Größter Arbeitskampf seit 2011 Hunderttausende streiken in Großbritannien
Koordiniert über mehrere Branchen hinweg streiken in Großbritannien Hunderttausende Beschäftigte des öffentlichen Dienstes. Sie fordern deutlich mehr Geld als die Regierung bislang anbietet - die kündigt an, hart zu bleiben.
In Großbritannien haben Lehrer, Lokführer, Grenzbeamte und andere Beschäftigte des öffentlichen Dienstes die Arbeit niedergelegt - insgesamt sollen es nach Schätzungen eine halbe Million Beschäftigte gewesen sein. Laut dem Dachverband der Gewerkschaften TUC war es der größte Streik seit 2011, er wurde von sieben Gewerkschaften koordiniert.
Dass in mehreren Branchen koordiniert gestreikt wird, ist seit Jahrzehnten nicht mehr vorgekommen. Nun streikten Lehrer und Lokführer, Hochschuldozenten und Regierungsmitarbeiter, Busfahrer und Teile der Sicherheitskräfte gleichzeitig. Laut der Umfrage eines Lehrerverbandes waren in England und Wales neun von zehn Schulen betroffen.
"Das Arbeitspensum ist immer höher und höher und mit der Inflation ist unser Gehalt niedriger und niedriger", sagte der 57-jährige Lehrer Nigel Adams bei einem Protestmarsch Tausender Lehrerinnen und Lehrer in London. "Wir sind erschöpft. Wir zahlen den Preis und die Kinder auch." Auch mehrere Elternverbände haben erklärt, die Streiks zu unterstützen.
Passanten applaudierten den Streikenden, Autofahrer und Busfahrer hupten zur Unterstützung. Die Menschenmenge marschierte zum Parlament und hielt schließlich vor dem Amtssitz des Premierministers in der Downing Street.
Sunak ruft zu "bezahlbaren" Lohnerhöhungen auf
Mit den bisherigen Lohnangeboten der Regierung wollen sich die Beschäftigten nicht zufrieden geben, denn sie liegen deutlich unter der Inflationsrate von zuletzt zehn Prozent. Nachbesserungen lehnt die Regierung allerdings ab - die Lehrer etwa hätten schon die größte Erhöhung seit 30 Jahren bekommen und die Schüler hätten es verdient, in die Schule gehen zu können, sagte Premierminister Rishi Sunak im Parlament.
Sunak rief zu "bezahlbaren" Lohnerhöhungen auf und warnte, dass große Gehaltssteigerungen die Bemühungen im Kampf gegen die Inflation gefährdeten. Die Gewerkschaften hingegen werfen Sunak - der Millionär ist - vor, keinen Bezug zu den Schwierigkeiten zu haben, denen normale Arbeitnehmer angesichts unsicherer Arbeit mit geringer Bezahlung und in die Höhe schießenden Preisen ausgesetzt seien.
Bei Lehrkräften sei der Reallohn seit 2010 um 23 Prozent gesunken, sagte der Co-Chef der Lehrergewerkschaft NEU, Kevin Courtney. "Die Regierung hat unser Bildungssystem heruntergewirtschaftet, unsere Schulen unterfinanziert und die Menschen, die dort arbeiten, unterbezahlt", sagte er. Viele Lehrkräfte würden wegen der schlechten Bezahlung aus dem Job ausscheiden.
Ein Lokführer namens Tony sagte, die angebotenen Gehaltserhöhungen seien beleidigend, besonders nach der Pandemie: "Wir haben während Covid durchgearbeitet. Wir wurden als systemrelevante Arbeiter gepriesen und dann gibt es diese Ohrfeige", sagte der 61-Jährige.
Regierung will Streiks eindämmen
Parallel zu den Streiks wurde auch gegen Pläne der Regierung protestiert, das Streikrecht einzuschränken. Per Gesetz will sie Streiks bei Rettungs- und Pflegekräften, Feuerwehren und der Bahn strikt beschränken. So solle eine Grundversorgung sichergestellt werden. Die Gewerkschaften lehnen dies als undemokratisch ab.
Seit Monaten streiken die Beschäftigten verschiedenster Berufe in Großbritannien immer wieder. Dass die Regierung ihnen nicht weit genug entgegen komme, bezeichnete der Gewerkschaftsführer Mark Serwotka im Fernsehsender Sky News als "unhaltbar".
Ein Ende der Streiks ist nicht in Sicht: "Nächste Woche haben wir die Rettungssanitäter, und wir haben die Krankenpfleger, dann sind die Feuerwehrleute dran", sagte Serwotka. Er warnte, dass die Gewerkschaften bereit seien, auch den Sommer durchzustreiken.
Tories wollen hart bleiben
In dem Umfragen liegt die oppositionelle Labour-Partei seit Monaten klar in Führung, eine Trendwende ist bisher nicht absehbar. Stand jetzt müssten die regierenden Tories bei der für 2024 geplanten Parlamentswahl ein Debakel befürchten.
Nachgeben werde Premier Sunak trotzdem nicht, meinen Parteikollegen. Von ihnen bekommt der Premierminister vielmehr Rückendeckung. Die Inflation werde bald weiter sinken, damit würden Verbraucher entlastet, zitierte das Politikmagazin "Politico" einen Tory-Abgeordneten. "Deshalb müssen wir so hart wie möglich bleiben."