Skandal im polnischen Wahlkampf Ermittlungen wegen Korruption bei der Visavergabe
Gegen Schmiergeldzahlungen sollen polnische Konsulate leichter Arbeitsvisa vergeben haben. Medien sprechen von Hunderttausenden Fällen. Die Regierung in Warschau versucht, die Affäre herunterzuspielen.
Die polnische Wirtschaft boomt seit Jahren und Arbeitskräfte sind knapp. Wirtschaftsverbände fordern daher, Gastarbeiter ins Land zu lassen - für die Landwirtschaft oder die Industrie. Manche von ihnen erklären, die Einreise Hunderttausender sei nötig.
So migrationsskeptisch sich die PiS-Regierung auch gibt, so hat sie diesem Druck doch teilweise nachgegeben: Das Land sei EU-Spitzenreiter bei der Vergabe von Arbeitsvisa, meldete etwa unlängst die Zeitung "Rzeczpospolita" unter Berufung auf Brüsseler Statistiken.
Etwa zwei Millionen Menschen haben in den letzten drei Jahren polnische Visa erteilt bekommen. Die meisten davon erhielten laut Statistik Ukrainer und Belarusen, aber eben auch mehrere 100.000 Menschen aus Ländern, die Polen offiziell eher nicht willkommen heißt.
Schmiergeld als Beschleuniger
Das ist der Kontext einer Affäre um Korruption bei der Visavergabe durch polnische Konsulate. Weltweit sollen Antragsteller per Schmiergeldzahlung ein polnisches EU-Visum beschleunigt und offenbar bisweilen auch ohne die üblichen Sicherheitsüberprüfungen erhalten haben. Dass es zu solchen Fällen kam, ist offiziell bestätigt, strittig ist aber die Größenordnung. Regierungskritische Medien sprechen von 100.000en Fällen.
Der Parteichef der rechtsnationalen Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS), Jaroslaw Kaczynski, sprach hingegen vor Parteifreunden von nur einem "Affärchen": "Unsere Ermittlungsbehörden haben bereits im vergangenen Jahr eine Spur aufgenommen, die auf ein Verbrechen hinwies, und stießen auf eine ganze Verästelung. Bereits im März gab es erste Festnahmen, dann weitere. Der Staat tut, was er tun soll, und es geht bei der ganzen Sache um etwas mehr als 100 Visa, nicht Hunderttausende. Und wir gehen damit um, wie ein Rechtsstaat damit umgeht."
PiS-Parteichef Jaroslaw Kaczynski spielt die Visaaffäre herunter.
Hinweis aus den USA
Dass polnische Ermittler offenbar schon seit vergangenem Jahr solchen Verdachtsmomenten nachgehen, erfuhr die Öffentlichkeit allerdings erst jetzt auf Pressenachfrage. Polnische Medien waren offenkundig von US-Seite auf Auffälligkeiten hingewiesen worden, etwa auf eine Gruppe indischer Migranten, die als Bollywood-Truppe getarnt via Polen auf Umwegen in die USA gereist sein soll - ausgestattet mit polnischen Schengen-Visa für den ersten Teil der Reise.
Eine Rolle scheinen bei der möglichen illegalen Visavergabe Service-Unternehmen gespielt zu haben, die vor Jahren Teile der Visaprozeduren übernahmen, um die polnischen Konsulate zu entlasten. Nach Angaben der Opposition sollen so allein in Minsk Dutzende Visa an Menschen aus jenen Länder vergeben worden sein, aus denen andere quasi zeitgleich mit Hilfe von Schleusern und unter Lebensgefahr versuchten, die polnisch-belarusische Grenze zu überqueren.
Tusk: Eine Viertel Million fragwürdige Visa
Donald Tusk, Chef der größten Oppositionspartei und damit Herausforderer Kaczynskis bei den Wahlen nächsten Monat, behauptete, unter PiS seien eine Viertel Million fragwürdige Visa an Menschen in Afrika und Asien ausgereicht worden: "PiS wollte von Anfang an Migration für den Propagandakrieg nutzen, rassistische und ausländerfeindliche Stimmungen schüren, aber gleichzeitig unter diesem Deckmantel möglichst viele Menschen holen und daran Geld verdienen. Das ist das Wesen des Problems."
Donald Tusk spricht sogar von einer Viertel Million fragwürdiger Visa.
Affäre ist vielen nicht bekannt
Zum Wesen der Zeit gehört aber auch, dass Umfragen zufolge zumindest der harte Kern der PiS-Unterstützer auch diese Affäre nicht in größere Zweifel zu stürzen scheint, obwohl eine vermeintlich harte Haltung gegenüber Migranten zum politischen Markenkern der PiS-Partei geworden ist.
Obwohl die Opposition mit aller Kraft versucht, durch die Affäre Stärke zu gewinnen und dabei in der Wortwahl bisweilen selbst erinnert an die Anti-Flüchtlings-Rhetorik der PiS, hatten in einer aktuellen Umfrage ein Fünftel der Befragten noch gar nichts von der sogenannten Visaaffäre gehört.
Der der Opposition angehörende Senatsvorsitzende Grodzki nutzt eine ihm qua Amt zustehende Ansprache im regierungsnahen nationalen Fernsehen TVP, um auf die Vorgänge aufmerksam zu machen, da TVP-Zuschauer sonst nichts von der ihm zufolge "größten Affäre des 21. Jahrhunderts" erführen.