Großbritannien Das schwierige Jahr von Premier Sunak
Bisher konnte der britische Premier Sunak kaum Boden gutmachen: In Umfragen liegen seine konservativen Torys weit hinter der Labour-Partei. Besonders die Migrationspolitik hat sich zum Bumerang entwickelt.
Der Beginn des Jahres war unruhig in Großbritannien. In verschiedenen Branchen wurde gestreikt. Ärzte und Pfleger, Lehrer und Lokführer gingen auf die Straße. Die hohe Inflation und die immer weiter steigenden Lebenshaltungskosten befeuerten den Streikwillen.
Einen Erfolg konnte Premier Rishi Sunak Ende Februar verbuchen, als sich Großbritannien und die Europäische Union auf das sogenannte Windsor-Framework verständigten. Mit der Vereinbarung wurden Handelshemmnisse zwischen Großbritannien und Nordirland abgeschwächt, die durch den Brexit entstanden waren.
Sunak, der ein Brexit-Befürworter ist, lobte seine Errungenschaft in Nordirland mit bemerkenswerten Worten. Nordirland befinde sich in der unglaublichen, weltweit einzigartigen Lage, bevorzugten Zugang sowohl zum heimischen Markt als auch zum EU-Markt zu haben, sagte der Premier. "Kein anderer hat das, niemand. Nur ihr." Was Sunak als so exzeptionell herausstellte, galt einmal für das gesamte Königreich - vor dem Brexit.
DUP blockiert Regierungsbildung in Nordirland
Das Windsor-Framework entkrampfte das Verhältnis zur EU. In Brüssel entstand das Gefühl, es nach Boris Johnson und Liz Truss wieder mit einem pragmatischen und verlässlichen britischen Premier zu tun zu haben. Das tat Sunaks Ansehen gut.
Ein anderes Ziel erreichte Sunak mit dem Windsor-Framework nicht: Es führte nicht zur Bildung einer Regionalregierung in Nordirland. Die DUP, die größte protestantisch-unionistische Partei in Nordirland, blockiert eine Regierungsbildung nach wie vor, weil ihr auch das neue Abkommen nicht weit genug geht. Aus Sicht der Partei bestehen weiterhin Handelshemnisse, die der nordirischen Wirtschaft schaden und Nordirland vom Vereinigten Königreich entfremden könnten.
Brexit wirft lange Schatten
Dass der Brexit lange Schatten wirft, wurde auch im Mai wieder deutlich, als Sunak ein Versprechen zurücknehmen musste. Eigentlich sollten bis Ende 2023 die in Großbritannien noch geltenden EU-Gesetze gestrichen werden, etwa 4.000 an der Zahl.
Während Brexit-Hardliner das Vorhaben begrüßten, warnten Wirtschaft und Opposition vor Rechtsunsicherheit und bürokratischem Chaos. Andere hielten das Projekt in der Kürze der Zeit für gar nicht umsetzbar, weil in den Behörden nicht genügend Personal dafür zur Verfügung steht. Die Regierung musste das Vorhaben schließlich kippen, was Sunak Kritik vom rechten Flügel seiner Partei einbrachte.
Ex-Premier Johnson sorgt wieder für Schlagzeilen
Ruhige Phasen, um die Konservative Partei aus den konstant schlechten Umfragewerten zu holen, hatte Sunak in diesem Jahr kaum. Schon Anfang Juni sorgte Ex-Premier Boris Johnson wieder für Schlagzeilen, als er vor dem Parlamentsausschuss zur Partygate-Affäre auftrat. Er habe - Hand aufs Herz - das Parlament nicht belogen und in gutem Glauben gehandelt, beteuerte Johnson.
Als Premier hatte er dem Unterhaus immer wieder versichert, dass sich die Regierungsmitarbeiter in der Corona-Pandemie vorschriftsmäßig verhalten würden. Tatsächlich aber wurde in den Regierungsgebäuden gefeiert, während die Bevölkerung strikte Abstandsregeln einhalten sollte.
Der Ausschuss kam am Ende zu dem Ergebnis, dass Johnson das Parlament belogen hat. Um einer Suspendierung als Abgeordneter zuvorzukommen, gab Johnson sein Mandat auf, nutzte sein Rücktrittsschreiben aber noch für eine bitterböse Abrechnung. So warf er dem Ausschuss vor, eine Hexenjagd zu betreiben, sich für den Brexit rächen und ihn rückabwickeln zu wollen. Seinem Nachfolger Sunak unterstellte er, keine richtig konservative Regierungsarbeit zu leisten und eine falsche Steuerpolitik zu verfolgen.
Chaos, Missgunst und Ignoranz
In einem anderen Untersuchungsausschuss zur Aufarbeitung des Corona-Krisenmanagements haben in den vergangenen Wochen Johnson, sein einstiger Chefberater Dominic Cummings sowie ehemalige Minister und Mitglieder des Krisenstabs ausgesagt. Auch Sunak musste sich befragen lassen. Als Finanzminister hatte er im Sommer 2020 das Hilfsprogramm "Eat out to help out" auf den Weg gebracht. Es war ein Subventionsprogramm, das Restaurantbesuche verbilligen sollte, um damit die Gastronomie zu stützen. Allerdings stiegen danach auch die Corona-Infektionszahlen.
Wie die Öffentlichkeit im Zuge der Untersuchung erfuhr, wurde Sunak für dieses Programm von einer führenden wissenschaftlichen Beraterin der Regierung als "Dr. Death" (deutsch: "Dr. Tod") betitelt. Auch das war in diesem Jahr keine gute Schlagzeile für Sunak.
Das Gesamtbild, das sich im Zuge dieses Untersuchungsausschusses abzeichnet, ist zudem verheerend. Als 10 Downing Street angesichts der Pandemie zur Hochform hätten auflaufen müssen, herrschten Chaos, Missgunst und Ignoranz.
Sunak will Abschiebungen nach Ruanda
Ein Thema, das das gesamte Jahr 2023 beherrscht hat, ist die Migrationspolitik. Sunak versicherte im Rahmen eines Fünf-Punkte-Plans "to stop the boats" - die Schlauchboote zu stoppen, mit denen Asylsuchende über den Ärmelkanal nach Großbritannien kommen. Er kündigte neue Gesetze an und ließ potenzielle Ankömmlinge zur Abschreckung wissen: "Wenn sie illegal in dieses Land kommen, werden sie eingesperrt und zügig abgeschoben."
Diese Ankündigung erweist sich allerdings als schwer umsetzbar. Zu der von der Regierung geplanten Abschiebung von Flüchtlingen nach Ruanda ist es bisher nicht gekommen. Das höchste britische Gericht, der Supreme Court, hat Ruanda als nicht sicheres Drittland eingestuft. Derzeit versucht die Regierung mit einer Notfallgesetzgebung nachzubessern, um Abschiebungen möglich zu machen.
Allerdings tritt bei diesem Thema auch die Spaltung der Konservativen Partei wieder sehr deutlich zu Tage, fast wie zu Brexit-Zeiten. Wenn es Premier Sunak Anfang 2024 nicht gelingt, die Ruanda-Gesetzgebung durchs Parlament zu bringen, dürften seine Tage gezählt sein.