekrise mehr denn je.
Bei Zarnowitz sollte das erste AKW Polens entstehen - nach der Atomkatastrophe von Tschernobyl wurde der Bau nie vollendet.
Und was ist mit dem Atommüll?
Auch Klimaschützer - anders als in Deutschland - befürworten die Strategie der Regierung. Andrzej Gasiorowski von der Organisation Fota4Climate sagt, Atomenergie sei Teil der Lösung des Energieproblems. "Sie sollte aber mit erneuerbaren Energien zusammenarbeiten. Das ist die einzige Möglichkeit, um von der Kohle wegzukommen. Nicht nur für Polen, sondern für jedes Land."
Politisch ist Polens Atomeinstieg unangefochten, er wird getragen von allen relevanten Parteien im Land. Debattiert wird allenfalls über die Kosten und die gewählten Partner. Sorgen über Reaktorsicherheit und die Lagerung des Atommülls macht sich in Polen dagegen kaum jemand. Ein Endlager wird bisher nicht gesucht.