EU leitet Überprüfung ein Wahlerfolg mithilfe von TikTok?
TikTok steht im Verdacht, ausländische Einflüsse bei Wahlen nicht ausreichend zu bekämpfen. Einmischung per Algorithmus? Im Falle der mittlerweile annullierten Wahl in Rumänien ist das nur ein Teil der Antwort.
Bereits im Frühjahr hatte Rares Bogdan Alarm geschlagen: TikTok, so befand damals der rumänische Europa-Politiker, sei zu einer Plattform für extremistische Botschaften geworden, müsse dringend reguliert und andernfalls für politische Propaganda verboten werden.
"Wenn wir nicht äußerst ernsthafte Maßnahmen ergreifen, könnten wir Opfer von Manipulationen werden", so zitierte ihn das auf EU-Politik spezialisierte Nachrichtenportal Euractiv. Bogdans Warnung nahm damals kaum einer wahr.
Auf TikTok extrem erfolgreich
Călin Georgescu, rechtsextrem, fundamentalistisch, russlandfreundlich, hatte vor der Präsidentschaftswahl an keiner TV-Debatte teilgenommen, keine Partei im Rücken gehabt in den vorherigen Umfragen sehr niedrige Werte erreicht und laut eigenen Angaben kein Geld in seine Kampagne gesteckt. Eine Aussage, deren Wahrheitsgehalt von der Staatsanwaltschaft geprüft wird. Und die inhaltlich direkt zu der Frage führt, warum eben jene auf TikTok konzentrierte Kampagne so erfolgreich war.
Georgescus Videos wurden auf der keineswegs nur, aber überwiegend von jüngeren Menschen genutzten Plattform hunderttausendfach verbreitet und dutzende Millionen Mal angesehen, sein Kanal hatte vor der Wahl aber nur rund 120 Follower, inzwischen sind es rund eine halbe Million. Wie erreichte der 62-Jährige so hohe Werte, konnte so viel Content produzieren, im Feed so präsent sein?
Auffällige Überschneidungen bei Hashtags
Das fragen sich trotz der späteren, bis heute umstrittenen Wahlannullierung durch den Obersten Verfassungsgerichtshof weiterhin auch Leute, die sich zuletzt intensiv mit der Thematik beschäftigt haben. Eine von ihnen ist Mădălina Voinea, Digital Research Analyst bei der Nichtregierungsorganisation Expert Forum in Bukarest. Sie hat sich unter anderem die für Reichweite und Algorithmen sehr wichtigen Hashtags angesehen.
Und sie hat herausgefunden, dass sich Georgescus Hashtag mit dem Hashtag des Landes Rumänien stark überschneidet. Mehr als 30 Prozent aller Beiträge mit #Romania waren auch mit Georgescus Namen versehen. Dabei sei es grundsätzlich sehr schwer, so Voinea, mit so einem wichtigen Hashtag eine solch große Überschneidung hinzubekommen.
Es gibt starke Hinweise
Trotzdem hat es Georgescu geschafft. Womöglich mithilfe von Bots, also autonom handelnden Computerprogrammen, die vordefinierte Aufgaben erfüllen. Nach Angaben der rumänischen Geheimdienste wurden vor dem ersten Wahlgang 25.000 TikTok-Konten aktiviert. Außerdem sollen zahlreiche Influencer und Rechtsextreme angeworben und womöglich bezahlt worden sein, von denen nun einige sagen, freiwillig Georgescu geholfen zu haben.
Inzwischen wurden bei Razzien mehrere Häuser durchsucht, es wird ermittelt wegen "Wählerbestechung Geldwäsche und Datenmanipulation". Wurde Georgescus Kampagne illegal finanziert? Voinea verweist auf sich verdichtende Hinweise, dass aus Russland Geld geflossen sei - an Marketingfirmen in Rumänien.
Wer auch immer die Kampagne geplant, finanziert und durchgeführt hat - strategisch ergab sie Sinn. Denn rund neun der 19 Millionen Einwohner Rumäniens nutzen TikTok. Die App ist wie auch in anderen Ländern besonders bei jungen Menschen populär und für diese eine wichtige, teilweise wohl sogar die wichtigste Meinungs- und Informationsquelle.
Doch Georgescu erreichte mit seinen Inhalten vor der Wahl nicht nur die Menschen im Land, sondern auch die Ausgewanderten. Das sind unterm Strich viele Millionen, allein in Deutschland leben gut 900.000 Menschen mit rumänischem Pass. Digitalanalystin Voinea hat auch zwischen dieser "Bubble" in der Diaspora und Georgescu hohe TikTok-Überschneidungen registriert.
Große Unzufriedenheit mit regierenden Parteien
Zugleich waren viele Menschen - egal ob in- oder außerhalb Rumäniens - ohnehin offen für eine radikale Wahlentscheidung und mussten kaum davon überzeugt werden. Oliver Jens Schmitt, Professor am Lehrstuhl für Osteuropäische Geschichte an der Universität Wien, verweist im ARD-Gespräch auf die massive Unzufriedenheit:
Sehr viele Menschen sind zutiefst enttäuscht von Korruption und Misswirtschaft, und schreiben das den etablierten Parteien und Institutionen zu.
Vor allem der seit rund 30 Jahren nahezu durchgehend regierenden PSD (Partidul Social Demokrat), die allenfalls dem Namen nach als sozialdemokratische Partei gelten darf und als linksnationalistisch eingestuft werden kann.
Neu sind starke Strömungen in Richtung Moskau in der orthodoxen Kirche des Landes, die sehr einflussreich ist. Anders als der Staat, in den das Vertrauen gesunken ist.
Hinzu kommt: Die Arbeitslosenquote liegt bei gut 20 Prozent, bei Jüngeren ist sie noch höher. Und das gerade von dieser Zielgruppe genutzte TikTok sei dann eben "das Mittel gewesen, mit dem man Nachrichten potenzieren konnte", so Schmitt, "für die eine enorme Empfänglichkeit auf Grund von Frustration, Enttäuschung, Zorn - insbesondere bei den Menschen, die auswandern mussten - vorhanden war".
"In keinem Land wird weniger gelesen"
Fatal in dem Fall auch: Falschinformationen sind in solchen Videos laut Netzexperten deutlich schwerer zu erkennen als in Artikeln, Schriftstücken, Büchern, und damit in Texten generell. Diese wiederum fristen in Rumänien eine Art Schattendasein.
Schmitt sagt, es gebe kein EU-Land, in dem weniger gelesen werde. Tatsächlich hatte eine Studie der Weltbank im Jahr 2021 äußerst niedrige Werte ermittelt, unter anderem eine tägliche Durchschnittslesedauer von weniger als fünf Minuten.
Die Lesemüdigkeit dürfte ein Grund sein, dass auch in keinem anderen EU-Land so wenige Menschen einen Hochschul-, Uni- oder Meisterabschluss haben. Unter den Männern ist die Quote besonders gering, was deren Job- und Karrierechancen verschlechtert. Und so schließt sich ein Kreis.
Lichtblick Schengen - Ausblick ungewiss
Immerhin: Der in der vergangenen Woche besiegelte Schengen-Vollbeitritt des Landes dürfte vielen Rumäninnen und Rumänen ab Januar das Leben und Reisen erleichtern, der Wirtschaft helfen.
Doch selbst dieser Schritt war im Vorhinein mit einer Art Kränkung verbunden: Obwohl das Land schon vor langem die Kriterien erfüllt hatte, war bis jetzt kein Beitritt möglich, vor allem wegen des Langzeit-Vetos Österreich.