Gazastreifen Banges Warten auf den Großangriff in Rafah
Im Süden des Gazastreifens wird die Lage immer brenzliger: Die Bombardierungen nehmen zu. Unterdessen wächst die Kritik an der israelischen Regierung. In Tel Aviv protestierten Tausende Menschen und riefen zu Neuwahlen auf.
Vor Verzweiflung kann die ältere Frau mit Kopftuch kaum laufen. "Meine liebe Schwester", weint sie. Gestützt auf eine andere Frau humpelt sie auf den Hof des Al-Najjar Krankenhauses in Rafah im südlichen Gazastreifen. Hier liegen in Tücher gehüllt Tote, die bei einem Luftangriff der israelischen Armee getötet wurden.
Mindestens 20 Tote habe es allein bei diesem Angriff am Vortag auf zwei Häuser in der Grenzstadt gegeben, so das von der Hamas geführte Gesundheitsministerium. Seit Kriegsbeginn soll die Zahl der Toten laut der Terrororganisation auf mehr als 27.900 gestiegen sein.
"Wir können nicht mehr. Wir haben Frauen und Kinder. Sie haben gesagt, Rafah sei sicher. Aber das ist es nicht. Es wird überall angegriffen. Wir wollen, dass der Krieg aufhört. Wir halten es nicht mehr aus", sagt Anwohner Mohammed Saydam. Er ist einer von mehr als einer Millionen Menschen, die hier in der Grenzstadt zu Ägypten Zuflucht gesucht haben. In Rafah lebten vor dem Krieg 170.000 Menschen.
"Wo soll ich hin? Es ist nichts mehr übrig"
Ein ARD-Mitarbeiter berichtet, dass überall in Rafah Zelte von Geflüchteten die Straßen versperren. Die schiere Menge an Menschen würde bei einer Massenflucht im Falle eines Großangriffs der israelischen Armee zur Falle werden. Die meisten Menschen in den Zelten würden weiter ausharren und hungern. Nur wenige packen, wie der 35-Jährige Abu Ahmed aus Zentralgaza.
"Ich habe Angst und möchte die Stadt verlassen", sagt er. "Vor fünf Tagen haben sie hier täglich bombardiert. Vor zwei oder drei Wochen war es noch ruhig und sicher." Seit einigen Tagen hätten die Luftangriffe zugenommen. "Man merkt es wird ernst. Sie kommen hierher. Ich werde die Stadt verlassen."
Er wolle zurück zu seinem Haus im Flüchtlingslager Nuseirat im Zentrum Gazas. Dort wolle er einfach auf den Trümmern seines Hauses sitzen, ein Zelt aufbauen - und dort sterben. "Wo sollen wir hin?", fragt er. "Ich will, dass mich jemand versteht. Wo soll ich hin? Es ist nichts mehr übrig."
Israel: Tunnel unter UNRWA-Sitz entdeckt
Im gesamten Gazastreifen gingen die Kämpfe weiter. Das israelische Militär veröffentlichte ein Video, das einen Tunnel der Hamas, eine Kommandozentrale mit Serverraum unter dem Hauptquartier des UN-Flüchtlingshilfswerk UNWRA zeigt.
Derweil wird die Kritik an Israels Premier Benjamin Netanyahu immer größer. Er hat das Militär aufgefordert einen Evakuierungsplan für Rafah auszuarbeiten und den Angriff auf die Hamas in der Stadt. Im Herzen Tel Aviv protestierten Tausende Menschen am Abend gegen die Regierung, riefen zu Neuwahlen auf und zur Befreiung der Geiseln. Es gab auch Verhaftungen. Die Menge stimmte die israelische Nationalhymne an.
Kritik an Netanyahus Kriegsführung
Auch ehemalige hochrangige Militärvertreter wie Amos Gilad, der in Israel einst Direktor für politische Angelegenheiten im Verteidigungsministerium war, hält mit seiner Meinung zur Kriegsführung Netanyahus und zu den Angriffsplänen auf Rafah nicht hinter dem Berg. Gilad sagte im israelischen Fernsehen: "So führt man keinen Staat. Wenn man einen (Angriffs)plan macht, teilt man ihn nicht mit der ganzen Welt und mit der Hamas." Der Premierminister könne das Kriegs- oder Sicherheitskabinett einberufen, er sollte sich beraten. "Dann wird ein Plan erstellt und dann gibt man den Befehl, der übrigens geheim bleiben sollte."
Zahlreiche Kritiker - darunter das US-Außenministerium, Vertreter der EU und UN - werfen der israelischen Regierung vor, in Gaza planlos vorzugehen und so ein Desaster zu riskieren, das Tausende Menschenleben kosten könnte.