In einer ukrainischen Haftanstalt in der Region Sumy läuft ein Wärter durch einen dunklen Zellengang.
reportage

Russen in Kriegsgefangenschaft "Wir wollen nach Hause"

Stand: 21.08.2024 12:25 Uhr

Bei ihrer Offensive in Kursk haben die Ukrainer Hunderte Russen in Kriegsgefangenschaft genommen. Dabei handelt es sich oft um junge Wehrdienstleistende, die auf den Krieg nicht vorbereitet waren. Begegnungen mit Männern in einer Haftanstalt, die nur eines wollen - nach Hause.

Von Rebecca Barth, ARD Kiew

Sein Gesicht dürften wir nicht filmen, sagt der Wärter. Auch keine Abzeichen an den Uniformen oder Schilder in der Haftanstalt, die Rückschlüsse auf den Ort geben könnten. Aber die Kriegsgefangenen, die hier festgehalten werden, wolle das ukrainische Militär einer Gruppe Journalisten zeigen, sagt der stellvertretende Gefängnisleiter. Er soll aus Sicherheitsgründen anonym bleiben. 

"Es sind viele junge Leute hier, zwischen 18 und 21 Jahren. Sie sind Wehrdienstleistende. In den ersten zwei, drei Tagen waren sie sehr verängstigt. Aber nachdem sie verstanden haben, dass wir ihnen nichts antun, dass sie in Sicherheit sind, haben sie begonnen, sich normal zu verhalten", so der stellvertretende Gefängnisleiter.

Volljährig, aber kaum erwachsen

Seit Beginn der ukrainischen Offensive in der Region Kursk seien allein in dieser Haftanstalt mehr als 300 russische Kriegsgefangene registriert worden. Wir folgen dem Wärter in den Keller des Gebäudes. Hier befinden sich die Zellen hinter schweren Eisentüren.

Filmen und aufnehmen dürfen wir die Männer erst, nachdem sie zugestimmt haben. Nicht alle wollen mit den Medien reden. Seit einer Woche sind sie hier. Die Männer sind volljährig, aber kaum erwachsen.

19 Jahre alt ist Anton. Die dunklen Haare sind kurzgeschoren. Das karierte Hemd ein paar Nummern zu groß für den schmalen Körper. "Wir wollten nicht an Kampfhandlungen teilnehmen. Das war Zufall", sagt er:

Wir haben nicht gekämpft, wir standen nur an der Grenze, um unseren Staat zu schützen. Und dann sind wir in diese Offensive geraten. Das hätte nicht passieren dürfen. Wir hätten dort nicht sein sollen.

"Man muss uns austauschen"

Die Luft in der Zelle ist stickig. Auf einem Tisch stehen bunte Plastikbecher und Plastikteller. Drei Mahlzeiten bekommen sie täglich, berichten die Männer. Auf dem stummgeschalteten Fernseher in der Ecke läuft Garfield. Mehr als ein Dutzend Kriegsgefangene werden in dieser Zelle festgehalten.

Auf einem harten, eisernen Stockbett in der Ecke sitzt Dmitrij. "Ich hoffe, dass wir ausgetauscht werden", sagt er und fügt hinzu: "Eigentlich sollten Wehrpflichtige nicht an der Grenze eingesetzt werden, aber uns hat man trotzdem dort hingeschickt. Man muss uns austauschen. Die Ukrainer wollen nach Hause und wir wollen auch nach Hause." 

Die Männer, die bereit sind mit uns zu sprechen, sagen, sie würden gut behandelt. Sie würden medizinisch versorgt, bekämen Kleidung, Hygieneprodukte und einmal täglich Hofgang.

Nur wenige hier sind bei der ukrainischen Offensive verletzt worden. Viele haben sich offenbar nahezu kampflos ergeben. Während unserer Gespräche sind die Gefängniswärter anwesend. Auch Mitarbeiterinnen des Roten Kreuzes überprüfen die Haftbedingungen, wollen aber nicht mit Medien sprechen.

Ein Druckmittel gegen Putin?

Anton beschreibt den Moment seiner Gefangennahme: "Wir haben uns alle in einem Raum zusammengekauert - etwa 28 Leute. Es war angsteinflößend. Und dann haben wir geschrien: 'Wir sind Wehrpflichtige, nicht schießen! Wir ergeben uns alle!'"

Die jungen Männer waren auf einen echten Krieg nicht vorbereitet. Manche wurden von ihren Kommandeuren zurückgelassen, als die ukrainische Armee vor zwei Wochen die Region Kursk angriff.

Bei einem nächsten Gefangenenaustausch könnten sie eine wichtige Rolle spielen. Die Ukraine hofft, dass die Mütter der jungen Männer jetzt Druck auf Russlands Präsidenten Wladimir Putin ausüben können.  

"Natürlich vermissen sie ihre Familien und Freunde", sagt der stellvertretende Gefängnisleiter und betont: "Hier sind sie erstmal sicher, das wissen sie. Sie warten darauf, so schnell wie möglich ausgetauscht zu werden, aber das hängt nicht von uns ab."

Gefangenenaustausche sind oft das Ergebnis von streng geheimen und komplexen Verhandlungen. Wehrpflichtige sollten laut Putin und dem russischen Generalstab nicht in den Krieg gegen die Ukraine geschickt werden. Dass die Ukraine aber in Russland einrückt, damit hat das russische Regime offenbar nicht gerechnet. Aus der Region Kursk kursieren unzählige Aufnahmen von Wehrdienstleistenden in Kriegsgefangenschaft.  

Rebecca Barth, ARD Region Sumy, tagesschau, 21.08.2024 09:34 Uhr