Sunak spricht zum Publikum während einer TV-Aufzeichnung
analyse

Wahlkampf in Großbritannien Droht den Tories das Aus?

Stand: 15.06.2024 03:51 Uhr

Zur Halbzeit des Wahlkampfs im Vereinigten Königreich liegen die konservativen Tories laut Umfragen erstmals auf dem drittem Platz: hinter Labour - und den Rechtspopulisten um Nigel Farage. Droht ihnen nun das Ende?

Eigentlich ist der Wahlkampf im Vereinigten Königreich ein wenig langweilig.

Labour liegt seit Wochen vorne, seitdem der konservative Regierungschef Rishi Sunak die Wahlen ausgerufen hat, im Regen stehend, am Rednerpult vor der Downing Street Number 10. Das Wasser tropfte an ihm herab - er lieferte das traurige Bild für den Zustand der Konservativen.

"Wendepunkt ist erreicht"

Gestern veröffentlichte die Zeitung The Times eine Umfrage, in der die Tories nun erstmals auf dem dritten Platz landen, hinter Labour und hinter Reform UK, dem Rechtsausleger der britischen Politik.

Das Enfant Terrible der britischen Politik, Nigel Farage, ist Parteivorsitzender der extrem rechten Partei und kandidiert nun für einen Sitz im Unterhaus.

Nachdem bekannt wurde, dass Reform UK derzeit auf dem zweiten Platz ist, hat er gestern zügig eine Pressekonferenz einberufen. Nun ist es also so weit, sollte das Signal sein: "Mit großer Freude haben wir wahrgenommen, dass der Wendepunkt nun erreicht ist."

Farage will Oppositionsführer werden

Farage treibt die Konservativen vor sich her - mal wieder. Früher mit dem Thema Brexit, nun ist die Migration sein wichtigstes Thema, befeuert von einer großen Unzufriedenheit vieler Wählerinnen und Wähler.

Und er hat Großes vor: Farage will Oppositionsführer werden. "Starmer wird eine riesige Mehrheit haben, obwohl er keinen Plan hat. In seinen Prioritäten erwähnt er illegale Migration noch nicht einmal", sagte Farage über den Chef der Labour-Partei. Er wolle nun die Stimme der Opposition im Parlament und im Land werden.

Was so nicht aufgehen dürfte. Denn das britische Wahlsystem sorgt dafür, dass in jedem Wahlkreis der stärkste Kandidat gewinnt. Reform UK kann also durchaus 19 Prozent erreichen aber nur wenige, vielleicht auch gar keinen Wahlkreis gewinnen. Wovon vor allem Labour profitieren dürfte.

Konservative sind verzweifelt

Das macht diesen Wahlkampf dann doch ziemlich spannend. Droht den Konservativen nicht nur eine veritable Niederlage sondern sogar die Auslöschung?

Innerhalb der konservativen Partei erzählen sich Abgeordnete die Geschichte von 1993. Damals erlebten die Konservativen in Kanada eine fürchterliche Niederlage und rutschten von der Regierungspartei runter auf zwei Sitze.

Die britischen Konservativen sind so verzweifelt, dass Verteidigungsminister Grant Shapps dafür warb, konservativ zu wählen, damit es überhaupt eine ordentliche Opposition gibt, die die Regierung kontrollieren kann.

"Dieses Land funktioniert nicht gut, wenn wir Mehrheiten haben wie zu Zeiten von Tony Blair - oder sogar noch größer. Es gibt viele hart-arbeitende konservative Abgeordnete, die die Regierung kontrollieren sollten", sagte Shapps.

Ein Drittel der Sitze von Labour

1997 zogen 418 Abgeordnete für Labour unter dem frisch gewählten Premierminister Tony Blair ins Unterhaus ein, für die Konservativen waren es gerade einmal 165.

In den Umfragen und Berechnungen für die Wahlen am 4. Juli kommt das Meinungsforschungsinstitut YouGov auf 422 Sitze für Labour und 140 für die Konservativen.

Sie würden damit 225 Sitze weniger haben als nach den Wahlen 2019. Doch wenn Reform UK weiter zulegt, könnte sich diese Vorhersage noch weiter verschieben.

Labour setzt auf "Wandel" nach "Chaos"

Rishi Sunak versucht es derweil mit Versprechen: Steuersenkungen soll es geben. Labour wirft er vor, die Steuern sogar anheben zu wollen, wofür es keine Belege gibt.

Labour-Chef Keir Starmer setzt auf den Wandel: "Change", nach 14 Jahren Chaos, wie er die Regierungszeit der Konservativen wegen Brexit, Partygate und einer Premierministerin Liz Truss beschreibt, die die Finanzmärkte auf Talfahrt schickte, bevor sie nach wenigen Tagen im Amt abgesetzt wurde.

Doch Starmers "Change" ruft noch längst keine Begeisterung hervor. Viele Briten sind genervt von der Politik, haben das Vertrauen verloren, wie eine Umfrage des National Centre for Social Research ergab.

45 Prozent der Befragten gaben an, sie würden der Regierung niemals trauen, dass sie die Bedürfnisse der Nation über die eigenen stellen würden - egal welcher Partei die Politiker angehören.

Es ist ein Ergebnis des Brexit, nicht eingelöster Versprechen, einer mäßigen wirtschaftlichen Entwicklung und der Turbulenzen um die ehemaligen Premierminister Boris Johnson und Liz Truss, wie der Autor der Studie, John Curtice, sagt.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 13. Juni 2024 um 15:17 Uhr.