Rishi Sunak kündigt vor seinem Amtssitz im Regen Neuwahlen an

Wahltermin für Großbritannien Sunaks gewagte Überrumpelungstaktik

Stand: 23.05.2024 09:25 Uhr

Mit seiner Ankündigung, dass das Parlament am 4. Juli neu gewählt werden soll, hat der britische Premier Sunak das Land überrascht. Zumal seine Umfragewerte denkbar schlecht sind. Was ist das Kalkül dahinter?

Die Szene hätte nicht unglücklicher wirken können: Im strömenden Regen stand Premierminister Rishi Sunak ohne Schirm am hastig herbeigeschafften Rednerpult vor der berühmten schwarzen Tür in 10 Downing Street und versuchte klatschnass gegen die plärrende Musik anzureden, die von einer Demonstration in der Nähe herüberschallte. Er habe den König gebeten, das Parlament aufzulösen, am 4. Juli werde gewählt. 

Wie ein begossener Pudel wirkte Sunak, und seine konservative Partei könnte nach den Wahlen auch so aussehen. In der konservativen Fraktion waren viele über den zeitnahen Wahltermin erstaunt. Fast 70 Abgeordnete hatten in den vergangenen Wochen angekündigt, bei der Parlamentswahl nicht wieder anzutreten, aus Angst, ihren Sitz zu verlieren.

In den Umfragen liegt die konservative Partei rund 20 Punkte hinter der Labour-Opposition. Es sei mutig, zu diesem Zeitpunkt in den Wahlkampf zu ziehen, kommentieren politische Beobachter.

Sunaks Hoffnung: die Inflationsentwicklung

Was Sunak Hoffnung gegeben haben dürfte, ist die sinkende Inflation. Als er sein Amt antrat, hatte sie bei mehr als elf Prozent gelegen, im April waren es nur noch 2,3 Prozent.

Trotzdem sei die Entscheidung ein Wagnis für Sunak, meint Faisal Islam, Wirtschaftsexperte der BBC. Der Premierminister setze darauf, dass die Menschen im Portemonnaie spüren, dass Dinge günstiger würden, und hoffe, dass sie das der amtierenden Regierung zugute hielten.

Sunak klammere sich an einen Strohhalm, erläutert die Journalistin Jenny Kleeman, denn über den Sommer könnte sich seine Lage eigentlich nur weiter verschlechtern:

Im Sommer könnten wieder mehr Bootsflüchtlinge über den Ärmelkanal kommen, das wäre eine Katastrophe für Sunaks Politik. Beim Parteitag im Oktober könnte die Partei ihm wieder an den Kragen wollen, es könnte mehr Überläufer zur Labour-Partei geben und Nigel Farage, der rechte Populist, könnte in der Partei Reform UK eine wichtige Rolle einnehmen und die Konservativen Stimmen kosten. Aber wenn Sunak sich ausgerechnet hat, dass jetzt seine beste Chance ist, sind die Chancen für die Konservativen in Wirklichkeit ziemlich düster.“    

Labours harsche Kritik

Die Labour-Opposition hatte seit Monaten Neuwahlen gefordert, Parteichef Keir Starmer erklärte, es sei nach 14 Jahren konservativer Regierung Zeit für einen Wechsel. Nichts scheine mehr zu funktionieren im Land, sagte Starmer: "Der öffentliche Dienst bricht zusammen, Krankenwagen kommen nicht, Familien werden durch höhere Hypothekenzinsen belastet, asoziales Verhalten auf unseren Einkaufsstraßen. Die Liste geht weiter und weiter."

Obwohl auch der neue Vorsitzende der schottischen Nationalpartei SNP, John Swinney, die Wahlankündigung begrüßte, gab er gleichzeitig seinem Ärger Ausdruck, dass Sunak die Wahl in die schottischen Schulferien gelegt hat. Er nannte es "eine Respektlosigkeit mehr" von den Konservativen. In Schottland haben es die Konservativen traditionell schwer.

Auf den Straßen des Landes löste die Nachricht von den Wahlen im Juli viel Zustimmung aus: "Gott sei Dank. Endlich. Je schneller, desto besser", meinte eine Frau. Aber manch einer hat auch das Vertrauen in die Politik verloren. Sie gehe schon lange nicht mehr wählen, erklärte eine andere.

Der Premier setzt den Wahltermin fest

In Großbritannien darf die Regierung den Wahltermin in einer Legislaturperiode selbst bestimmen und Wahlen zum Beispiel dann ansetzen, wenn sie sich möglichst günstige Mehrheitsverhältnisse ausrechnet. Der letztmögliche Wahltermin in Großbritannien wäre Ende Januar 2025 gewesen.

Rishi Sunak ist bereits der dritte konservative Regierungschef seit der bisher letzten Wahl 2019, nach Boris Johnson und Liz Truss. Die Konservativen werden für mehrere Skandale in den vergangenen Jahren verantwortlich gemacht, darunter die "Partygate"-Affäre um verbotene Lockdown-Feiern in der Downing Street während der Pandemie.

Mehrere konservative Abgeordnete wurden wegen Fehlverhaltens, darunter sexuelle Übergriffe, aus der Fraktion ausgeschlossen. Zuletzt liefen zwei Tory-Politiker zu Labour über.

Zuletzt verloren die Konservativen bei Kommunalwahlen in England Hunderte Sitze und einen wichtigen Bürgermeisterposten sowie bei einer Nachwahl zum Parlament einen Wahlkreis in Nordwestengland. Auch die rechtspopulistische Partei Reform UK, die frühere Brexit-Partei, setzt die Tories zunehmend unter Druck.

Gabi Biesinger, tagesschau, 22.05.2024 20:40 Uhr