Ein Jahr im Amt Warum Tusk sein Reformversprechen noch nicht eingelöst hat
Als Donald Tusk vor einem Jahr Ministerpräsident Polens wurde, begleiteten ihn große Erwartungen. Zwölf Monate später zeigt sich, wie mühsam der Wandel ist. Das liegt auch an einem Dauerstreit mit Präsident Duda.
Polens Ministerpräsident Donald Tusk hat seine erste Bilanz schon am 15. Oktober gezogen, genau ein Jahr nach der Wahl. Durchaus selbstkritisch wendet er sich an diesem Tag an die Polinnen und Polen und dankt ihnen für "Geduld und Ausdauer in diesem unruhigen ersten Jahr". Und er drückt die Hoffnung aus, "dass Sie es noch eine Weile mit mir aushalten" - selbst wenn die Bürger "manchmal ungeduldig und wütend" mit ihm seien.
Es ist die Selbsterkenntnis, dass er viele Versprechen aus dem Wahlkampf noch nicht eingelöst hat. Dabei hatte Tusk die Messlatte selbst hoch angelegt. Fast schon wie ein Messias wurde er von den Polinnen und Polen im Vorfeld der Wahl gefeiert.
Der Regierungswechsel war mit einer fast revolutionären Stimmung in einem großen Teil der Bevölkerung verbunden. Die Begeisterung war groß - und die Hoffnung auf einen tiefgreifenden Wandel, den Tusk und seine Regierung bringen würden, sollte die rechtspopulistische PiS endlich nicht mehr regieren.
Viel Uneinigkeit in der Koalition
Nach einem Jahr Regierung unter Führung von Tusk ist Ernüchterung eingetreten, vor allem bei vielen polnischen Frauen. Ihnen hatte Tusk eine Lockerung des strengen Abtreibungsrechts versprochen. Sie hatten Tusk genau deshalb gewählt.
Doch viel getan hat sich nicht: Reformbemühungen scheitern immer wieder an den Differenzen unter den Koalitionären, unter denen auch streng konservative Parteien sind. "Bis zur nächsten Wahl wird es in diesem Parlament keine Mehrheit für eine legale Abtreibung im vollen Sinne des Wortes geben. Da machen wir uns nichts vor", gesteht Tusk im August bei einem Treffen mit Jugendlichen ein.
Totalblockade durch den Präsidenten
Ein weiteres Versprechen war die schnelle Wiederherstellung der Rechtsstaatlichkeit im Justizwesen, das die Vorgängerregierung der PiS für ihre Zwecke instrumentalisiert hatte und mit einer Reform fast komplett unter ihre Kontrolle gebracht hatte.
Die neue Regierung hat aber offenbar nicht damit gerechnet, welche Rolle der Präsident in der polnischen Legislative spielt. Die Pläne von Tusk zerschellen an der Totalblockade des PiS-treuen Präsidenten Andrzej Duda, der die Justizreform maßgeblich vorangetrieben hatte.
Duda spricht vom "Terror der Rechtstaatlichkeit" und legt gegen jedes Gesetz der Regierung von Tusk sein Veto ein. Und das Justizwesen ist durch die PiS derart umgebaut worden, dass es in Teilen unmöglich ist, es zu reformieren, ohne selbst gegen Recht zu verstoßen.
Schon bei der Ernennung war die Stimmung eher verkrampft: Seitdem bekämpfen sich Duda und Tusk mit harten Bandagen.
Präsidentschaftswahl erst im Mai
Auch in anderen Bereichen blockiert Duda grundlegende Reformen der neuen Regierung. Erst am vergangen Wochenende prangerte Tusk auf einem Parteitag seiner Bürgerplattform KO die Haltung des Präsidenten an: "Stellen Sie sich vor, wie viel schneller, wie viel besser, wie viel einfacher der Wiederaufbau Polens wäre, wenn es nicht diesen ständigen Bürgerkrieg gäbe, dieses ständige Werfen von Stolpersteinen, das Streuen von Sand in die Rädchen."
Polen brauche einen Präsidenten, der sich seiner unabhängigen Rolle und seiner starken Position bewusst sei, und der gleichzeitig wisse, wie wichtig die Zusammenarbeit mit der Regierung, aber auch mit allen Bürgern sei.
Erst kommendes Jahr im Mai könnte sich an der jetzigen Situation etwas ändern, wenn ein neuer Präsident gewählt wird und PiS-fernen Kandidat gewinnen sollte.
Wieder unabhängige Medien
Doch Tusk hat trotz dieser nicht einfacher Umstände auch Erfolge vorzuweisen. So senden die öffentlichen Medien, einst Sprachrohr der rechts-populistischen PiS, wieder journalistisch unabhängig, auch wenn es noch immer kein Gesetz gibt, was die Situation der öffentlichen Medien neu ordnet. Auch hier hakt es an Präsident Duda.
PiS-treue Manager in Staatsunternehmen sind entlassen, und mit diversen parlamentarischen Untersuchungsausschüssen sollen PiS-Politiker für die Rechtsbrüche in ihrer Regierungszeit zur Rechenschaft gezogen werden. Diese juristische Abrechnung war ein wichtiges Wahlversprechen an die Bevölkerung.
Erfolge in der Wirtschaft und international
Tusk hat auch wirtschaftspolitisch geliefert. Die EU-Kommission gab kurz nach Tusks Regierungsantritt Milliarden Euro an Corona-Wiederaufbau-Hilfen frei, die wegen Polens Rechtsstaatlichkeitsverstößen unter der PiS gesperrt worden waren.
Die größten Erfolge aber hat er sicherlich in den außenpolitischen Beziehungen errungen. Vor allem die Beziehungen zwischen Polen und der EU und der westeuropäischen Partnern hat Tusk auf ein völlig anderes Level gehoben und Polens Stellung in Europa entscheidend gestärkt.
"Gerade im Bereich Sicherheitspolitik mit Blick Richtung Osten hat Polen bewiesen, dass es eine neue Rolle in Europa spielt", sagt Agnieszka Lada vom Deutschen Polen-Institut.
Tusk startet eigene Initiativen in der Sicherheitspolitik, baut Allianzen mit den baltischen Staaten, mit Skandinavien und Frankreich auf. Berlin ist da nicht immer dabei. "Und das ist natürlich schon ein Zeichen seitens der Tusk Regierung gegenüber Deutschen: Wir können auch ohne euch, wenn ihr zu langsam, zu unentschieden seid oder auch mit den Polen nicht direkt reden wollt", bewertet Lada jüngste Treffen von Tusk mit anderen europäischen Staatschefs, die ohne deutsche Beteiligung abliefen.
Polen sei selbstbewusster als jemals zuvor. Für das deutsch-polnische Verhältnis bedeute das vor allem, dass das alte Lehrer-Schüler-Verhältnis nicht mehr gelte, auch wenn das Teile der deutschen Bundesregierung noch immer nicht verstanden hätten.