Menschen vor dem Kulturpalast in Warschau
europamagazin

Migrationspolitik in Polen Abschottung trotz Vollbeschäftigung

Stand: 23.11.2024 07:35 Uhr

Polens Premier Premier Tusk will nicht nur das Asylrecht aussetzen - er will auch die Arbeitsmigration drosseln. Polnischen Unternehmen bereitet das große Probleme - denn im Land herrscht Vollbeschäftigung.

Bei Marathon International Logistics in Posen brummt der Laden. 400 Lkw sind für das Unternehmen europaweit unterwegs. Und nächstes Jahr soll um weitere 100 Fahrzeuge aufgestockt werden. Doch dafür braucht es Fahrer.

Die Vize-Vorstandsvorsitzende Aleksandra Kaszub sieht hier Probleme auf sich zukommen: "Wir erwarten eine Situation, in der uns der Einstellungsprozess noch mehr Zeit und Mühe abverlangt, die Dokumente zusammenzubekommen." Der Prozess werde komplizierter, und das sei schädlich für die Entwicklung des Unternehmens.

Zahl der Visa um 31 Prozent gekürzt

Grund für Kaszubs Sorgen ist die neue Migrationsstrategie von Polens Regierung. Premier Donald Tusk hatte sie Mitte Oktober vorgestellt. Zu der Zeit konzentrierte sich die Öffentlichkeit vor allem auf die darin enthaltene Ankündigung, das Asylrecht zeitweise auszusetzen. Die Strategie zeichnet sich auch durch harte Maßnahmen gegen illegale Migration aus. Doch das ist nur ein kleiner Teil der Gesamtstrategie, die Tusk sogar als Vorbild für die gesamte EU sieht.

So sind auch die Regeln für Studentenvisa verschärft worden. Dadurch solle Missbrauch durch solche Einwanderer vorgebeugt werden, die nur vorgeben zu studieren, in Wahrheit aber arbeiten würden, heißt es von Seiten der Regierung.

Insgesamt soll der Zugang zum polnischen Arbeitsmarkt stark reguliert werden. Nur hochqualifizierte Arbeitskräfte sind erwünscht oder solche, die Bürger eines OECD-Landes sind beziehungsweise eines Landes, mit dem Polen oder die EU ein Rückführungsabkommen hat.

Tusks Regierung hat die Anzahl der erteilten Arbeits- und Studentenvisa in der ersten Hälfte diesen Jahres im Vergleich zum Vorjahr um 31 Prozent gekürzt. Es ist auch eine Reaktion auf die mutmaßlich illegale und korrupte Visa-Vergabepraxis der Vorgängerregierung.

Unternehmen finde kaum Arbeiter

Doch Tusk hat klar gemacht, was sein vorrangiges Ziel ist: "Mir wäre es zunehmend lieber, die Arbeitsmigration würde Köpfe bedeuten und nicht nur billige Arbeitskräfte." Nach und nach dämmert vor allem Unternehmern, was das für sie bedeuteten könnte.

Denn in der Baubranche, der Gastro- oder der Logistikbranche suchen die Unternehmen weniger qualifizierte Arbeitskräfte. Hier kommt bereits jetzt bis zu einem Viertel der Beschäftigten aus Nicht-EU-Ländern.

Bei Marathon International Logistics ist es sogar die Hälfte. Ukrainer, Belarusen oder Georgier sichern der Firma den wirtschaftlichen Erfolg. Denn unter den Polen gibt es immer weniger Menschen, die manuelle Arbeit machen wollen.

Auf ausländische Arbeitskräfte angewiesen

Der polnische Arbeitsmarkt ist so leergefegt wie nie seit 1990, seit dem Ende des Kommunismus. Es herrscht quasi Vollbeschäftigung. Die Arbeitslosenquote liegt laut Eurostat gerade mal bei 2,9 Prozent und ist damit nach der von Tschechien die zweitniedrigste in der EU.

Hinzu kommt, wie in vielen anderen europäischen Ländern, die demografische Entwicklung. 2023 verzeichnete das Land das sechste Jahr in Folge einen Bevölkerungsrückgang. Laut aktuellen Prognosen könnte Polen bis 2035 zwei Millionen Arbeitnehmer verlieren.

Unternehmen setzen deshalb verstärkt auf Arbeitskräfte aus dem Ausland. Aktuell arbeiten rund 1,1 Millionen Ausländer in Polen, was 6,7 Prozent der gesamten Arbeitnehmerschaft in Polen entspricht. Den Großteil machen Ukrainer aus, gefolgt von Belarusen - also Polens direkte Nachbarn.

Doch in den letzten Jahren gab es einen verstärkten Anstieg von Migration aus weit entfernten Ländern wie Bangladesch oder Nepal, aus Kolumbien oder Simbabwe. Teilweise verfünffachte sich hier die Zahl der Anträge für eine Arbeitserlaubnis von 2022 auf 2023.

Reiner Wahlkampf?

"Ohne meine nepalesischen Mitarbeiter bin ich aufgeschmissen", sagt Robert Stankiewicz, Inhaber des Bistros Port-o-Wino in Warschau. Er ist verunsichert, seit er von der neuen Migrationsstrategie gehört hat. Fünf seiner Mitarbeiter kommen aus Nepal.

Sie haben teilweise in Polen studiert, arbeiten jetzt bei ihm in der Küche. Er zahle gute Löhne, sagt Stankiewicz. Auch die nepalesischen Köche zeigen sich zufrieden mit ihrem Gehalt. Doch gelten sie als qualifiziert oder nicht?

Maciej Wronski, Vorsitzender eines Arbeitgeberverbandes im Bereich Transport und Logistik, ärgert sich über die Pläne der Regierung. Weil die Bedürfnisse der Wirtschaft vorher nicht abgefragt worden seien und weil vieles noch völlig unklar sei. Vor allem aber, weil er das Papier als reinen Wahlkampf ansieht.

In Polen wird nächstes Jahr ein neuer Präsident gewählt. "Das Thema Arbeitsmigration ist immer gut, wenn man Menschen erschrecken will", sagt er. Darunter würden Arbeitgeber leiden und potenzielle neue Arbeitnehmer abgeschreckt.

Noch hat er Hoffnung, dass die Strategie so nicht umgesetzt wird. Die Regierung müsse ja irgendwann merken, dass sie an der Realität vorbei plane.

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Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 20. Oktober 2024 um 08:11 Uhr.